„Es war einmal ein Junge, der war unglücklich bis auf den Tod.
Ein Engel Gottes kam und sagte: Wünsch dir das Lieblichste, das du dir denken kannst. Ich schenke es dir.
Nun war das Lieblichste in der Welt, das sich der Junge denken konnte, eine gewisse junge Pornoprinzessin, zart wie der Himmel im Frühling, mit hellen großen Augen, und Gebärden, die niemanden töten konnten.
Der Engel gewährte den Wunsch, und die Pornoprinzessin erschien, ihr Leben mit dem des Jungen zu teilen.
Endlich ist es geschehen, dachte der Junge, endlich, endlich. Das Wunder.“
Mit diesen Worten beginnt er, der „Gesang vom Heiligen Kind“, das sind die ersten Sätze, die ersten Sätze auf der ersten Seite von 5349, im ersten von sieben Bänden.
Das waren die Sätze, erzählt PvM, die mir eines Sommerabends im Jahr 2018 beim Radfahren plötzlich vor Augen standen. Die Sommerabende sind so warm und still und endlos in der Flussebene, und ich pedalierte mein Zweirad ziemlich ziellos durch’s Gelände, ich wollte etwas Neues schreiben und hatte verschiedene Ideen und mochte mich zu keiner entschließen, und plötzlich standen mir diese Sätze vor Augen, wie in goldenen römischen Lettern auf grau geädertem Marmor, und ich hielt an und kramte hastig mein Smartphone hervor und schrieb auf, was ich sah. Am nächsten Morgen setzte ich mich an meinen Schreibtisch und schrieb die Sätze ab aus dem Smartphone, und dann schrieb ich weiter und weiter und weiter, bis ich am 20.07.23 den letzten Punkt hinter den letzten Satz der Rohfassung setzte. Revision und Einteilung in die sieben Bände beanspruchten dann noch einmal mehr als ein Jahr, am 03.10.24 war die Arbeit getan. Ich war also insgesamt sechs Jahre zu Werke, sechs Jahre Lebenszeit, das ist ein Teil meines Lebens, den ich jetzt aus der Hand gebe, unterwegs lag ich auch einmal im Sterben, kam in’s Krankenhaus, wurde mit knapper Not wieder in’s Leben zurückgeholt, machte noch im Klinikbett weiter, tippte Wörter hinein in meinen Laptop, die sich mehr oder weniger von selbst zu Sätzen rundeten. Als ich im Sommer 2018 mit der Arbeit begann, dachte ich, das werden so ungefähr 80 Seiten, eine Novelle, mehr gibt die Grundidee nicht her –
Was ist denn die Grundidee?
Ein junger Kerl kommt mit einem bezaubernden Mädchen zusammen und denkt, dies nun mein Lebensglück, das Mädchen aber hat kein anderes Ziel, als ihm ihr eigenes Unglück um den Hals zu hängen, Unglück, das sie um keinen Preis selber tragen will, sie hat noch vor dem ersten Tag ihres Zusammenseins keinen anderen Gedanken als den, wie komm ich schnellstens aus der Sache wieder raus. Der Junge bindet sich an sie, unrettbar und hoffnungslos, er schenkt ihr, wie es in dem Roman heißt, unwiderruflich sein „Ja“, und als sie ihn verlässt, ist sein Leben zerstört. Er begreift irgendwann, dies ist das Schicksal, ihm aufgetragen, und der ganze Sinn seines Lebens liegt darin, diese Aufgabe treu zu erfüllen. Einem jeden Menschen, erzählt der Roman, ist sein ganz persönliches Schicksal mitgeboren, kein anderer Mensch kann dieses Leben leben, ein jeder Mensch ist sozusagen der Spezialist, der Facharbeiter seines eigenen Lebens, kein anderes Wesen im Universum kann dieses Leben leben, und gelungen ist das Leben, das seine Aufgabe erfüllt. So gesehen, gibt es kein misslungenes Leben. Das Gelingen eines Lebens misst sich nicht an Erfolg oder Misserfolg in der Welt, sondern allein an der treuen Erfüllung des Aufgetragenen. Sieger ist, der seine eigene Last, sein eigenes Leiden trägt bis zum Ziel, und seine Last und sein Leiden niemand anderem um den Hals hängt, Verlierer ist der, und sei er der Kaiser der Welt, der sich weigert, seine Last zu tragen und lieber andere leiden macht. Der erste wird eingehen in die Glorie der Ewigkeit, der andere der Verdammnis verfallen.
Der Verdammnis? darum geht es? um Erlösung und Verdammnis?
Es geht um SIE. SIE ist Kern und Inhalt des Romans, jedes einzelne Wort redet von IHR. Wiewohl von IHR gar nicht geredet werden kann, denn niemals kann SIE Gegenstand menschlicher Rede sein. SIE wohnt im Herzen eines jeden Menschen und trägt all seine Leiden und Mühen mit, bis zum Schluss. Das Menschtier, wie der Erzähler beharrlich sagt, ist frei, und es kann IHREN Geboten und Wünschen folgen, oder sich verweigern. SIE lässt das Menschtier nicht allein mit seinem Leben. SIE ist immerfort bei ihm und wispert ihm mit IHRER Stimme, IHRER weißen Stimme IHRE Wünsche und Weisungen zu, tu das, mein Kind, tu das nicht, wispert die Stimme in jeder Situation, und also weiß das Menschtier in jedem Augenblick, was gut und richtig ist. Es ist nicht so, dass SIE dem Menschtier die Gebote gegeben hätte und es ihm nun überließe, aus den Geboten in jedem Augenblick die Handlungsanweisungen zu destillieren: vielmehr flüstert IHRE Stimme dem Menschtier zu, was es in der konkreten Situation tun oder lassen soll. Die Gebote sind Krücken für jene, die IHRE Stimme so lange willentlich überhört haben, bis sie sie tatsächlich nicht mehr hören, und wenn jene bereuen und umkehren, bedürfen sie der Prothesen, das sind die Gebote. Das Menschtier aber kann IHRER Stimme nicht entrinnen, der Übeltäter weiß in jedem Augenblick, dass er Unrecht tut. Es gibt kein Unrechttun des Menschtiers in gutem Glauben. Auch die Stiefel, als sie die Anderen in die Gaskammern schickten, wussten, dass sie Unrecht taten. Sie entschuldigten sich hinterher auch niemals damit, dass sie gedacht hätten, etwas besonders Gutes zu tun, sondern sie sagten stets, da war ich nicht dabei, davon habe ich nichts gewusst.
