Schwebend

Das war nun allerdings etwas, was man in sich bewahren konnte, und die beiden Jungen saßen und hörten aufmerksam zu, wenig nur verstanden sie von dem, was der Uhrmacher sagte, doch war es schön, ihm zu lauschen, so leicht und fließend klangen seine Worte, fließend und wohlgestaltig, fast wie die Zeit selbst, von der er sprach, und er redete so ganz ohne Mühe, wie einer, der lange über seinen Gegenstand nachgedacht hat und sich nun bequem darin zurechtzufinden weiß, leicht und behaglich darstellt, sich und anderen zur Freude, was ihm im Geheimen manche Mühe gekostet haben mag. Aber das ist ja nun das Geheimnis des Handwerks: dass sich einer im Stillen übt mit Mühe und Fleiß, und nie erlahmendem Eifer, und zeigt er dann das Werk vor, so ist’s, als wär’s ihm von selber gewachsen unter den Händen, so ganz und rund sieht es aus.

Von all dem begriffen die Kinder nichts, doch fühlten sie, dass hier einer war, dem man sich anvertrauen konnte: der’s rein und ehrlich meinte; und so saßen sie still, als lauschten sie einem, der Märchen erzählte, Märchen aus der Wahrheit, aus der dunklen Tiefe der Welt.

Der Uhrmacher, da er geendet hatte, sah sie lächelnd an, um zu ergründen, wie weit sie ihm gefolgt sein mochten; da er nun aber sah, wie still und gut und aufmerksam sie waren, wurde er gerührt und spürte einen kleinen Gewissensbiss, denn er wusste ja wohl, dass sie ihm auch Publikum gewesen waren.

„Nun kommt, ihr Guten“, sagte er, „zu lange habe ich geredet, wahrhaftig, und eure Geduld beansprucht über Gebühr, klein seid ihr doch noch und wollt andere Dinge hören …“

Sie schauten ihn an und gewannen langsam wieder die Wirklichkeit der Dinge; dann ermunterte sich Waldemar und fragte, in bittendem Ton und ruhiger, als er sonst zu sein pflegte: „Zeigst du uns noch was?“

„Möchtet ihr noch etwas sehen?“ antwortete Bernhard erfreut. „Du auch, Eluard?“

Er hatte sich also ihre Namen gemerkt, das war nett von ihm, und Eluard, obgleich er schon müde war, antwortete: „Ja, bitte, zeig uns noch was, etwas Schönes …“

Der Uhrmacher nickte, bedachte sich, fasste einen Entschluss und sagte: „Also, ich zeig euch was, was ich noch keinem Besucher gezeigt habe, denn eine neue Erfindung ist es von mir, und ist außer mir noch niemand darauf gekommen; deshalb müsst ihr mir versprechen, dass ihr strengstes Stillschweigen bewahrt, mit niemandem dürft ihr hinterher darüber reden als nur mit euch selbst. Versprochen?“

„Ja“, antwortete Eluard, und: „Versprochen“, sagte auch Waldemar, nun waren sie neugierig geworden, „eine neue Erfindung“, wie geheimnisvoll das klang …

„Kommt mit mir“, sagte Bernhard und winkte ihnen, ihm zu folgen; sie verließen die Schmiede und kehrten zurück in die Werkstatt, in den trockenen Holzgeruch hinter den luftigen Eichensäulen, in das bunte Lager der Tische und Regale und Geräte und Werkzeuge.

Der Uhrmacher führte die Jungen in den vorderen Teil der Werkstatt, wo es dunkel war, da die Häusler hier ja die gemauerte Vorderwand des Gebäudes hatten stehen lassen; und sie mussten sich gegenseitig bei den Händen fassen, um nicht zu stolpern oder blind in einen Tisch oder Schrank hineinzulaufen.

Die Jungen sahen nun erst, wie ausgedehnt diese Werkstatt in Wahrheit war, man erkannte das von außen nicht, aber tatsächlich umschloss das Gebäude einen einzigen großen Raum, vielfach allerdings durch Regale und Gestelle und Tische unterteilt, und man musste hier schon zu Hause sein, um sich zurechtzufinden.

„Wartete einen Augenblick“, sagte der Uhrmacher und ließ sie stehen, er machte sich nestelnd und polternd an der Wand zu schaffen, dann wurde es hell, denn er hatte von einem Fenster in der Wand den hölzernen Laden heruntergenommen, und gedämpft und schattig drang das Licht herein, das Fenster ging nach Osten hinaus, nach der Richtung der Silberstadt, da stand nun die Sonne schon nicht mehr.

