Weldbrüggen, Erstes Buch: Die Dämonen

In Weldbrüggen geschehen Dinge, wie sie anderswo nicht geschehen. Der Roman hat nicht vor, sich dieser Erkenntnis zu verweigern.

Schauen wir uns, zu einer ersten Orientierung, den Klappentext an:

„Ayla meldet sich bei den Freunden, obwohl sie übereingekommen waren, nicht mehr zu reden. Schnell geben die anderen zu, die Besucher sind noch da. Diana erstaunt alle. Quirin fährt zu Ayla. Rätselhafte Dinge geschehen dort, er berichtet den Freunden, aber eine Erklärung hat er nicht. Ayla traut sich nicht mehr aus dem Haus. Jeremy  macht sich davon, Diana gibt den Freunden die Schuld. Ayla geht endlich doch hinaus, in tiefer Nacht. Sie tut Dinge, die sind unwiderruflich. Quirin sagt, so geht das nicht weiter. Er holt Ayla zu sich, nach Weldbrüggen. Die Besucher versammeln sich vor seinem Haus. Quirin bringt Ayla hoch zum Fons Affluens. Regina lauscht ihrer Geschichte, sagt nichts dazu. Ayla tritt erneut in Kontakt mit den Besuchern, Quirin und Regina werden Zeugen. Und endlich verschwindet Ayla. Quirin sucht die Umgebung nach ihr ab, Tag und Nacht. Der Weldbrüggener Geheimdienst beteiligt sich an der Suche, auf Reginas Anweisung. Regina bleibt unbeirrt, die taucht wieder auf, sagt sie. Woher willst du das wissen, fragt Quirin.“

Da wird der Leser ratlos gelassen, und wir haben nicht die Absicht, ihm weiterzuhelfen. Rätselhafte Dinge geschehen, so viel ist sicher. Die Ratlosigkeit des Lesers ist noch gar nichts gegen die Ratlosigkeit der Protagonisten. Ayla, die kleine türkische Heldin, die PvM mit unverhohlener Zuneigung umkleidet, weiß am wenigsten, wo und wie sie hier hineingeraten ist. Sie kommt oben auf den Fons Affluens – erklär ich in den kommenden Anmerkungen zum Zweiten Buch – und findet sich plötzlich in einem Dschungel wieder, in dem es zu regnen beginnt, warm und beharrlich. Nur Tage später stellt sie fest, dass dieser Dschungel in einem unveröffentlichten Manuskript Quirins auftaucht, genauer gesagt, es wird dort beschrieben, wie sie, Ayla, sich in diesem Dschungel fühlt. Memorabel bleibt, dass sie in einen Teich hinausschreitet, und dort von einem Koi umschwänzelt wird, den sie so entzückend findet, dass sie ihn aus dem Wasser hebt und an ihre Brust drückt und küsst. Wir verraten das hier, damit der Leser gewarnt ist. Nichts ist, wie es scheint. Regina Austri, die Chefin des Fons Affluens, ist in alles involviert, was geschieht, aber ob als Beobachterin, ob als heimliche Strippenzieherin, bleibt unklar. Dass der Weldbrüggener Geheimdienst sich in die Ereignisse einmischt – dass Weldbrüggen überhaupt so etwas wie einen eigenen Geheimdienst hat – ist leitendes Motiv des Romans bis zum Schluss.

Warum soll man sowas überhaupt lesen?

Es werden Themen verhandelt, die nicht wenige Leser berühren dürften. Vor allem wird dem Gefühl Ausdruck verliehen, dass hinter der Gegenwart der alltäglichen Welt sich ungeahnte Räume öffnen, aus denen heraus sich Wirklichkeit organisiert, dergestalt, dass die Wirklichkeit zuweilen marionettenhaft sich ausnimmt. Irgendwo sind da die Puppenspieler, die die Fäden ziehen. In der Wirklichkeit müssen wir uns alle gleichwohl zurechtfinden, wie aber das leisten, wenn niemals die Dinge so sind, wie sie scheinen?