Die Stiefel? Die Anderen?
Erklär ich jetzt nicht, das Verständnis stellt sich beim Lesen umstandslos ein, versprochen. Es tauchen noch auf die Mützen, und die Taschen. Sie sind alle Kinder des Hochgeleuchts. Lass mich für einen Augenblick noch bei IHR bleiben. SIE, Schöpferin Himmels und aller Erden, hat das Menschtier als frei erschaffen, es kann sich IHR also widersetzen. Es ist aber den Gesetzen des Zeitpfeils unterworfen. SIE jedoch ist die Schöpferin der Zeit, SIE ist vor aller Zeit, infolgedessen setzt SIE IHRE Ordnungen selbst. Es kann sehr wohl sein, dass die Folgen von Handlungen des Menschtiers lange vor seiner Geburt sich ereignet haben, und dass die Voraussetzungen seiner Handlungen erst in der Zukunft eintreten. Da der Roman das vollständige Leben des Jungen erzählt, greift er weit in die Vergangenheit zurück, und ebenso weit in die Zukunft, ist also nicht nur Gegenwartsroman, sondern auch historischer Roman und Science Fiction.
Jetzt wird es kompliziert. Was gibt es denn so Besonderes zu erzählen von dem Jungen?
Ein jedes Menschwesen ist geboren als singuläre, unverwechselbare Person, die ein persönliches, nicht austauschbares Schicksal hat. Dieser Individualität entspricht ein Satz von mitgeborenen Gewissheiten, deren der Einzelne jedoch erst im Laufe seines Lebens inne werden muss. Draußen wird viel geredet, und dem Kind, dem Heranwachsenden wird erklärt, wie es sich die Dinge zu denken habe. Vor allem wird dem Menschtier erklärt, es sei die Gemeinschaft, die recht habe, es sei die Gemeinschaft, so die Wahrheiten transportiere, auf keinen Fall dürfe es sich gegen die Gemeinschaft stellen. Die Gemeinschaft setze, was Gut sei was Böse. Tatsächlich muss jedes einzelne Menschtier erst verstehen, was es doch eigentlich schon weiß, und die Zusammensetzung und Färbung seiner mitgeborenen Gewissheiten sind durch und durch persönlich. Man müsste also, so sagt der Erzähler, die Geschichte eines Menschenlebens vielfach erzählen: zuerst wären die Erlebnisse zu erzählen, zu denen auch und vor allem die Bevormundungen durch das Geander gehören, dann das Verstehen dieser Erlebnisse, das Verstehen mag jedoch viel später im Leben sich einstellen, die Wirklichkeit eilt uneinholbar vorwärts, SIE erschafft die Welt jeden Tag neu, das Menschtier aber kann nicht in die Zukunft sehen, es kann immer nur das Vergangene deuten und verstehen, und hat es verstanden, so hält es nur die erstarrte und längst vergangene Wirklichkeit als nun verstandene in den Händen, die lebendige Wirklichkeit ist derweilen über alle Berge. Nach und nach wird das Menschtier seiner mitgeborenen Gewissheiten inne, und lernt die Verbindlichkeit dieser Gewissheiten zu verstehen. Eine absolute, mitgeborene Gewissheit des Jungen ist: SIE ist in der Tat eine SIE, ein Weibchen, wie er mit ehrfürchtiger Respektlosigkeit sagt, SIE wird von den Menschtieren in unzähligen Formen und Gestalten verehrt und angebetet oder geleugnet, wiewohl SIE die Menschtiere ausdrücklich ermahnt hat, ihr sollt euch kein Bildnis von MIR machen, die Menschtiere tun es dennoch, es ist IHR im Übrigen egal, ob das Menschtier von IHR als von einem ER oder als von einer SIE spricht, SIE wohnt im Herzen eines jeden Menschtiers und flüstert ihm IHRE Wünsche zu, und das Menschtier hat keine andere Aufgabe auf Erden, als SIE zu schützen und zu hüten in seinem Herzen, SIE, Schöpferin Himmels und aller Erden.
Das ist ein Roman. Gibt es da auch einen Bösewicht?
