Eine Muslima besucht eine christliche Kathedrale

… erzählte alles QvW, während mir der Kies unter den Füßen krabbelte und kitzelte. Es gab einen mäandernden Teich zwischen viel Schilfgebüsch, mit diesen kleinen Enten, die aussehen wie aus Holz geschnitzt und bunt lackiert, und blühende Büsche und viele Winkel mit überraschenden Ausblicken, und über uns waren immerfort die ungeheuren Türme der Kathedrale, je öfter ich hochguckte, desto höher schienen sie mir, ich sah einen Umgang im Gemäuer, mit Säulchen geschmückt, und das schräge Dach, hoch wie eine Steilwand im Gebirge, stell ich mir so vor, bin noch nie im Gebirge gewesen, und da waren überall Türmchen und Fenster und steinerne Bögen ohne Ende, da war eine ganze Stadt dort oben, steinerne Figuren standen da rum, und QvW erzählte weiter, „da oben sind auch kleine Hütten und Katen, geduckt in Winkeln im Gestein, da haben sich Leute versteckt, während der Nazizeit, die haben sich versteckt vor dem Statthalter, den uns die Nazis auf’s Auge gedrückt hatten und der mit seinen Schlägertrupps die Stadt beherrschte, und der Messner, also der Hausmeister von der Kathedrale, hat heimlich Essen und Wasser hochgebracht, und regelmäßig die Pisspötte entsorgt, das wär nur eine Legende, ist lange behauptet worden, dann sind die überlebenden Zeugen ausfindig gemacht worden, und die Geschichte ist bestätigt worden, sogar vor Gericht, und der alte Mann, der Messner, hat noch gelebt, der Helmuth Brautsteig, so hieß der, jetzt erinnere ich mich, Helmuth mit „h“, das war dem wichtig, der hat Leserbriefe geschrieben, wenn eine Zeitung das falsch gemacht hat, der hat also eine Einladung nach Israel bekommen, er konnte kaum mehr laufen, hat sich berappelt und hat sich nach Jerusalem fliegen lassen, dort wurde er in einer feierlichen Zeremonie in Yad Vashem in die Liste der ‚Gerechten unter den Völkern‘ aufgenommen, er durfte das noch erleben, unter ungeheurer Anteilnahme von uns Weldbrüggenern, die wir uns einmal mehr bestätigt fühlen durften, wir waren das nicht mit den Nazis, das waren die Deutschen, die drüben im Reich.“

Und ich hab natürlich geschnieft, als QvW diese Geschichte erzählte, ich liebe das, Geschichten von Rettung und Überleben, das will ich auch, gerettet werden, oh ja bitte, bitte.

Und der Kies hörte nicht auf zu kitzeln, unter meinen blanken Sohlen, irgendwie fand ich meine Idee mit dem statement piece jetzt so richtig gut. Ich weiß jetzt schon, wenn ich mich später mal an diesen Tag erinnere, werd ich immerfort an diese seltsamen Gefühle unter meinen Füßen denken.

Und schließlich steuerten wir von der Seite her auf das Hauptportal zu. Die Glocken schlugen die volle Stunde, und der Schall fiel vom Turm herab wie ein goldenes Gewicht und schlug auf dem Vorplatz auf, das gab ein wummerndes und schrummendes Getön, wie füllige Gesänge, ich weiß auch nicht, wie ich das erklären soll, es klang ein bisschen wie in der Badewanne, wenn ihr den Kopf unter Wasser taucht und mit dem Knöchel an den Wannenrand klopft, das schallt und hallt und tönt und hat Echos, und ungefähr so klangen die Glocken auf dem Vorplatz, der hatte natürlich auch Kopfsteinpflaster.

