Die Männer blickten sich nicht um, als Oswald auftauchte, nur Eramir nickte und sagte: „Dann gehen wir jetzt.“
Aslan, hinkend, machte den Anfang, ihm folgten hintereinander Eramir und Roger, und zum Schluss Oswald, dem stand der kalte Schweiß auf der Stirn, er trat Roger fast auf die Hacken, so sehr fürchtete er sich, den Anschluss zu verlieren.
Nur eine tat Not: Stille, aber gerade die störten sie, mit ihren Schritten, und ihrem atemlosen Schweigen.
Zwischen dem Zaun und dem großen vierstöckigen Gebäude war die Straße kaum bewachsen, dünne Grashalme standen und vereinzelt kümmerliche Wedel von Schilf, ein Samenkorn mochte hierher geflogen sein, langer Regen hatte die Illusion gestützt, dies sei ein guter Grund zum Wurzeln, also hatte die Pflanze getrieben, war gewachsen … irgendwann zeigte sich, dass der Boden zu karg war, so kümmerte der Trieb, kränkelte, aber zum Sterben reichte es nicht.
Als die Männer an dem Häuschen vorbei gingen, das das Tor flankierte, knirschte es unter ihren Schritten: unter einer dünnen Schicht von Erde und zusammengewehtem Staub lagen die Scherben und Splitter der großen Fenster, wunderlich klangen die brechenden Geräusche, da doch bereits das leichte Gras und Moose darüberwuchsen; nicht mehr lange, so würde sich der Erdboden festigen hier, dann würde man schon mit dem Spaten nach den Glasresten forschen müssen.
Das Häuschen trug, wie die meisten von Vautrins Gebäuden, eine wehende Krone, einen Schopf aus Gräsern und vereinzelten Kräutern und Buschtrieben, den Vögeln und vielerlei kleinen Tieren zum Aufenthalt, Siebenschläfer finden sich da gern, auch Eidechsen.
Der Wind fuhr durch das Grashaar, das gab einen wispernden Ton, und Zischeln und Knistern klang dazwischen, das war das Geräusch der Städte, das fortgesetzte Murmeln und Besprechen, das Vautrins Städte erfüllt, oft lauschen die Menschen und suchen den Sinn zu ergründen, den Sinn der Worte, die da gesprochen werden, und manche vermögen weiszusagen, aus dem Erlauschen des Windgeflüsters.
Manche vermögen weizusagen.
Andere lauschen und lauschen, und vergessen ihre Geschäfte und Verrichtungen darüber, suchend und weit in die Ferne forschend wird ihr Blick, dann machen sie sich auf, eines Tages, zu verfolgen das Wispern, werden hineingezogen in die Unergründlichkeit der Städte, in die Irrwege des Inneren, träumenden Auges, nicht selten geschieht es, dass kein Mensch sie mehr erblickt, sie sind fortan in den Städten selig verschollen.
Aslan hatte solche kennengelernt, in jedem Sammler liegt ja ein Stück davon, sie machen sich auf und suchen die verlassenen Städte, die großen Labyrinthe, wandern, wandern wochen- und monatelang in den Wildnissen des Gestrüpps und der kleinen Wälder, um Winkel und Ecken, durch Plätze und Höfe, über breite Straßen, durch die sich Bäche ihren Weg gegraben haben, und schmalwinzige Gässchen, daran in einem Kellerloch ein Fuchs haust; sie gleiten vorbei an den kaum gestörten Rudeln der Ziegen und Rehe, meiden die Orte der Bären, von weitem schon kenntlich am Geruch; und überall und immer lauschen sie dem währenden Murmeln und Flüstern in den Büschen, den Gräsern, der Bäumen, dem Wispern herab von den wehenden Dächern.
Dann dringen sie ein in die Verfallenheiten, suchen begehbare Treppen und schlagen sich durch nach oben, zerbrechen mit Axtschlägen morsche Türen, gekeilt in ihre Rahmen, und steigen über brechendes Gerät, über die Reste alten Lebens hindurch zu den Fenstern, pilz- und rankenumwachsen, um hinauszuschauen in den seltsamen Garten der Stadt Vautrins, den grauen Teich, grünumwachsen.
Aslan begann zu träumen, müde, wünschte sich fort, weit fort von dem Uhrmacher und seiner Familie, und dem Sammler Henri … bald kam der Herbst, und der Winter, dann würde er losgehen können, auf Wanderschaft.
Er hinkte die Straße hinunter, gefolgt von den anderen, er dachte bei sich, es schnell abzumachen, wenn es denn schon sein musste, es hatte ja schon so vieles sein müssen in seinem Leben, und stets hatte er gefunden, das Beste sei, die Zähne zusammenzubeißen und sich durchzuschlagen, ohne langes Zögern, und dann nicht mehr zurückzublicken.
Roger wurde von Unruhe erfasst, er spürte hinter sich die kurzen, heftigen Atemstöße des kleinen Oswald, er hatte Angst, der Junge, nicht ganz ohne Grund … sie waren in der Silberstadt.
Gut zu begehen war die Straße, es nahm überhaupt wunder, wie karg das Wachstum hier war, auf den Wegen, erst recht auf den Gebäuden.
Ein heller großer Vogel flob vorbei am Himmel, wurde für einen Augenblick zwischen den Gebäudekanten sichtbar, und er stieß einen harten Schrei aus … eine Möwe, dachte Roger, wie seltsam.
Sie waren in der Silberstadt.
(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 26.04.2023, © Verlag Peter Flamm 2023)