Versteht sich. Es gibt einen Bösewicht, den Bösewicht schlechthin, den Widersacher, den altbösen Feind, der Erzähler nennt ihn den Lederflügligen, die alte Schlange. Der Lederflüglige war einst geschaffen als ein goldgeflügelter Engel, von IHR geschaffen, IHR Gefährte zu sein, seine Stellung stieg ihm zu Kopfe, er fing an, sich für den Herrn der Welt zu halten, so verstieß SIE ihn, warf ihn in die Sümpfe unterhalb des Planeten Erde, aus Hass und Rache trachtet er danach, die Menschtiere zu verderben, um SIE zu treffen, die doch ein so besonderes Verhältnis hat zu den Menschen. Er bildet sich ein, er könne sich zum Herrn über das ganze Universum aufschwingen, in Wahrheit kann er nichts, gar nichts, er ist völlig impotent. Er ist auf die willigen Menschtiere angewiesen, Böses zu tun, die Menschtiere leihen ihm ihre Kraft und ihre Bosheit und ihre verworfenen Gedanken, er kann nicht mehr tun, als ihnen zuzureden, das tu, mein Kind, wenn sie sich IHREN Wünschen widersetzen. Da SIE die Menschtiere als frei erschaffen hat, ist von vornherein in einem jeden Menschen eine Kammer installiert, ausgerüstet mit einem Monitor und einem Schaltpult und einem Sitz, darauf der Lederflüglige Platz nehmen kann und von welcher Kammer aus er das ihm unterworfene Menschtier dirigiert – wenn ihn denn das Menschtier ausdrücklich hereinlässt, sich also von IHR abwendet. SIE verlässt das Menschtier selbst dann nicht, trägt alle Leiden seiner Knechtschaft unter dem Lederflügligen getreulich mit, bis zu seinem letzten Atemzug hat das Menschtier die Möglichkeit, umzukehren und zu bereuen und nach IHR um Hilfe zu schreien. Wozu drumherumreden – in dieser Welt, die der Roman beschreibt, haben sich die meisten Menschtiere zu Untertanen des Lederflügligen gemacht, der Erzähler weiß im Übrigen die Zahl der Erlösten, die zum Schluss bleiben werden, wenn SIE zu Gericht sitzt am Ende der Tage –
Du hast jetzt schon mehrfach gesagt, der Erzähler, wer ist das?
Das bekommt auch der Leser erst nach und nach mit. Der Erzähler sitzt an einem wunderschönen Ort oberhalb des geschaffenen Universums und erzählt die Geschichte des Jungen. Da er nicht nur das Erleben des Jungen erzählt, sondern auch die gewundenen Wege verfolgt, wie der Junge nach und nach zum Verstehen seines Erlebens kommt, ist er – der Erzähler – notwendig auf mäandernde Wege des Erzählens angewiesen, er springt vor und zurück in der Zeit, kommt wieder zurück auf bereits Erzähltes, um es unter neuen Perspektiven neu aufzubereiten, greift vor in die Zeit, lange nach den Zeiten des Jungen, wenn ein grundstürzendes Ereignis die Geschichte des Planeten auf eine neue Bahn gelenkt hat, dies Ereignis ist, was der Erzähler „die religiöse Wende“ nennt –
Sachte. Der Erzähler. Bleib erst mal bei dem.
Der Leser begreift nach und nach, der Erzähler ist körperlos, wie SIE ist er nicht der Zeit unterworfen, er ist ein Engel, einer aus den oberen Hierarchien, einer von ganz oben, der alleroberste der Engel, mehr verrat ich nicht. Er sitzt da oben an diesem wunderschönen Ort, und vor ihm versammelt ist eine Schar von neugeschaffenen jungen Engeln, geschaffen von IHR zu dem einen Zweck, nachher in alle Zeiten und Räume des Planeten Erde auszuschwärmen und dem Menschtier beizustehen, wenn es denn, das ist die Voraussetzung, aus eigener freier Entscheidung um Hilfe ruft, gegen den Lederflügligen. Diese Jungspunde zu belehren, hat SIE den Erzähler beauftragt, er soll ihnen alles mit auf den Weg geben, was sie zur Erfüllung ihrer Aufgabe wissen müssen. Er ist über diesen Auftrag höchst unbegeistert, er findet, das Menschtier macht auf seinem Planeten mehr Ärger, als es wert ist, und wie er mehrfach sagt, er würde am liebsten den ganzen Planeten in die Rapuse treten, und Ruh wär. Er hätte die Macht dazu. Da solches Vorgehen aber IHREN ausdrücklichen Wünschen widerpräche, und, sich den Wünschen der Chefin zu widersetzen, ungefähr das Letzte wäre, was ihm einfiele, kommt er knurrend dem Auftrag nach. Der Roman besteht aus nichts anderem als einer Wiedergabe der Ausführungen des Engels. Die jungen Engel sind naturgemäß überaus wissbegierig und brennen darauf, an ihren Einsatzort zu kommen, der Engel sagt ihnen nicht in jedem Fall, was er weiß, sondern beschränkt sich auf das, was zu wissen ihnen zur Erfüllung ihrer Aufgabe nötig ist. Und manchmal rutschen ihm dann doch Dinge raus, die wollte er eigentlich für sich behalten.
Jetzt. Was war das mit der religiösen Wende?