Mir war feierlich und ängstlich zumute, es standen ziemlich viele Touris herum auf dem Platz, und da waren breite Treppen, und zu Seiten der Treppen gemauerte Bögen, ganz seltsam gestaffelt, wie Vorhänge, und in den Falten standen vornehme Gestalten, die sahen auf mich herab, Männer und Frauen in reichen Gewändern, die erinnerten mich an die Gewänder der Reisenden da unten im Bauch des Raumschiffs, und manche schauten ernst, manche freundlich, die Frauen lächelten zuweilen ein sonderbar liebliches Lächeln, mit Grübchen in den Mundwinkeln, und alle sahen sie mich an, und die Stufen unter meinen Füßen waren warm, warm wie ein menschlicher Körper, da war immer noch das Licht der sinkenden Sonne, und vor uns waren gewaltige Portale, mit Messing beschlagen, die mussten ungeheuer schwer sein, die werden nur zu den hohen Feiertagen geöffnet, sagte QvW, zur Seite waren mehrere kleinere Türen, die standen einladend geöffnet, Touris kamen heraus oder gingen rein, und auf einmal dachte ich, ich hab kein Recht, hier reinzugehen, ich bin eine Muslima, und ich sah noch einmal zu den lächelnden Frauen hoch, die hatten alle irgendeine Art von Kopfbedeckung auf, sowas wie Krönchen manche, andere hatten einfach einen Zipfel ihres Gewandes über den Kopf gezogen, und ich dachte, müsst ich nicht ein Kopftuch tragen, und Schuhe hab ich auch keine an, die Frauen unter den Touris, die gingen ein und aus, und trugen auch alle offene Haare, und QvW sagte ganz trocken, „rein mit dir, die freuen sich da drin, wenn du kommst“.

Und ich fragte, „darf ich das?“ ich fragte das wirklich, „darf ich da rein?“ und QvW sagte, „wenn du das sehen willst, dann musst du auch rein, von draußen siehst du nichts“.

Ich hatte Herzklopfen, richtiges Herzjagen, und ich weiß nicht einmal, warum. Da jetzt reingehen – unwiderruflich – irgendwie so. Vor allem mal, das ist kein Gebäude, ich meine, die Kathedrale. Wirklich nicht. Das ist was, das ist einfach da. Ein Wesen. Wenn ich da reingehe, das ist nicht mehr rückgängig zu machen. Das ist der Punkt. Wenn ich da reingehe, bin ich ein für alle Mal die, die da reingegangen ist.

An QvW’s Arm. Der schöne Mann ging einfach weiter und zog mich mit, die Steinstufen waren so warm, und die Frauen in den Bögen um die Tore, die lächelten so lieblich, und alles war so hoch, so riesig, und alles sah mich an. Die Steine sahen mich an, und die redeten. Da wurde überall geredet, da war ein Gespräch im Gange, äußerst feierlich, irgendwo wurden Ankündigungen ausgerufen, richtig mit sonorer Stimme, erhaben, überall waren Sätze, die wollten was gelten.

Wir gingen durch eine der seitlichen Eingangstüren, und da war diese Maus. Ernsthaft. Die Tür stand offen, nach innen, und wenn Türen offenstehen, da ist immer ein Spalt zwischen dem Pfosten und der Türkante, und in dem Spalt saß eine Maus, die machte Männchen und sah zu mir hoch, eine richtige kleine graue Maus, mit süßen schnobernden Barthärchen, und sie hielt die Vorderpfoten in die Luft, und ich tappte auf bloßen Füßen auf sie zu, und meine Zehennägel schimmerten, weil, das hab ich wohl nicht gesagt, weil, nachdem mir der Gedanke gekommen war, ich geh heute barfuß raus, als statement piece, hab ich mir natürlich die Zehennägel lackiert. Perlmutt. Und die Maus war grau und hatte schwarze Augen und schnupperte, die Augen waren schwarz wie Jade, und weil die Maus so grau war und ihre Augen so schwarz, sahen meine Füße aus weiß und rosenrot, und da war dieser Perlmuttschimmer, alles auf einmal, das war einfach schräg, und entschieden zu viel für mich, ich ließ QvW’s Arm los und bückte mich und pflückte die graue Maus aus ihrem Winkel, die ließ sich das einfach gefallen, ich hielt sie in der hohlen Hand, und ich spürte, wie sie da ein bisschen herumstöberte, sie versuchte, den Ausgang zu finden zwischen meinen Fingern, und dann gab sie Ruhe, saß in meiner Hand, Vorderpfoten auf meinem Zeigefinger, und guckte raus, wie einer zum Balkon runterguckt, und als ich sie mit dem Daumen ein bisschen streichelte, zwinkerte sie, und ihre Barthaarte zitterten und waren dünn wie Spinnweben.

