„Aber“, fragte Waldemar, „warum sind da nun die Zahnräder?“
„Die Walze läuft auf Zahnrädern“, erklärte Bernhard, „damit sie nicht abrutschen kann. Denn siehst du, wenn man das runde Ding einfach so auf die Schräge legte, so könnte es zwar nicht rollen, eben wegen dem Öl und den Kammern in seinem Inneren, aber da die Außenwände glatt sind, und das Brett ebenfalls, könnte es in’s Rutschen kommen. Natürlich ließen sich das Brett und die Walze auch rau machen, aber es wäre trotzdem eine unsichere Sache, seht ihr, es müsste nur jemand fest daneben auftreten oder gar daran stoßen, und die Sache würde verrutschen. Obendrein“ – und es zeigte sich, dass der Uhrmacher sorgfältig vorgeplant hatte – „obendrein muss ja auch dafür gesorgt sein, dass die Walze beim Hinunterrollen in ihrer Bahn bleibt – und dafür sorgen die Zahnräder und Schienen auf’s Allerbeste.“
Ja, gaben die Jungen zu, nichts hatte der Uhrmacher vergessen, alles berechnet und vorbedacht – niemand konnte das bestreiten.
„Acht Stunden benötigt die Walze, um einmal abzurollen“, berichtete Bernhard, „und wenn sie unten ist, so ergreift man sie einfach und hebt sie wieder hoch zur Spitze, wobei man darauf achtet, dass der Achsenzeiger genau auf die Null zwischen stehen kommt. Ja, und seht ihr, wenn man alle acht Stunden immer recht zur Stelle ist, so geht sie so genau, diese Uhr, oh … genauer geht die Sonne nicht …“
Die Jungen wollten es gern glauben.
Der Uhrmacher sah sinnend vor sich hin, als versuche er, mit einer Überlegung zu Streiche zu kommen, und dann sagte er, fast mehr zu sich selber als zu den Jungen: „Da ist ein Geheimnis in der Sache, das versteht nur Vautrin, ich kann es sehen, aber nicht erklären. Warum will die Walze rollen, wenn ich sie hebe zur Spitze des Bretts? Das macht mein Heben, es gibt keinen anderen Grund. Die Walze ist unten, ich hebe sie hoch, ich wende Kraft auf, lege die Walze hoch auf das obere Ende der Bahn. Die Kraft, die ich aufgewendet habe, die verschwindet nicht, wenn ich die Walze loslasse, die ist jetzt in der Walze, unter drückt die Walze nach unten, die will rollen, so lange, bis sie zur Ruhe kommt, bis nämlich die Kraft aufgebraucht ist, die ich in sie hineingesteckt habe.“
„Das ist doch mit den Wagen genauso“, rief Eluard, in einem Moment der Erleuchtung. „Die Ochsen ziehen die Wagen den Hügel hinauf, die stecken ihre ganze Kraft da rein, und wenn es auf der anderen Seite wieder abwärts geht, rollen die Wagen von selber hinunter, man merkt richtig, wie die das wollen, wie die wieder nach unten wollen, so weit es nur gehen will.“
„Das stimmt, genau so ist das“, sekundierte Waldemar.
Und: „Ja, da mögt ihr wohl recht haben, genau so ist das bei dieser Walze“, sagte der alte Uhrmacher, und sie standen zu dritt und starrten an die geheimnisvolle schiefe Ebene, an der Vautrin so sichtbar seine Macht demonstrierte über die Dinge seiner Schöpfung.
„Ich plane außerdem“, sagte der Uhrmacher, ein bisschen in einem Ton, als erwache er aus einem Traum, „ich plane außerdem, da doch der Versuch so über die Erwartungen geglückt ist, ein größeres Modell herzustellen, eines, das über zwölf Stunden läuft, und mein Ziel ist es, ja, mein Ziel, eine ganze Tagesreise zu bewerkstelligen, vierundzwanzig Stunden … aber das ist nicht so einfach, denn seht ihr, allzu unhandlich soll sie ja auch nicht werden, die Uhr, wenn ich sie aber kleiner machen will, so müssen die Einzelteile unendlich genau gefertigt werden, die Zahnräder feiner, vor allem aber in der Walze die Kammernabstände und die Durchflusslöcher absolut gleich, sonst gibt es Unregelmäßigkeiten, das ist ja klar, ja, und das ist nicht so ganz leicht alles …“
Sie hörten ihm bewundernd zu, man merkte gleich, hier sprach einer aus der Fülle des Wissens und der Kenntnisse, kein leichtgewichtiges Geschwätz war das, wie es jeder zu plaudern vermochte, oh nein, Ernst und Gründlichkeit lagen hier vor.
Eluard musste zugeben, dass ihm die Erfindung Bernhards viel besser gefiel als die seltsame mechanische Uhr, die sie vorhin gesehen hatten, mit ihren Rädern und Hebeln und Gewichten und Widerständen … Waldemar schloss sich ihm an, sie konnten keinen rechten Grund angeben für ihre Vorliebe, aber sie beharrten darauf.
Es war etwas wie Zwang gewesen um die Maschine mit den Steingewichten, etwas Unnatürliches, auch Lebloses; Bernhards Öluhr aber schwamm wie träumend auf dem natürlichen Fluss der Dinge, Wasser, das den Berg hinabgleitet … und noch etwas anderes fühlten die Jungen: das ewige, gleichmäßige Klack-klack der Maschine zerteilte die Zeit, die doch fließend sein sollte, wohlgerundet, zerhackte sie, in willkürliche Splitter, indes die sinkende Walze sich bewegte wie die Zeit selbst: gleichmäßig, absichtslos, während.
Lange noch standen sie und besprachen sich, der alte Mann und die Kinder.
(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 20.04.2023, © Verlag Peter Flamm 2023)