Der Junge wird in seinen verschiedenen Leben – er lebt nicht nur ein Leben, sondern wird in vielen parallelen Welten immer erneut wiedergeboren, um jedoch mehr oder weniger dasselbe Leben erneut zu durchleiden, aus Gründen, die dem Leser nach und nach einsichtig werden – immer in demselben Land zu derselben Zeit geboren, auch das Personal, dem er begegnet, verwirklicht sich in immer denselben Typen. Das Land ist das Kahle Land, die Geburtszeit des Jungen ist die Zeit wenig nach dem Ende der Stiefelherrschaft, Zeit des Lügens und Abstreitens, Zeit abgründiger moralischer Verwirrtheit. Zeit nach dem Massenmord an den Anderen, von dem die Kahlen immer nur zu rufen wissen, aber wir haben gar nichts davon gewusst. Der Junge gerät unter das Geelter, zwei Höllenfiguren, moralisch verworfen, charakterlich zerstört, von dem Erzähler das Ganzstiefelvieh und die Pferdeschnauzige genannt, die Tribulationen des Jungen werden im Detail erzählt, das muss uns jetzt nicht interessieren, wichtig ist, dass der Junge in den Reißwolf des Hochgeleuchts gerät, das sich nacheinander im Stiefeltum, dann in der Mützenreligion und schließlich im Taschenwahn verwirklicht. Das Hochgeleucht, zuweilen auch Hocherleucht genannt, oder auch Hocherweck, zielt seiner ganzen Abzweckung nach auf Massenmord, zwangsläufig, denn das Hochgeleucht versichert, SIE, gibt’s ja gar nicht, hat die Wissenschaft längst rausgekriegt, haha-hahaha! und in einer Welt, da es SIE nicht mehr gibt, ist es das Menschtier, das die Regeln setzt, zum Beispiel über lebenswertes und nicht lebenswertes Leben entscheidet, bildet es sich jedenfalls ein, in Wahrheit ist es das Menschtier unter der Gerechtsame des Lederflügligen. Der Junge erlebt den Untergang des Hochgeleuchts nicht mehr, und dennoch stirbt er in der Gewissheit, das Ende wird kommen. Es kommt auch, über verschiedene Stationen, endlich wandeln sich auf dem ganzen Planeten in einer gewaltigen Umwälzung die grundsätzlichen Einstellungen des Menschtiers, es ereignet sich „die religiöse Wende“. Die religiöse Wende ergreift global die Menschtiere, über alle Grenzen der Räume und Systeme hinweg. Sie verstehen, was sie schon immer wussten, dass SIE ist, und dass die Welt IHRE Schöpfung ist, und dass aller Sinn von Welt und Leben auf IHRER Existenz und auf IHREM Willen ruht. Natürlich hören sie nicht auf, SIE in unzähligen Formen und Gestalten zu verehren. Anders als die Hocherleuchteten an die Wand gemalt haben, bringt der Untergang des Hochgeleuchts keineswegs Tyrannei und Despotie der Religiösen mit sich, denn gleichzeitig mit der religiösen Wende globalisiert sich der Markt, der freie Markt der Gedanken und der Waren, die neu und leidenschaftlich erlebte Religiosität der Menschen verwirklicht sich in der Gründung von Tausenden und wohl gar Millionen verschiedenster Denominationen, die alle auf dem Markt miteinander konkurrieren und sich gegenseitig in Schach halten. Die Menschheit ist nun freier, als sie es jemals zuvor war. Die meisten Menschen, deren Zahl übrigens gegenüber den Lebzeiten des Jungen im Sinkflug begriffen ist, leben in den neuen Riesenagglomeration der unübersehbaren Städte, die sich jedoch mehr oder weniger von selber in überschaubare, fast dörfliche regionale Einheiten parzellieren. Die Wirtschaft wird beherrscht von einer gewissen Menge von Clans, die aus den alten mafiosen Familien erwachsen sind, und die ihre Macht hauptsächlich durch kluge Heiratspolitik mehren, die schönen Töchter, Elfen genannt, werden in verbündete Clans verheiratet, die Hochzeit einer Elfe ist ein Ereignis, das den ganzen Planeten in Aufruhr versetzt, die Clans sind so etwas wie eine neue Aristokratie. Dass ihre Macht nicht in den Himmel wächst, dafür sorgen die gewählten Administrationen, die ihre Aufgabe nicht mehr in der Politik, sondern, wie der Name schon sagt, in der Verwaltung sehen. Parteien sind obsolet geworden, die Administratoren werden nach ihrer Persönlichkeit und nach ihren Fähigkeiten gewählt. Die Administrationen sind die Wächter über die Freiheit des Marktes, sie sorgen dafür, dass die kleinen Marktteilnehmer nicht von den großen über‘s Geländer geworfen werden. Zwischen den Clans und den Administrationen herrscht ein immer neu austariertes Machtgleichgewicht, das jedoch in’s Trudeln kommt, als – ja. Die Menschen bilden sich ein, was sich Menschen zu allen Zeiten einbilden: sie seien nun die richtigen Menschen, und die Menschen früherer Zeiten seien irgendwie die falschen Menschen gewesen, jedenfalls noch nicht die richtigen. Die zurückliegende Zeit des überwundenen Hochgeleuchts wird als die „Zweite Dunkelzeit“ bezeichnet, Zeit, in der sich unvorstellbare Atrozitäten ereignet haben. Hier beginnt der Roman Dinge zu verhandeln, die ihm keine Freunde verschaffen werden.
Ich bin gespannt.