„Na ja“, sagte QvW, „Kois gibt’s hier nicht.“

Ich lächelte ein bisschen einfältig, um nichts in der Welt hätte ich es über mich gebracht, die graue Maus auf den Boden zu setzen. „Wovon lebt die hier?“ fragte ich.

„Das ist eine Kirchenmaus“, sagte QvW, „üblicherweise leben die von Wachsresten.“

Weiß nicht, ob der das ernst meinte, es schien mir einleuchtend. Kerzen. QvW schob mich weiter, denn hinter uns waren Touris, die wollten auch rein, und dann waren da Kerzen. Überall. Brennende Kerzen, Kerzen die sangen. Die sangen nicht nur, die tanzten. Überall. Wir traten ein ich trat ein, ich weiß noch, da war etwas wie ein Vorraum, eine ungeheuer hohe Halle, steinern, nicht besonders hell, und dann kam eine Wand, eine Wand aus Säulen und Pfeilern, und darin waren nochmal Türen, und ich wusste nicht, was das alles bedeuten sollte, egal, mein Herz wollte nicht aufhören zu jagen, ich hielt meine Hand mit der Maus an meine Brust gedrückt, und die Maus ließ sich von mir tragen und schaute von ihrem Balkon hinaus in die Welt, und mit der anderen Hand hielt ich mich an QvW’s Arm fest, und wir traten durch diese andere Tür, durch diesen anderen Durchgang, und dann ging das mit den Kerzen los.

Schwebende Lichter tanzende Lichter singende Lichter. Ganze Chöre von Lichtern, die klangen wie sausende und brausende Chöre von elektrischen Gitarren, ihr kennt das, wenn in einer Ballade der feierliche Chorus beginnt, und ewige Liebe geschworen wird, und jetzt fängt an eine neue Welt, so klang das.

Und die Lichter tanzten vor Fenstern. Fenster schmal und hoch, Millionen Fenster, so hoch wie die ganze Welt, und die Fenster schwebten, ihr müsst das verstehen, die standen frei über uns in der Luft, und zwischen ihnen jagten Pfeiler in die Höhe, die wollten unbedingt den Himmel erreichen, die jagten schneller hoch als Fontänen von Wasser, sprangen aus der Erde und jagten hoch in den Himmel, die hörten gar nicht auf damit, und zwischen ihnen schwebten diese Fenster, buntes Geschiller und Geglitzer in allen Farben, und Licht kam herein, das wollte unbedingt rein, weil es mit den tanzenden und singenden Kerzen was haben wollte, all diese Flämmchen, die da überall schwebten, die badeten richtig in dem Licht, das durch die Fenster hereinkam, in dem Licht von draußen, was war das nur für ein Licht, eben ein Licht aus dem Draußen, weiß nicht, wo das herkam, auf jeden Fall, von ganz weit her, das hatte eine endlos weite Reise hinter sich, das Licht, um durch diese Fenster hindurch diesen innigen süßen kleinen Flirt zu haben mit den Kerzenflämmchen, oder war das was Ernstes zwischen denen, was richtig Ernstes, kann ich nicht wissen.

