Der bunte Regen der Wörter

(Der Leser wird um Verzeihung gebeten für die unregelmäßige Beschickung dieser Seite. PvM ist ganz im Ernst beschäftigt mit seinem neuen Roman, und blickt nicht rechts nicht links. Darüber hinaus, aber das erwähnten wir hier schon, revidiert er den ersten Band eines älteren Textes, der in Bälde erscheinen wird. Immerhin verliert er das Thema der „menschlichen Radikale“ nicht aus dem Blick, und das „Bewusstsein“ ist ein so unentrinnbares Radikal, dass er ihm erneut einen Beitrag widmet, genauer gesagt geht es um die Wörter, die im Bewusstsein auftauchen. Für die ungeordnete Form seiner Gedanken bittet er um Nachsicht, „Bewusstsein“ ist ein tautologischer Begriff, dessen Exploration nicht anders geschehen kann als im Schreiten von Selbstwiderspruch zu Selbstwiderspruch.)

Das Bewusstsein schaut sich um in den grenzenlosen Ländern des Bewusstseins.

He du, das ist doch eine Tautologie!

Weiß ich auch, aber die Dinge sind, wie sie sind, und ich muss sie sagen, wie sie sind. Das Bewusstsein schaut sich um, es ist seiner selbst bewusst, natürlich ist es das, das geht ja schon aus dem Wort hervor, aber es ist ortlos, denn es ist mit sich selbst identisch. Es hat keine Grenzen. Das ist die Wahrheit. Das Bewusstsein kennt sich nicht.

Wohin es auch geht, das Bewusstsein, es ist selber schon da. Es findet sich selber vor, und niemals kennt es sich. Niemals weiß es, was ihm begegnet. Es biegt um die Ecke, und hat keine Ahnung, was da sein wird, hinter der Ecke, nur dass es selber da sein wird, das weiß es.

Das Bewusstsein erkennt und erschaut, aber es erschafft nicht. Es ist ganz außerstande zum Erschaffen, es kann nur beobachten. Was immer auftaucht im Bewusstsein, es kommt aus anderen Regionen. Worte Bilder Töne erscheinen im Bewusstsein, sie sind jetzt da, aber sie sind nicht im Bewusstsein geboren, und schon gar nicht vom Bewusstsein. Wo kommen sie dann her? Darüber macht sich das Bewusstsein Gedanken, aber siehe, die Gedanken, die es sich macht, sind wieder nicht geschaffen von ihm, sie tauchen bloß auf in ihm, woher kommen sie? auf jeden Fall aus dem Außerhalb des Bewusstseins. Alles, was im Bewusstsein ist, ist hereingekommen in’s Bewusstsein aus seinem Außerhalb. Von oben oder von unten, aus den Höhenräumen des Geistes, oder aus dem Hochdrängen der Triebe, des Willens, was immer. Was immer im Bewusstsein auftaucht, kommt aus dem Ringsum des Bewusstseins, und muss schon da gewesen sein, bevor es auftauchte im Bewusstsein, aber bewusst wird es erst, wenn es bewusst wird. das ist in der Tat tautologisch, aber die Tautologie rührt daher, dass wir nicht autonom sind. Unser Bewusstsein ist ein offenes Gefäß, in das stürzen ein die Dinge aus dem Ringsum.

Weil das Bewusstsein offen ist, können wir es nicht überschreiten. Wir erreichen die Grenzen des Bewusstseins niemals. Irgendwo müssen wir uns einen Event Horizon denken, da die Inhalte hereinströmen und hereinstürzen in’s Bewusstsein, diesen Horizont erreichen wir aber nie, denn egal wie eilig und eifrig wir uns der Peripherie nähern, wir geraten doch immer nur in neue Räume des Bewusstseins. Das eröffnet die Wahrscheinlichkeit, ja Gewissheit, dass die Inhalte des Bewusstseins nicht aus dem Bewusstsein selbst kommen, schon gar nicht im Bewusstsein geboren werden, sondern vielmehr hereindringen aus dem Außerhalb, ohne dass das Bewusstsein einen großen Einfluss darauf hat, welche Inhalte hereinströmen und welche nicht. Viel eher scheint es so zu sein, dass die Inhalte selbst entscheiden, ob sie sich im Bewusstsein geltend machen wollen. Vielleicht ist manches Bewusstsein auch mit einer gewissen federnden Resonanz ausgestattet, die es für gewisse einströmende Inhalte attraktiv macht. Das Bewusstsein wird nur dann von Melodien heimgesucht, wenn es diesen ein intuitives Verständnis entgegenbringt und etwas mit ihnen anzufangen weiß. In einem eher rechnenden Bewusstsein tauchen keine rätselhaften Geschichten auf. Sie werden schon wissen, warum nicht. Und wenn sie nicht wollen, geschieht eben nichts, das Bewusstsein erzwingt da gar nichts, es kann nur hinnehmen, was kommt, und zuweilen tut es nicht einmal das, sondern sucht in unbegreiflicher Verblendung die wenigen Inhalte, die sich überhaupt noch herbeilassen, zu bevormunden.   