Das Hochgeleucht verwirklichte sich, wie schon gesagt, im Jahrhundert des Jungen in den Bewegungen der Mützen, Stiefel, Taschen. Zur Erklärung muss hinzugefügt werden, dass die Menschen nach der religösen Wende in der festen Überzeugung leben, dass das Menschtier in seiner körperlichen Existenz zwar von den Bedingungen des Planeten Erde abhängig sei, dass SIE aber im Augenblick der Zeugung in das werdende Menschtier eine unsterbliche Seele hineinsenkt, die rein aus IHRER Hand hervorgeht und sonst keine Voraussetzungen hat als eben IHREN Willen. Allein von IHREM Willen hängt ab, mit welchen Überzeugungen und Fähigkeiten das Menschtier geboren wird. Jedes Menschtier wächst also heraus aus seinem Ort und seiner Zeit, und steht doch mit einem zentralen Teil seiner Existenz quer zu allen weltlichen Bedingtheiten, das Menschtier ist immerfort fremd auf dem Planeten Erde, es hat dort nicht seine Heimat, es hat seine Heimat bei IHR. Unter einer solchen Voraussetzungen muss die eifernde Forderung des Hocherleuchts, ein jedes Menschtier habe sich einer vorausgesetzten Gemeinschaft anzuschließen, als ein Aufstand gegen SIE erscheinen. Die Gemeinschaften der Stiefel Taschen Mützen versuchten dem Menschtier einzureden, nicht IHRE Stimme, die doch in einem jeden Menschtier spricht, entscheide über Gut und Böse, sondern die jeweilige Gemeinschaft der Mützen Stiefel Taschen. Die Menschen nach der religösen Wende entsetzen sich über einen solchen Aberglauben. Gemeinschaft, so wissen sie nun, hat sich grundsätzlich vor dem Gewissen des Einzelnen zu verantworten, nicht umgekehrt. Niemals kann eine Gemeinschaft einem Einzelnen ihre Normen und Gebote aufzwingen. Die Gemeinschaft hat kein Gewissen, wie könnte sie, sie hat kein Bewusstsein, keinen Geist, kein zentrales Nervensystem, nichts, IHRE Stimme spricht allein in dem einzelnen Menschtier, und das Menschtier, das IHRER Stimme gehorcht, ist der Richter seines ganzen Universums. Also. Von der Basis solcher Überzeugung aus blickt nun eine schockierte Menschheit zurück auf eine Vergangenheit, da die Gemeinschaften unter der Rechtfertigung durch ihr angebliches Rechthaben zum Massenmord schritten. Die Stiefel, deren Imperium das kurzlebigste war, hatten um die zwanzig Millionen Opfer auf dem Gewissen. Die Mützen, länger die Mordkommandos regierend, um die hundert Millionen. Nun aber die Taschen. Sie hatten den Massenmord des „Großen Aborts“ zu verantworten. Als Großen Abort bezeichnen die Menschen nach der religiösen Wende das global epidemische Abtreibungsgeschehen, das in den knapp hundert Jahren von der allgemeinen Freigabe der Abtreibung in den Industrieländern bis zum Stillstand der Mordmaschine infolge der religiösen Wende global um die eine Milliarde Opfer forderte, eine Milliarde ungeborener Kinder, getötet im Mutterleib. Die Menschen nach der religiösen Wende entsetzen sich. Kinder, geschaffen von IHR, Kinder, gewollt von IHR. Wie konnten die das machen? Es entsteht eine global ausgebreitete akademische Forschung, die sich der Abklärung des Großen Aborts widmet, Forschung, die zunächst einmal mit Zahlen und Statistiken befasst ist. Beim Forschen übersehen die eifrigen Wissenschaftler, dass in der global vernetzten Bevölkerung Panik wächst. Wir sind doch auch Menschen, sagen die Menschtiere, die damals, die dieses Schreckliche gemacht haben, waren ebenfalls Menschen, ganz gewöhnliche Menschen, wie wir, was, wenn das wiederkommt, das Böse? Kann das uns ergreifen? Kann das herunterstürzen aus dem Weltraum und über uns kommen, dass wir genauso furchtbare Sachen anstellen???
Also ich –
Die Wissenschaftler der Abortforschung haben darauf keine Antwort, sie bemerken nicht einmal, was sich da zusammenbraut, sie sind damit beschäftigt, den Schrecken in immer neuem Detail auszubreiten, und dann tritt die Konzentranze auf den Plan. Die Konzentranze ist eine übergeschnappte Studentin, die spürt, dass eine verängstigte Menschheit Antworten will, und sie liefert. Die gesuchte Antwort soll vor allem Schuldige benennen, so dass die Menschen keine Angst mehr haben müssen, selbst zu Bösewichtern zu werden. Der Engel erzählt seinen lauschenden Lehrlingen, wie er, wider besseres Wissen, noch versucht, die sich abzeichnende Katastrophe durch einen Besuch bei seiner älteren Schwester, der destinatorischen Zurüstung, aufzuhalten. Die destinatorische Zurüstung webt in drei Gestalten am Weltgewebe, zuweilen zeigt sie sich auch als drei brauende Köchinnen, gehorsam allein IHREN Anweisungen, und da SIE IHRE Anweisungen in Bezug auf die Konzentranze schon gegeben hat, ist der Besuch des Engels bei seiner älteren Schwester so gut wie sinnlos, noch während er bei ihr sitzt, weben die drei seinen Widerspruch schon ein in’s Geweb, und das Unheil nimmt seinen Lauf. Die Konzentranze, Studentin auf dem Kontinent jenseits des Ozeans, vom Kahlen Land des Jungen aus gesehen, daher sie seinerzeit gekommen waren, dem Hineinschießen in Gesichter durch die Kahlen ein Ende zu setzen, benennt die Schuldigen am Großen Abort, offenbart, die seien immer noch zu Werke, fordert eine entsetzte Menschheit auf, diese Schuldigen nun zu bestrafen, um ein für alle Mal eine Wiederkehr des Schreckens zu unterbinden, und das Desaster nimmt seinen Lauf. Das erzähl ich jetzt aber nicht, das muss jeder Leser schon selber rausfinden, wie die Sache ausgeht, genüge zu sagen, die Menschtiere entdecken, als sie die Trümmer wegräumen, wir sind kein bisschen anders als unsere Altvorderen, wir sind noch immer dieselben Idioten.
Ich bin einigermaßen erschlagen. Und das wird alles erzählt?