Und da war ein gewaltiges Bündel von Säulen, steinerne Säulen, die richteten gewaltig sich auf, mir wurde ein bisschen schwindlig, ich legte den Kopf in den Nacken, und der schöne Mann hielt mich fest, denn ich taumelte ein bisschen, und da oben waren die Gewölbe fremder Himmel, mit Sternenbahnen überkreuz, und ich drehte mich um, um zu sehen, woher wir eigentlich gekommen waren, und da war die Wand weg, die war auf einmal weg, dabei wusste ich genau, wir waren durch Türen gekommen, zum Beweis hatte ich die kleine graue Maus in der Hand, die hatte in der Tür gesessen, da hinter uns war keine Wand mehr, da war nichts als eine ungeheure gleißende und brennende Rose, riesenhoch, schwebend in der Höhe, und Licht fiel ein, Licht aus diesem unbegreiflichen Draußen, Licht durch die Rose.

Die Rose drehte sich in den Himmeln, vor einem Hintergrund aus Nacht, und Licht dröhnte herein, brüllend wie ein Sturzbach wie ein Wasserfall, ich hab das gesehen, mit Augen, Gischt spritzte da, wie von Meereswogen im Sturm, wie wenn die Brandung an Klippen sich bricht, so flogen Fetzen von Licht durch die Luft, wie Schaum von den Mäulern jagender Pferde, durch die braune und goldene Luft hier drinnen, und die Flämmchen tanzten und kicherten vor Entzücken, und ich hatte auf einmal Angst, dass die Welt nicht standhält, versteht ihr, dass plötzlich die Wände der Welt einkrachen und der Donner der Lichtfluten hereinbricht und alles wegschwemmt, dafür war diese Rose da, verstand ich auf einmal, diese gewaltige Rose aus Feuerrot und Mitternacht und Gewitterblau, ich sah die Blitze zucken, da war Geburt der Donnerwesen, geflügelte Drachen entsprangen, und ich sah, das war die Aufgabe dieser Rose, ein wenig von dem Licht durchzulassen, so dass das Licht die süßen tanzenden Flämmchen hier drinnen ficken konnte, die trieben es miteinander, in ihrem Meer aus Braun und Gold, der ganze Ozean aus Licht da draußen, der brach nicht herein durch die Rose, die Rose hielt stand, die Rose war dazu da, ein bisschen von all dem Licht durchzulassen, aber auch, das brüllende und johlende Meer da draußen zu halten, wo es hingehört, draußen, weit oben, über uns, und ich verstand auch, was da los war, in diesem Ozean aus Licht, was das bedeutete, dies Brüllen und Grölen und Johlen und Donnern, die lobten Gott da oben, die tobten und schrien vor Begeisterung, der Gischt klatschte gegen Felsentürme hinauf ins Oberhalb, hinauf zu den Gesängen der Höhen, wo Gott wohnt, und das Licht jubelte und johlte, dass es mein Fleisch in Fetzen gerissen hätte, uns alle in Fetzen, mich QvW die Maus in meiner Hand die Touris alle, wäre da nicht diese Rose gewesen, die den tobenden Himmelslärm gerade so weit durchließ, dass etwas wie ein Echo hindurchdrang, wer könnte das auch ertragen, wer könnte das hören mit ungeschützten Ohren, den Jubel der Milchstraßen?

Ich hörte die Stimme von QvW an meinem Ohr, seltsam gedämpft und dunkel, wie durch Wolle, „willst du dich setzen?“ fragte er, und ich schüttelte hastig den Kopf, mir dachte, wenn ich mich jetzt setze, komme ich womöglich nicht wieder hoch, wie es alten Frauen zuweilen passiert, so war das bei meiner alten Oma, die setzte sich eines Tages in ihren Lieblingssessel vor dem Fernseher und kam nicht wieder hoch, das soll mir nicht passieren, dachte ich, nicht hier drin, nicht in der Christenkirche, nicht in der Welthöhle, nicht unter diesem Sturm von Abend her.