Die Gelände des Ringsum müssen von ungeheurer Weite sein. Sie scheinen von Inhalten geradezu durchtobt, durchlebt von purzelnder, überbordender Fülle. Nur ein Bruchteil von diesen Inhalten kommt an im Bewusstsein. Dem Bewusstsein aber scheint, von allen Seiten, von allen Horizonten her kommen die Inhalte herbei, kommen hereingestürzt wie Starenschwärme, oder segeln durchs Oberhalb wie die majestätischen Flottillen der weißen Sommerwolken.

Und natürlich kommen die Hasser hereingetrampelt, auch die sind plötzlich da, sind hereingebrochen über die Außengrenzen, und das Bewusstsein weiß nicht, wie es sich wehren soll, davon habe ich schon geredet.

Das Bewusstsein wünscht sich eine weite Mauer um die Grenzen, auf deren Kronen sollte eine nackte Göttin zugange sein, zornsprühend die Feueraugen, und sie wird dem heranbrandenden Geander die Nagelpeitsche durch die Fresse reißen.

Das Bewusstsein betet darum, dass eine solche Göttin erscheinen möge, es betet vergeblich, es muss sich selber behelfen.

Einstweilen träuft ein in die Länder der bunte Regen der Wörter. Tanzende Schneewirbel, jagende Zwitscherschwärme, Wörter ohne Ende.

Das Bewusstsein hört zuweilen belehrende Stimmen, es mache die Wörter. Es weiß aus Erfahrung, sobald da Stimmen sind, die den Belehrungston anschlagen, lügen die. Das Bewusstsein macht alles Mögliche, aber bestimmt nicht macht es die Wörter. Die Wörter flügeln herein, sie stürzen ein, aus dem Außerhalb, aus jenem Außerhalb, das alle Bewusstseinsinhalte liefert, sich also kundtut im Bewusstsein, aber niemals selbst aufgesucht werden kann, denn wenn sich das Bewusstsein neugierig bewegt in Richtung jenes Außerhalb, findet es wieder nur Bewusstsein vor, in das Dinge einströmen – von draußen. Niemals gelingt dem Bewusstsein der Übersprung vom Bewusstsein in’s Außerhalb. Das Bewusstsein erlebt die Inhalte, die sich in ihm kundtun, aber den Ursprungsort der Inhalte: zu dem gelangt es nie.

Das Bewusstsein fühlt sich ergriffen von einer ungeheuren Lust am Wandern. Überall neue Dinge! Überall blühen die Wiesen hervor, Blüten und Gräser wiegen sich im Wind, die sah kein Auge zuvor, und der Wind weht, wie es ihm passt.