Das ist nur ein kleiner Teil von dem, was erzählt wird. Hauptthema ist die Geschichte des Jungen. Warum gerade dieses Jungen? Er ist das Heilige Kind, er ist einer von den wenigen Menschtieren, die niemals in ihrem Leben dem Lederflügligen die leiseste Chance gelassen haben, in ihm Wohnung zu nehmen. Der Lederflüglige verfolgt den Jungen mit namenlosem Hass, immerfort dabei auf die Menschtiere als Werkzeug angewiesen, er selber vermag nichts und aber nichts. Der Junge, in seinen peinigenden Tribulationen, findet Trost an seinem Schreibtisch, an seinem Klavier, er ist todeinsam. Nachdem die Pornoprinzessin ihn verließ, bringt er es niemals wieder fertig, eine Beziehung zu einer Frau einzugehen, wiewohl er sich zu den Frauen leidenschaftlich hingezogen fühlt, er weiß auch warum, SIE hat das Menschtier als ihr Ebenbild geschaffen, und am reinsten zeigt SIE sich in den jungen Frauen. Die jungen Frauen jedoch zu Lebzeiten des Jungen verfallen den Taschen, der Junge wühlt sich durch sein Elend hindurch, er begegnet den sonderbarsten Erscheinungen, Konzentranzen gab es zu allen Zeiten des Menschtiers genug –
Was bitte ist eine Konzentranze?
Eine Konzentranze ist ein völlig leeres Menschwesen, das keine eigenen Gedanken fasst, sondern erwittert, was die Menschtiere einer bestimmten Gemeinschaft hören möchten, und ihnen sagt, was sie hören wollen. Die Sache endet immer in einer Katastrophe, und die überlebenden Menschtiere schreien dann, diese Konzentranze ist schuld, die hat uns all die furchtbaren Sachen eingeredet. In Wahrheit hat die Konzentranze den Menschtieren nur erzählt, was sie hören wollten. Der Chef der Stiefelbewegung war eine solche Konzentranze, er rief, ich bin euer Führer! und sie jubelten ihm zu, du unser Führer! und er befahl ihnen den Massenmord an den Anderen, aber sie gehorchten nur deshalb, weil sie vorweg schon wollten, was er ihnen anbefahl. Andere Gestalten, denen der Junge begegnet, sind die Cordjacke (das Ganzstiefelvieh, das in seiner Jugend Stiefel gewesen war, mutiert während einer Zeit der Erzählung zur Cordjacke, nachher zur Mütze), die Denunze und die Okkupanze, den Kennich nicht zu vergessen, er stolpert über die Selbstbemacher, Mütze Stiefel Tasche habe ich schon erwähnt, die Krithintler haben ebenso ihren Auftritt wie die Gemeinsamler und die Mitmacher und die Abstreiter und die Repugnanze. Es tritt auf die Fette mit dem Hackebeil, die in einem Tempel unter dem Standbild des Mädchens im blauen Kleid eine unschuldige Beterin massakriert, es treten auf die verschiedenen geistesgestörten Pädager, das Spindelmännchen und Die mit der eingeschränkten Lehrbefugnis, nach den Toden des Jungen der Brillante und der Elegante und die Nationalhistorikerin und die Dame vom See und der Doyen der Abortforschung –
Nach der Dame vom See ist ein ganzes Buch benannt –
Das fünfte. Die Dame vom See ist eine Gelehrte, ursprünglich aus der Taschenschule, die nach der religiösen Wende mit einem Buch, das den ganzen Globus bewegt, das Verhältnis zwischen Männern und Frauen auf eine neue Basis stellt, das Werk heißt „Gewalt und Offenbarung“, es wird im Detail abgehandelt, wie überhaupt verschiedene einflussreiche Bücher ihren Auftritt haben, wie zum Beispiel die historische Studie „Die zerbrochene Puppe“ des Brillanten, die das Ende des Hochgeleuchts einleitete, und auch eine mehrteilige auf dem ganzen Globus gesehene Fernsehserie über den Großen Abort, unter dem Titel „Verbrechen und Hochgesang“, verantwortet von dem Eleganten, oder des Doyen kurze, aber höchst einflussreiche Broschüre „Den Großen Abort denken“. Und noch andere. Die Dame vom See endet traurig, sie wird ihrer quälenden Depressionen nicht mehr Herr und ertränkt sich in der kalten See, der Erzengel trägt sie hinauf vor IHR Angesicht. Zwei Gerichtsverfahren werden ausführlich abgehandelt, das eine bringend das Ende der Kapuzen, also jener Gestalten, die in den elektronischen Spielzeugen die Tölentaifune dirigieren, als Richtkanoniere der ausgestreckten Zeigefinger, das andere die letzten Reste der Journalistenmacht erledigend, die nach der religiösen Wende noch übriggeblieben waren. Auftritte haben durch alle sieben Bände hindurch der Unnachahmliche, der Hofoperndirektor , die Geschwinde Schneiderin, der Meisterdramatiker von der Insel in der Silbernen See, die bunte Königin, und wer noch. Nichts bewegt den Jungen zu seinen Lebzeiten so sehr wie die Existenz der Artefakte auf Erden. Die Artefakte, heraus aus ihren übernatürlichen Ursprungswelten, dringen ein durch das undichte Dach des Menschlichen auf die Erde, und mehren die Wirklichkeit hienieden. Es sind die erratischen einsamen Kunstwerke, gekommen, die Menschtiere über ihre Wirklichkeit zu belehren. Die Artefakte sind aller Wirklichkeit vorgeordnet, was sich leicht beweisen lässt: Wüssten die Menschen nur von der Wirklichkeit einer gegebenen Zeit, niemals könnten sie aus dieser Wirklichkeit die dort und dann zur Wirklichkeit kommenden Artefakte ableiten. Umgekehrt aber: würde die ganze Wirklichkeit des Planeten Erde vergehen, und nur die Artefakte übrigbleiben, so könnten die Bewohner anderer Wirklichkeiten aus der Gesamtheit der Artefakte ohne weiteres die Wirklichkeit des Planeten Erde rekonstruieren. Es gibt übrigens solche anderen Wirklichkeiten, SIE hat erschaffen und erschafft weiterhin unzählige Welten in IHREM Universum, da freie und bewusste Wesen hausen, ähnlich dem Menschtier, das Menschtier würde noch Kontakt herstellen zu diesen, nach den Toden des Jungen, in der Zeit nämlich nach der religösen Wende ist der Planet, als globales Projekt, erst einmal damit befasst, den Nachbarplaneten zu kolonisieren, später wird es sogar gelingen, die Beschränkungen der Lichtgeschwindigkeit technisch zu überlisten, womit der Weg zu fernen Sternenräumen offensteht, aber das ist nur eines von vielen Themen, die eingeflochten werden.