Ich war so froh, dass ich keine Schuhe anhatte, denn ich fühlte unter meinen Sohlen, dass ich noch den Boden berührte, so wurde mir nicht schwindelig, jedenfalls nicht sehr, und ich wusste, wir fliegen nicht so einfach durch die Luft, QvW und ich und die Maus in meiner Hand, wir bewegen uns ordentlich auf der Erde, da sind Steinplatten unter mir, weiche Platten aus Sandstein, unter denen ruhen zufrieden die Toten, die Gesichter zu uns hinaufgewendet, und ich sah Bänke aus leuchtendem Braun, das gleißte so sehr, dass mir die Augen tränten, ihr müsst euch das so vorstellen, da ist Abend, und über euch, da ist ein Tumult von tintenblauen Wolken, das Gewitter wird gleich losgehen, und ihr rennt, ihr wollt heimkommen, bevor die ersten Tropfen platschen, da jagen schon die ersten Windstöße, es ist Abend, und die Sonne steht ganz tief, und im Westen öffnen sich noch einmal die Wolken, Sonnenlicht fällt durch, fast waagerecht, waagerechte Sonnenstrahlen unter den schwarzblauen Gewitterwolken, und der waagerechte Schein der Sonne fällt auf die Blätter und die Baumstämme, da ist auf einmal überall Grün und Braun, von einer Gewalt, wie ihr das noch nie gesehen habt, so leuchteten diese Bänke, da in der Kathedrale, unter den zuckenden Flämmchen, und die Flämmchen wanden sich und jauchzten in der Umarmung des Lichts.

Und da traten überall Figuren herein, die kamen aus den Wänden und aus den Säulen, da war Geräusper und Summen, manche hielten aufgeschlagene Bücher in der Hand und wiesen darauf, und in den Gewändern war Gold und Rot und ein Blau, so tief wie der Himmel in der Sternennacht, und ich weiß nicht, was für Gewänder das waren, die die trugen, ich wünschte, ich würde mehr von Mode verstehen, um euch das zu beschreiben, auf jeden Fall waren da Falten, gewaltig viele Falten, mit Absicht, die hatten Freude daran, die Gestalten, feierlich all diesen Faltenwurf um sich zu spüren, und vor allem die Frauen, die konnten das, die hielten den Faltenwurf mit den Fingern fest, und die Finger waren so weiß und zierlich und zerbrechlich, wie Porzellan, und spielten mit den Falten, sie machten das mit Vorsatz, die Frauen, sie wussten, wie niedlich und zierlich und kostbar das aussah, wenn sie mit ihren weißen Fingerchen mit den Falten spielten, und einer von den Kerlen, mitten unter ihnen, war ganz einfach in ein grobes Fell gekleidet, den mochte ich, weil er mit seinen stämmigen Bauernbeinen so fest auf der Erde stand, das ist Johannes der Täufer, hört ich die Stimme von QvW, die war neben mir und gleichzeitig weit weg, ich hörte sie wie die Stimme eines Ausrufers, der vor unklaren Tafeln erklärende Worte ausruft, das kann der schöne Mann gut, erklären, dachte ich, der wird mir das alles zu erklären haben, nachher.

Dann war da etwas, was QvW „Altäre“ nannte. Das waren steinerne Tische, behängt mit kostbaren Stoffen, und Blumen standen darauf, und funkelnde Kerzen, über dem Tisch trat gewöhnlich eine würdige Gestalt aus der Wand, die schaute ernst hinunter auf alle, die sich zu ihren Füßen versammelten, denn da waren Bänke, alle von diesem starken glänzenden Braun, und manchmal waren die Bänke und der Altartisch mit der Figur darüber umgittert, man musste eintreten wie durch ein Gartentor, das Tor war nicht verschlossen, man konnte hineingehen und sich hinsetzen, und das Tor klirrte und schmetterte, wenn man es öffnete oder schloss.