Aber die Wörter. Die Wörter zwitschern und tanzen, in geflügeltem Unmaß. Das Bewusstsein, in dem diese Wörter zugange sind, verlegt sich darauf, das Gezwitscher der Wörter mitzuschreiben. Das Bewusstsein entdeckt, die Wörter sind keine Einzelgänger. Natürlich sind sie das nicht. Sie tauchen ja auf im Schwarm. Es ist Zusammenhang in dem Schwarm, eine gewisse periphere, eine gewisse passagere Ordnung, die stellt sich ein für flüchtige Augenblicke. Das Bewusstsein schreibt diese Ordnungen mit, so gut es gehen will. Im Augenblick, da die Ordnungen aufs Papier gebannt sind, sind sie in der Wirklichkeit des Bewusstseins schon wieder entflattert ins Weithinaus. Es ist anzunehmen, da draußen im Außerhalb, da tummelt sich eine ganz unbegreifliche Fülle der Wörter, es dringen längst nicht alle ein in’s Bewusstsein, vielleicht noch nicht einmal ein Bruchteil von ihnen, wer kann das wissen, es gibt zu denken, dass die niedergeschriebenen Wörter in der Tat nur eine kleine Fraktion derer sind, die sich im Bewusstsein umtun, ohne deutlich wahrgenommen zu werden, das Bewusstsein sieht nur, da sind ungeheure Mengen von denen, fixieren lassen sich nur wenige, so liegt der Gedanke nahe, dass im Ringsum, im Außerhalb, noch einmal unbegreiflich größere Mengen von Wörtern zugange sind, von Wörtern in ihren Zusammenhängen, ohne sich im Bewusstsein geltend zu machen. Welche aber in’s Bewusstsein eintreten, wird wenigstens das vom Bewusstsein bestimmt? Natürlich nicht. Das Bewusstsein kann die Wörter nicht hereinzwingen in’s Bewusstsein, es weiß von ihnen ja erst, wenn sie in ihm auftauchen, und dass sie in ihm auftauchen, das veranlasst, das „macht“ das Bewusstsein nicht. Offenbar entscheiden die hereindringenden Inhalte selbst, dass sie sich im Bewusstsein geltend machen wollen – oder eben nicht.   

Das Bewusstsein liest noch einmal, was es mitgeschrieben hat, und entdeckt in dem Wörterstrom die weitläufigen Zusammenhänge einer Erzählung. Man nennt so etwas einen Roman, weiß das Bewusstsein.

Es hat getan, was es konnte, das Bewusstsein. Wäre es vermöge, hurtiger und aufmerksamer mitzuschreiben, es wäre ein ganz anderer Roman daraus geworden. Einer, in den die jetzt eben eingefangenen Worte irgendwie eingebettet wären, so dass alle Ereignisse, dort beschrieben, einen ganz anderen Sinn bekämen.

Es ist, wie wenn das Bewusstsein irgendwo im Nebel einer tastenden und ringelnden Schlankheit gewahr würde, ohne besondere Farbe, die scheint irgendwo von einem Baum herabzuhängen und suchend um sich zu greifen. Eine Schlange, zweifellos, schmal und elegant und und von einer gewissen Gewähltheit der Bewegungen. Womöglich die Schlange vom Baum der Versuchung? Da kommt eine bunter Wind gefahren, und die Nebel zerstreuen sich, und das Bewusstsein entdeckt, was es für eine Schlange gehalten hat, das war der Rüssel eines Elefanten.

Die Geschichte, die das Bewusstsein aufgeschrieben hat, die ließe sich deuten als eine Schlange. Wäre das Bewusstsein vermöge gewesen, mehr der Worte aufzufangen, viel mehr, so wäre ein Elefant dabei herausgekommen, und das ringelnde Schlangenwesen hätte immer noch einen guten Sinn, aber einen ganz anderen.

Ungefähr so entsteht Literatur. Deswegen wirken die wirklich guten Geschichten immer irgendwie unfertig, da ist noch ein viel größerer Zusammenhang, weiß das Bewusstsein, was soll’s, ich hab getan, was ich konnte, mehr war halt nicht drin.

Ich hab aufgeschrieben von alledem, was ich nur konnte.

Umsonst?

Nichts geschieht umsonst, oder alles. Vielleicht ist dies das Köstliche an den Dingen im Bewusstsein, dass sie umsonst geschehen.

Das Leben geschieht umsonst, und im Bewusstsein tummelt sich die Fülle der Zuträglichkeiten, alles umsonst.

Die Umsonstheit ist ein gewaltiges Land, da geschehen ungeheure Dinge.

(Peter von Mundenheim, 20.05.2025. Illustration: Hermann Corrodi, Tramonto dalle rovine, 1870. Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Hermann_Corrodi?uselang=de#/media/File:The_Roman_aqueducts_at_sunset_2000_NYE_08371_0070_000(010528).jpg, Public Domain. © Verlag Peter Flamm 2025)

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