Es tauchen nicht wenige Figuren auf, vermute ich?
Hunderte. Neben den schon erwähnten begegnet der Junge noch dem mallen Alten, dem Prägnanten, dem späten Mädchen, der starkknochigen Verhuschten, einer Menge Katzen, der Sylphide, der rundlichen Brünetten, verschiedenen Adiposen, der kleinen Astrophysikerin, nach seinen Toden spielt eine prominente Rolle in der Katastrophe mit der Konzentranze die Nationalhistorikerin, tätig in dem großen Land jenseits des Ozeans, daher sie einst gekommen waren, dem Hineinschießen in Gesichter ein Ende zu setzen, ohne doch das Hineinscheißen unterbinden zu können, der Junge begegnet immer wieder (und in allen Büchern der Erzählung) dem Mädchen im blauen Kleid, das, wovon der Junge nichts wissen kann, was aber der erzählende Engel im Detail ausführt, IHRE Lieblingsgefährtin ist, unermüdlich um die Wege ist auch die jüngere Schwester des Erzählers, die Wahrheit, zartes nacktes Mädchen, das an den unwahrscheinlichsten Stellen hochpoppt und sich gern damit vergnügt, dem Menschtier Possen zu spielen, das Mütterchen der Pornoprinzessin hat gegen Schluss einen dezisiven Auftritt, der Glänzende spielt seine Rolle, wie auch andere Pädopädager, eine schöne Frau mit blonden Haaren und nackten Brüsten aus Schnee und Rosen tritt auf, Grimmvettel und Kapaun haben einen bedeutenden Impakt auf das Leben des Jungen, wie auch die andere Großmutter, die der Junge mochte, wenn auch nicht besonders, im Unterschied zu der alten Tante (Tante, liebe Tante) die er liebte mehr als sein Leben und die ihn verriet, und so geht das weiter, bedeutende Vorhandenheiten im Leben des Jungen sind die knochige Katze, die Mumie, der Teddy, die Unschlacht (Rülpsrüpel und Wampenvieh), die Fleischkostüme, durchtobt von den Kotstürmen ihrer Verworfenheit, die Eventerregten, heimsuchend die Straßen, ein hocherregter Sitztänzer, der Dekan einer geisteswissenschaftlichen Fakultät, die Sekretärin einer Akademie für Sprache und Dichtung im Kahlen Land, zahlreiche Straßenbahnen und Brücken, der Heilige Hain und die Wohnung im Fünften Stock, über deren Brüstung rechtzeitig zu flanken der Junge verabsäumt hatte, die Enormen geistern durch alle sieben Bücher, das wichtige Wichtel hat seinen Auftritt wie auch der Krawallbruder und eine gezeichnete und umso lebendigere nackte Kriegerin, und was und wer noch, alles in allem müssen es Hunderte von Figuren und Orten sein.
Hunderte von Figuren. Und die „Pornoprinzessin“ ist unter denen noch nicht einmal so besonders prominent?
Doch. Sie ist in allen sieben Büchern gegenwärtig, sie ist eigentlich immer gegenwärtig, aber endlich erzählt wird ihre Geschichte erst ganz zum Schluss, im siebten Buch, sie ist sozusagen das Gravitationszentrum des Jungen, und ganz bestimmt seine Urkatastrophe, sein ganzes Leben erklärt sich aus der Begegnung mit ihr, sie ist der Inbegriff all dessen, was ihm zustößt, auch rückwärts, auch die Vorgänge in der Kindheit des Jungen erklären sich aus der Begegnung mit ihr, sie ist das Zentrum des Gewebs, in ihr laufen alle Fäden zusammen, und dem Leser wird es nicht anders ergehen als dem Jungen selbst, auch der Leser versteht die Geschichte des Jungen erst zum Schluss, wenn die Geschichte der Pornoprinzessin im Zusammenhang erzählt wird und nun auch verstanden werden kann, nachdem ihre Bedingungen wie auch ihre Folgen zuvor erzählt wurden. Ich weiß nicht, ob vor mir schon einmal einer eine solche Romankonstruktion versucht hat – in deutscher Sprache bestimmt nicht, das wüsst ich.
Hast du nie Angst gehabt, den Faden zu verlieren?