Das hab ich alles gesehen.

Und gehört hab ich Dinge, sonderbare Dinge, hallende Rufe, zuweilen ein Klappern oder Schaben, und in den Gewölben oben war viel Geräusper und Gerücke, da waren welche zugange, ich konnt nicht sehen, ob das Menschen waren oder sonst Wesen, da waren welche zugange, die ordneten die Dinge neu, die schoben und rückten Sachen hin und her, es klang nach Umräumen und nach Aufräumen, da waren welche zu Werke, die hatten die Ärmel aufgekrempelt, sozusagen, vielleicht waren da auch Mädchen zugange, wie ich, wenn ich in QvW’s Garten am Rad klempnere, mit abgeschnittenen Jeans und die Bluse unter den Möpschen verknotet, so machten die sich irgendwo da oben zu schaffen und waren am Aufräumen und Umräumen, manchmal quietschte es sogar, das war eindeutig, da wurde gerückt und geschoben und verrückt, ich bekam richtig Lust mitzumachen, denn ich hab ja auch dieses Gefühl, hier in der Welt gibt es immer was zu ordnen und zu basteln, man soll die Dinge nicht liegenlassen, alles Gerümpel aufheben ist nicht in Ordnung, alles wegwerfen auch nicht, und ich lauschte und spitzte die Ohren, das könnt ihr mir glauben, und dann kam mir der Sinn bei von all diesem Rücken und Räumen, es ging um die Beziehung der Dinge zueinander, hab ich für QvW’s Häuschen auch vor, ihr stellt die Möbel neu auf im Wohnzimmer, rückt und räumt, es bleiben immer die gleichen Möbel, auf einmal ist alles anders, da sind neue Gruppen, die Teile gehören anders zusammen als vorher, sowas spielte sich auch da oben ab in diesen hallenden Räumen, ununterbrochen ergaben sich neue Anordnungen, ich weiß nicht, ob ihr versteht, was ich meine, das war, was ich gehört habe, und die ganze Zeit um mich herum kicherten die Lichter die Flämmchen in der Umarmung des Lichts, die hatten Spaß, keinen Zweifel, so wie ich Spaß gehabt hatte auf der Wiese in der Nacht, ziemlich genau so.

Da waren Touris zugange, und ich machte es QvW nach, sah die einfach nicht, und auf einmal waren die schmale gleitende Schatten im Gelände, lang und schlank, die zogen an mir vorbei, bunt, bunte Schatten, und verbogen sich dabei, so wie wenn ihr eine metallene Teekanne tragt durch eure Zimmer, da spiegeln sich allerlei Dinge auf der blanken Haut, wie eilende Streifen und Linien, so spiegelten sich die Touris auf der blanken Haut meines Bewusstseins, lange gleitende Stifte, die verbogen sich bunt und waren vorbei.

