Pfahlbau

Zu ihrer Rechten hatten sie das vierstöckige Gebäude mit den offenen Seiten, sie hörten ihre Schritte aus seinem Inneren widerhallen. Rötlich metallen zeigte sich der Erdboden, der war von Platten aus korrodierendem Metall bedeckt, das verging langsam und würde zu Erde werden, ganz und gar, eines Tages. Man konnte noch erkennen, dass die Platten einst nicht glatt gewesen waren, sondern rautenförmig gemustert an ihrer Oberfläche, vielleicht, damit man auf ihnen nicht ausglitt, wenn man darüber ging … jetzt aber war das nicht mehr von Interesse.

Wie hoch, wie angstvoll groß das Bauwerk war … drei Männer hätten übereinander auf ihren Schultern stehen können, und noch hätte der oberste mit ausgestreckten Armen die unterste Plattform, den Boden des ersten Stockwerkes, nicht erreichen können. Schwere Stahlsäulen und -träger hielten das Gebäude, die glänzten glatt und hell, als wären sie ganz neu, oder von kundiger Hand gepflegt … ein Pfahlbau war das, man hätte sich gut vorstellen können, dass Wasser emporsteigen würde bis unter die erste Plattform, immer noch sicher würde der Bau stehen, auf seinen Pfählen und Säulen.

Aslan blickte hoch an den vier Stockwerken, sie überschatteten die Straße, ein jedes war höher, als man es in normalen Häusern von zweien findet. Ein Geländer begleitete rundum den Rand, das musste einem Menschen, der dort stand, bis zur Brust reichen, und schien doch ganz nahe am Grund zu kleben, dünnes Band, stellenweise zerbrochen, als dürre Stangen herabhängend.

Der Boden unter dem Pfahlbau schien wie eine Säulenhalle, dunkel und kühl; an den Füßen der Stahlträger, dort, wo der Wind hatte Sand und Staub anlanden können, kümmerten spärliche Grashalme … eiserne Treppen führten vom Grund nach oben, sehr steil, und schwindelerregend; wenn man hinaufstieg, würde man zwischen den Sprossen hindurch nach unten schauen müssen. An verschiedenen Stellen wuchsen Röhrenbündel aus dem Grund, die stiegen senkrecht oder unter seltsamen Windungen aufwärts, verschwanden durch weite Einlässe im Fußboden der ersten Plattform.

Seltsam war der Geruch, ganz anders, als man ihn sonst in Vautrins Städten findet, stark metallisch, dass man vermeinte, ihn auf der Zunge zu schmecken, und überlagert von alldurchdringendem Roststaub. Er war wie die Farbe des Gebäudes, der Geruch, von unbestimmtem Grau und Schwarz, rostflockig überdeckt, an einzelnen Stellen von Farbresten durchsetzt.

Roger legte den Kopf in den Nacken und mühte sich, einen Blick wenigstens in das erste Stockwerk zu werden, alles es gelang nicht, es lag zu hoch, als dass man von der schmalen Straße aus etwas hätte sehen können, nur dicht hinter dem Geländer ließ sich etwas erahnen wie ein Zaun, und hinter dem, verwischt, ein massiger schwarzer Gegenstand, Roger hätte keine Vorstellung gehabt, was das sein könnte, so versuchte er gar nicht erst, sich darüber Gedanken zu machen.

„Warst du schon einmal oben?“ fragte er Eramir, mit einer kurzen weisenden Kopfbewegung hinüber zu den eisernen Treppen, obgleich Eramir vor ihm ging und ihn nicht sehen konnte.

„Nein“, antwortete Eramir, „nie …“ Und er blickte hoch an der offenen Seitenfront, überlegend. „Vielleicht sollte man es einmal tun, ganz nach oben steigen“, sagte er. „Weit wird man sehen können von dort … der Sammler Henri war schon oben, er hat es erzählt.“

Wir gehen und gehen, dachte Aslan. Erschreckend war die Ausdehnung des Pfahlbaues, er zog sich die gesamte Straße hinunter. Strahlend blau leuchtete darüber der Himmel, mit vielen weißen Federwölkchen, doch hier unten gingen sie im Schatten, kühl und feucht, und der Metallgeruch intensivierte sich, bis er zu stechen begann.

„Riecht das hier immer so?“ fragte Aslan.

„Nein“, erwiderte Eramir bedrückt, „ich erinnere mich nicht.“

Sollen wir weitergehen, dachte Aslan, sollen wir nicht … bedrohlich schien ihm der Geruch, sie wären nicht die ersten gewesen, die vergiftet heimkämen aus einer Silberstadt, dahinsiechen müssten.

Zur linken Seite der Straße bewegte sich ein unübersehbares Röhrengewirr, von Türmen unterbrochen und Akkumulationen, die kleine Gebäude bildeten, mit Plattformen und Treppen. Das dickste Roh folgte dem Straßenrand, sein Durchmesser war derart, dass Roger bequem hätte darin stehen können; alles zehn Schritt wuchtete es aus in eine nach oben gerichtete Schleife, kehrte zurück zum Boden, zog sich geradeaus weiter, die Schleifen wurden unterstützt durch Metallspangen, die waren befestigt an eisernen Streben. Das Rohr schien umhüllt von Wicklungen eines weißlichen Materials, das war nun zusammengebacken, zum Teil auch aufgerissen von Wind und Regen, dass an manchen Stellen Fetzen herunterhingen, die erinnerten an Salpeterbärte, wie man sie in alten Weinkellern findet.

Kaum zu überblicken war das Gelände, nicht nur versperrte das dicke Rohr die Sicht, sondern hinter ihm lagerte auch das Fadengeflecht der Leitungen und Türme, bizarr und schmerzhaft, Schraubhähne fanden sich zuhauf, und kapselförmige Ausdickungen, die trugen unter Glas Zifferblätter und weisende Zeiger, und die Röhren schlangen sich umeinander, stellten Verbindungen her durch komplizierte Gelenke, an Wulststücken ineinandergesteckt, rankten sich hoch an metallenen Gestellen wie Bohnen an der Stange.

Wege führten durch die verschrobene Wildnis, das waren flachgelegte engmaschige Gitter, die ruhten auf kurzen Stützen eine Handbreit über der Erde, und waren mit eisernem Handlauf bewehrt, wiesen an manchen Stellen auch Verbreiterungen auf, dort zumal, wo sich die Kapseln mit den Zifferblättern fanden, so dass man sich hätte hinstellen und beobachten können … an den Türmen, weiter im Inneren, kletterten senkrechte Leitern, durch körperweit darumgelegte Metallsehnen geschützt, empor zu runden Plattformen, gebildet aus denselben engmaschigen Gitterlagen wie die Wege hier unten am Grund.

Ein Garten war das, ein Garten aus silbernem und schwarzem Metall, doch nicht reif zur Ernte.

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 28.04.2023, © Verlag Peter Flamm 2023)