Jeden einzelnen Tag. Ich hatte auch beim Schreiben nicht wirklich den Überblick, ich hab mir keine Pläne und Schemata angefertigt, ich hab einfach immer weiter gemacht, Tag um Tag, es gab Passagen, vor denen hatte ich wirkliche Todesangst, ich sah sie auf mich zukommen wie einen rollenden Zug, und ich dachte, ich kann das nicht schreiben, ich mach das nicht, ich kann es einfach nicht, und dann kam der Tag und ich tat ich es doch, und las es und revidierte es und besserte und schrieb um, manche Passagen schrieb ich fünf Mal, bis ich mir sagen musste, besser wird das nicht mehr, und so näherte ich mich beharrlich dem Ende. Es wär beinah mein eigenes geworden, die letzten Seiten waren schon in den PC getippt, als ich in’s Krankenhaus eingeliefert wurde. Das mit der Krankheit war übrigens nicht so schlimm, wie es sich anhört, ich lag zum Schluss im Bett und kam nicht mehr raus, ich hatte aber keine Schmerzen, ich lag im Sterben und wusste es nicht und wusste es doch, und dann war das Manuskript der Grund, warum ich mich doch noch irgendwie aufraffte und mich auf die Straße schleppte, wo die Nachbarin mich aufsammelte und zur Ärztin brachte, denn ich lag und dachte, wenn ich jetzt nicht hochkomme und Hilfe hol, dann wird das Manuskript untergehen, es ist in meinem PC und nirgendwo sonst in der Welt, ich muss was tun.
Und wie geht es dir jetzt?
Dauerhaft beschädigt. Ich muss immer noch jeden zweiten Tag zur Dialyse, und davon werd ich wohl nie wieder runterkommen. In der Brieftasche hab ich einen offiziellen Ausweis, dass ich zu hundert Prozent schwerbehindert bin. Immerhin hab ich mich soweit berappelt, dass ich an schönen Tagen auf dem Rad zum Krankenhaus fahren kann, oder durch die Abendwiesen treideln, ich kann in die Bibliothek gehen und würdig an meinem Stock durch die Regale geistern, ich könnte Hilfe beanspruchen für meine Täglichkeiten, verzichte aber lieber darauf, denn wenn ich meine Wohnungstür hinter mir schließe, will ich allein sein. Und ich sitze an meinem Schreibtisch, jeden Tag, und vergesse auch mein Klavier nicht. Ich lebe, oh ja.
Pläne?
Etliche. Mehr, als ich jemals werde verwirklichen können.
Wirst du wieder für diese Seite schreiben?
Wozu? Niemand liest, was hier geschrieben steht. So, wie niemand meine Bücher liest. Aber sie sind in der Welt, das ist, worauf es ankommt. Ich habe sie geschrieben, kein anderer hätte sie schreiben können, und was daraus wird in der Welt da draußen, darauf habe ich keinen Einfluss. Ich habe genau das gelernt, was auch der Junge gelernt hat: es kommt darauf an, das Richtige zu tun, und das heißt, IHREN Willen zu tun, und alles andere liegt nicht in unserer Hand. Es muss uns nicht einmal bekümmern. Ich bin mir ziemlich sicher, wenn ich erst einmal tot bin, wird einer kommen und meine Bücher „entdecken“, und dann wird er sich einen Namen machen mit seiner „Entdeckung“, und ein Verlag wird mächtig viel Geld machen mit dem Vertrieb meiner Werke, und ich werde liegen und die Beine ausstrecken und nichts wissen und auch nichts wissen wollen. Dafür, dass einer kommen kann und meine Werke „entdecken“, ist vorgesorgt, denn sie liegen jetzt als Exemplare auf Papier in der Deutschen Nationalbibliothek, in doppelter Ausfertigung, und dort sind sie auf Jahrhunderte hinaus erst mal gesichert. Und mehr muss ich nicht wissen.
Dank dir für das Gespräch.
(Das Gespräch mit Peter von Mundenheim führte Peter Flamm am 15.10.2024, es seien nun noch die bibliographischen Einzelheiten nachgetragen. Das Gesamtwerk führt den Titel „Gesang vom Heiligen Kind“ und umfasst sieben Bände, alle auf Papier und als E-Book erhältlich bei amazon. Die Bände sind im Einzelnen:
Gesang vom Heiligen Kind. Erstes Buch: Der Verdacht
Schauernheim: Verlag Peter Flamm, 2024. Druckfassung 767 Seiten. Kindle eBook: ISBN 978-3-946660-00-2. Paperback: ISBN 978-3-946660-01-9
Gesang vom Heiligen Kind. Zweites Buch: Die Wiederkehr der Elfen
Schauernheim: Verlag Peter Flamm, 2024. Druckfassung 760 Seiten. Kindle eBook: ISBN 978-3-946660-02-6. Paperback: ISBN 978-3-946660-03-3
Gesang vom Heiligen Kind. Drittes Buch: Die zerbrochene Puppe
Schauernheim: Verlag Peter Flamm, 2024. Druckfassung 763 Seiten. Kindle eBook: ISBN 978-3-946660-04-0. Paperback: ISBN 978-3-946660-05-7
Gesang vom Heiligen Kind. Viertes Buch: Das Geheul der Verdammten Schauernheim: Verlag Peter Flamm, 2024. Druckfassung 800 Seiten. Kindle eBook: ISBN 978-3-946660-06-4. Paperback: ISBN 978-3-946660-07-1
Gesang vom Heiligen Kind. Fünftes Buch: Die Dame vom See
Schauernheim: Verlag Peter Flamm, 2024. Druckfassung 820 Seiten. Kindle eBook: ISBN 978-3-946660-08-8. Paperback: ISBN 978-3-946660-09-5
Gesang vom Heiligen Kind. Sechstes Buch: Die Traurigkeit der Wäscheklammern Schauernheim: Verlag Peter Flamm, 2024. Druckfassung 673 Seiten. Kindle eBook: ISBN 978-3-946660-10-1. Paperback: ISBN 978-3-946660-11-8
Gesang vom Heiligen Kind. Siebtes Buch: Vor dem Tor
Schauernheim: Verlag Peter Flamm, 2024. Druckfassung 766 Seiten. Kindle eBook: ISBN 978-3-946660-12-5. Paperback: ISBN 978-3-946660-13-2
© Verlag Peter Flamm, 2024.)