Wir Wenigen

Die Tiefen aber blieben bei ihrer Überzeugung, dass sie beim kultischen Hören was ganz Besonderes täten, was ganz Individuelles, etwas, was sie über die Dummheit und Entselbstetheit des Packs weit hinaushöbe.

Wir wenigen, versicherten sie sich gegenseitig, wir wenigen müssen zusammenhalten.

Gern auch: Wir letzten. Wir noch übrigen. Außer uns gibt es ja kaum noch wen.

Wohlgemerkt, und ich sage es noch einmal, in der Regel konnten sie nicht einmal ein Kinderinstrument mit zehn Tönen bedienen, geschweige denn Noten lesen.

Die Noten der Dschungelmusik waren zur Jugendzeit des Jungen übrigens nur mit Mühe zu bekommen. Die Noten selbst von Gelegenheitswerken „unserer Großen Toten“ lagen in jeder Musikalienhandlung aus. Der Junge machte gelegentlich in der Stadtbibliothek Anschaffungsvorschläge, was verschriftlichte Dschungelmusik anbelangte, wurde aber abgeschmettert.

Ich verstehe schon, was Sie wollen, sagte eine Bibliothekarin, aber wir müssen auch ein bisschen auf unser Publikum Rücksicht nehmen.

An dieser Einlassung war so ziemlich alles kryptisch, vor allem dieses: Wir verstehen schon, was Sie wollen. Das Wort „wollen“ wurde dabei mit einem gewissen Weihevibrato ausgesprochen, das andeuten sollte, man rede hier nicht von einem Wollen mit definierter Bezüglichkeit, sondern von einem schlechthinnigen, sozusagen existenziellen Wollen.

Wir verstehen schon, was Sie wollen.

Na ja, dachte der Junge, was ich will, das sind eigentlich genau die Noten zu diesem Song.

Wie so oft, verzichtete er auf vertiefende Diskussion, und lieh sich die Partituren „großer“ Symphonien aus.

Da konnte er zu Hause immerhin Platten auflegen und die Partitur mitlesen.

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 15.04.2023, © Verlag Peter Flamm 2023)