„Denkt daran“, sagte Bernhard, „kein Wort zu irgend jemandem!“

„Kein Wort“, versprachen die Jungen.

„Dann schaut her“, sagte der Uhrmacher.

Unter das nun offene Fenster hatte man einen Tisch geschoben, sorgfältig gehobelte Fläche, doch nicht glatt geschliffen; und darauf stand ein … ein Gebilde, das allerdings …

Auf Bernhards weisende Bewegung hin traten die Jungen näher, hielten sich mit den Händen an der Tischkante fest, wie es Kinder zu tun pflegen, und betrachteten das neue Wunder.

Auf einem Holzwinkel ruhte ein breites Brett, es war etwa so lang, wie Waldemar groß war … oder eher etwas länger. Man hatte es schräg gestellt, das unter Ende ruhte auf der Tischplatte auf, das obere Ende, getragen von dem gleichschenkligen Holzwinkel, lag wesentlich höher; hätte Waldemar auf dem Tisch gestanden, so hätte ihm das Gerät bis zur Brust gereicht, ungefähr.

Kurz und gut, das Brett formte eine schiefe Ebene, und zwar von nicht unbeträchtlicher Abschüssigkeit.

Wenn man auf eine schiefe Ebene einen Gegenstand legt, so wird er in der Regel hinunterrollen, oder doch wenigstens, wenn er nämlich nicht rund ist, hinunterrutschen.

Auch hier gab es einen Gegenstand, der lag auf dem Brett, und er war sogar rund, absolut und fehlerfrei rund, eine Walze nämlich, und sie lag mitten auf dem Brett, auf halber Höhe der Schräge etwa, frei und unbehindert, aber – sie rollte nicht, sie hing zwischen Himmel und Erde, als wäre sie festgeklebt oder sonst auf nicht gleich auszumachende Weise in ihrem Lauf behindert.

Das Brett, kunstvoll bearbeitet, war der Länge nach in zwei ungleiche Bahnen aufgeteilt.

Von Bedeutung schien allein die linke, breitere Bahn. Sie war vollkommen glatt und eben, sogar gänzlich gefirnisst, und zu beiden Seiten zog sich über die ganze Länge des Bretts je eine gezähnte Schiene aus Metall, schnurgerade und kunstvoll gearbeitet, ganz gleichmäßig die Zähnchen, unendliche Mühe des Messens und Feilens musste darauf verwendet worden sein.

Auf der Mitte des Brettes aber hing die Walze, ein dickes metallenes Ding, und fehlerfrei rund gearbeitet.

An jedem Ende trug die Walze ein Zahnrad, das war so groß, dass die Zähne über den Walzenkörper ein wenig überstanden; und im Übrigen griffen sie genau in die Zwischenräume der gezähnten Schienen ein.

Kurz, die Walze ruhte mit ihren beiden Zahnrädern auf den beiden Schienen, berührte sonst die Brettebene nicht, war nicht festgebunden, die Schienen waren ersichtlich nicht blockiert: sie hätte abrollen müssen bis nach unten.

Tat sie aber nicht.

Sie stand auf halber Höhe des Brettes und bewegte sich nicht, nicht erkennbar jedenfalls.

Die rechte, schmalere Bahn des Brettes war erhaben gearbeitet, das hatte man erreicht, indem man eine entsprechend lange Holzleiste aufgeklebt hatte; und auf diese Holzleiste war liebevoll und mit kundiger Hand eine Skala gemalt worden, deren Zahlen stiegen von Null bis Acht, Striche von verschiedener Länge unterteilten die Zwischenräume, in regelmäßigen Abständen. Rechts aus der Achse der Walze ragte ein kleiner Metallstab, der diente offenbar als Zeiger, indem er beim Herabrollen knapp über die Skala hinwegstreichen musste … beim Herabrollen der Walze …

Ja, aber wieso rollte sie denn nicht?

Die beiden Jungen standen da und starrten zu dem vertrackten Ding hoch, das einfach am Abhang hing und sich selbsttätig in der Schwebe hielt, rätselhaft war das, ganz rätselhaft.

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 16.04.2023, © Verlag Peter Flamm 2023)