Dann war da eine Leiter aus weißen Tönen, fein wie Kreidestaub, Leiter, die stellte sich einfach auf mitten in der hallenden Halle, unter den Gewölben, wo ungerührt das Räumen weiterging, „das wird jetzt gleich laut“, sagte QvW warnend, „da probiert einer an der Orgel“, und wie gut, dass er das gesagt hatte, denn es wurde wirklich laut, unglaublich laut, Brüllen und Sturm von irgendeinem Anfang her, und ein unterirdischer Donner, der fuhr mir hinein in den Bauch, da war schon dies Gejohl und Gebrüll von den Lobgesängen her, die da jenseits der Rose erklangen, in diesem Lichtozean, der gegen die Rose brandete, und die Rose schützte uns davor, dass der Ozean hier hereinkrachte, jetzt mischte sich auch noch hier drinnen einer ein in den Lärm, machte nach das Jubeln und Stampfen und Schreien, und ich fühlte, wie mein Fleisch in Splitter ging, als wär es aus zartestem Eis, und ich spürte das Schnobern der Maus in meiner Hand, ich meine, ich spürte das Zittern dieser winzigen Barthärchen, spürte es so mächtig, wie ihr auf einem Schiff das Donnern der Motoren spürt, und dann packten sich die Klänge von der Orgel übereinander, um die Höhe der Gewölbe zu erreichen, nehm ich mal an, und weil die einzelnen Pakete und Ballen sich aneinander rieben, quollen aus den Ritzen und Fugen immer noch mehr Töne hervor, splitternde Töne, glänzende Töne, mit scharfen Spitzen, die rieselten und schütteten herunter und lärmten und klirrten auf den Sandsteinplatten am Boden, und auf einmal schoben sich meine bloßen Füße durch ganze Berge von Schnee, aus Glassplittern aus Schneekristallen, das waren die Töne, die wehten sich zusammen wie Sand zu Dünen, und ich trat hinein und schob sie auseinander, und die Kristalle spritzten nach allen Seiten, schnitten mich aber nicht, obwohl, scharfkantig waren sie schon, scharf eher von der süßen Sorte, irgendwie wie Curry, ich weiß nicht, es krabbelte richtig, ich musste lachen, und dann war Schnauben in den Lüften, wie das Trompeten einer Herde von Elefanten, und ich hörte donnernde Herden jagen über einen Boden, der musste hohl sein, warum hätte das sonst so gepoltert und gebollert und geschollert? Und grüner Sturm war da auch, Orkan in den Wipfeln eines stöhnenden Waldes, ich hörte das Ächzen der Stämme, und das Heulen und Rauschen der Blätterburgen, und QvW schlang auf einmal seinen Arm um mich und zog mich im Gehen an sich, das war mir gerade recht, denn mit dem aufrechten Gang hatte ich es nicht mehr so, meine Beine machten nur noch ungefähr, was ich wollte, und dann war da ein riesiges Pauken und Platschen, wir sind in einem Flussbett, dachte ich, in einem ausgetrockneten Flussbett, und da kamen auch schon die Ströme gerauscht, wirbelnd und grün und gurgelnd, und trieben uns vor sich her, einmal rund um die Säulen und das Meer der tanzenden Flämmchen, wir kamen vorbei an wunderbunten Palmen und Blumentöpfen, das war eine gute Gelegenheit, und ich setzte die Maus in einen von den Töpfen, wo sie sofort zwischen den Blättern verschwand, und dann trieb uns das Gepolter weiter, das Wasser überschlug sich, wir mussten zusehen, auf den Beinen zu bleiben, dann war die Rose vor mir, wir gingen direkt darauf zu, und ich hatte auf einmal Angst, konnte ich QvW wirklich trauen, dass der mich nicht dort hinaus führte, in diesen Ozean aus Licht, so gut kann ich gar nicht schwimmen, das ist, weil, ich hab in der Schule nie am Schwimmunterricht teilnehmen dürfen, hätt mich ausziehen müssen dafür, das tut eine fromme Muslima nicht, dann war da diese Mauer, aus dem Nichts heraus, diese Mauer unter der Rose, und in der Mauer waren Türen, und vor den Türen war die weite Halle, und dann kamen weitere Türen, und eh ich’s richtig verstand, standen wir draußen, auf dem Vorplatz, und es war weicher grauer Abend, noch ein bisschen Rot in den Lüften, von der sinkenden Sonne, und auf einmal war alles still um uns herum, und QvW hatte noch immer seinen Arm um mich geschlungen und hielt mich fest, und ich atmete auf, „oh Mann“, sagte ich, „was war das denn, krieg ich jetzt ein Eis?“

(aus: Peter von Mundenheim, Weldbrüggen, Druckfassung S. 431-436. Die Illustration zeigt: Stefan Lochner, Madonna im Rosenhag, Quelle de.wikipedia.org, gemeinfrei. © Verlag Peter Flamm, 2024)

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