Alle Gestalten des Romans haben ihr eigenes Päckchen mit sich zu schleppen, und sie beißen sich durch auf eine Weise, dass sie oftmals hinterher über sich selber den Kopf schütteln. Erzählt wird das nicht wirklich, denn die Personen sprechen sich selber aus. Der Roman besteht ausschließlich, von vorne bis hinten, aus Postings, die die Mitglieder einer kleinen Gruppe von Personen in ihrem privaten Forum veröffentlichen, zur Lektüre für die Gruppenmitglieder und niemanden sonst. Sie tun das unter der Vorraussetzung strenger Verschwiegenheit, werden aber von Anfang an das Gefühl nicht los, dass da jemand mitliest. Sie haben nicht viel gemeinsam, aber das eine doch: sie können alle diese fremdartigen Wesen sehen, die sie „die Besucher“ nennen, und die von der Mehrzahl der anderen Menschen nicht wahrgenommen werden. Die Frage „Wieso wir?“ stellt sich derart dringend, dass in ihnen der Verdacht wächst, wir stecken uns gegenseitig an, und damit beginnt der Roman: sie waren eines Tages übereingekommen, jeden Kontakt untereinander abzubrechen, in der Hoffnung, das Problem wird sich von selbst erledigen, bis endlich Ayla, die das Schweigen nicht mehr erträgt, um Hilfe ruft. Und sie geben alle zu, nichts hat sich geändert, wir sehen immer noch, was der Rest der Welt nicht sieht. Wesen, die nicht von dieser Welt sind.

Die meisten Leser werden darin wohl eine Metapher für den Einbruch des Übernatürlichen in eine geordnete Welt sehen, in der Fernseher, Autos, Internet den Takt angeben. Was passiert mit Menschen, die sich der Erkenntnis stellen müssen, dass die Welt des Wirklichen nur eine winzige Blase in einem ungeheuren Kosmos der Unbegreiflichkeit ist? Sie müssen sich nicht nur dem Druck des Unverständlichen stellen, sondern sehen sich auch noch der realen Gefahr gegenüber, dass die in den weißen Kitteln auftauchen und gut zu ihnen sind.

So weit wollen sie es unter keinen Umständen kommen lassen. Sie suchen Zuflucht beieinander, sie wohnen verstreut, in verschiedenen Städten, oder, wie Ayla, auf dem Land, sehen sich nur selten in Person, kommunizieren miteinander über ihre Nachrichten, deren Vertraulichkeit immer zweifelhafter wird, und erleben Tag um Tag, dass das Unbegreifliche näher rückt, bedrohlich näher. Sie erzählen ihrer Freundesgruppe, was sie erleben, ein jeder an seinem Platz, und in ihnen wächst ein Gefühl, das der Panik immer näher kommt.

Quirin versucht, wenigstens Ayla zu schützen, indem er sie zu sich nach Weldbrüggen holt. Hat er damit das Richtige getan? Oder sie nicht vielmehr erst richtig in den Strudel hineingezogen?

Belassen wir es bei diesen Andeutungen. Wer mehr wissen will, der kann sich den Beitrag „Bilder zu Weldbrüggen“ ansehen, Textproben bieten die Beiträge „Sex und Religion“, „Die gefallenen Engel und die Geschichte von Ischtar“, „Eine Muslima besucht eine christliche Kathedrale“, und der schon erwähnte Beitrag „Weldbrüggen“ informiert über die Entstehung des Romans.

In meinem nächsten Beitrag werde ich einige Bemerkungen über den zweiten Band fallen lassen, da erkläre ich auch kurz, was es mit dem Fons Affluens auf sich hat.

Hier noch die bibliographischen Details:

Weldbrüggen: Roman in drei Büchern. Erstes Buch: Die Dämonen. Schauernheim: Verlag Peter Flamm, 2. Auflage in drei Bänden, 2025 (1. Auflage in einem Band 2023). Kindle eBook: ISBN 978-3-946660-16-3, Paperback: ISBN 978-3-946660-19-4. Druckausgabe 436 Seiten. Erhältlich bei amazon.

(Peter Flamm, 01.04.25. © Verlag Peter Flamm, 2025)

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