„Zeig uns noch was“, verlangte Waldemar, er war ungeduldig geworden, von Ziffern und Strichen und schwebenden Nadeln wollte er nichts wissen, nein, etwas Handfestes sollte es sein.
„Hm“, meinte der Uhrmacher überlegend, „etwas, was euch Kleinen gefällt … wartet, da hab ich was … kommt nur mit!“
Sie traten zurück in’s Innere der Werkstatt, und der Uhrmacher verwahrte zunächst mit Sorgfalt die kleine Sonnenuhr, schob sie zurück in’s Regal, in eine hölzerne Schachtel, deren Deckel er zuklappte, dann winkte er seine Besucher weiter, dorthin, wo die Wände vollständig und verdunkelnd den Raum umschlossen.
„Hilf mir doch einmal, sei so gut“, sagte er zu Inge, und mit ihrer Unterstützung zog er etwas an’s Licht, das … ja, das war nun allerdings merkwürdig: auf zwei gut kniehohen Böcken ruhte ein längliches Schiff, jawohl, ein richtiges Schiff, wenn auch zu schmal, als dass man sich hätte hineinsetzen und davonpaddeln können, so lang war es ungefähr, wie Inge groß war … und das war doch schon ganz schön … der Bug des Schiffes trug einen Drachenkopf, der glotzte und riss das Maul auf.
„Aber was ist das?“ fragte Grand Mère erstaunt.
„Eine Uhr“, antwortete Bernhard mit Befriedigung. „Wartets nur ab, ich zeigs euch.“
Er griff unter einen Tisch und zog unter Rumpeln und Dröhnen eine runde bronzene Schale hervor, schön polierte war die, und mit Gravuren geschmückt, Punkten und Kreisen, und gerade so groß, dass sie zwischen die beiden stützenden Böcke unter dem Schiffskörper passte.
Bei genauerem Hinsehen bemerkte man übrigens, dass das Boot auf seinen Stützen nicht einfach lag, nein, es stand darauf, der Meister, der es angefertigt hatte, hatte ihm nämlich nahe dem Bug und nahe dem Heck je zwei künstlich geschnitzte Drachenpfötchen beigegeben, auf denen hockte es nun, war also gar kein Schiff, sondern ein richtiger und vollständiger kleiner Drache, das …
Aber hohl war er, der Drache, nach oben offen, und das gab ihm eben, zusammen mit der langgestreckten Form, die Ähnlichkeit mit einem Schiffskörper.
„Seht ihr diese Ösen?“ fragte der Uhrmacher und wies mit dem Finger. Das, was er Ösen nannte, waren quergelegte Drahtstifte, die, den Ruderbänken vergleichbar in einem mehrsitzigen, schmalen Ruderboot, die beiden Borde des Schiffs- oder Drachenkörpers miteinander verbanden; jeder Draht bog sich in der Mitte, genau über den gedachten Kiel, zu einem durchhängenden, nach oben offenen Haltering.
„Jetz““, sagte Bernhard und machte es spannend, „fehlen nur noch drei Dinge: erstens …“
Er nahm vom Tisch einen wachsgetränkten Strick, einen Docht also, der mochte einmal ungefähr so lang gewesen sein wie das Innere des Bootskörpers, war aber nun an einem Ende schon angebrannt, und legte ihn der Länge nach in den Schiffsrumpf, den Drachenbauch hinein, in die Drahtösen, so dass er genau in der Mitte zwischen den Schiffswänden festgehalten wurde.
„Zweitens …“
Er griff wieder unter den Tisch und zauberte ein allerdings merkwürdiges Gebilde hervor: zwei bronzene Kugeln, etwas weniger als faustgroß, durch eine dünne Schnur miteinander verbunden (jede der Kugeln besaß eine Auszapfung, in die das Schnurende verknotet werden konnte). Die Schnur legte der Uhrmacher quer über den Schiffskörper, so also, dass beidseitig eine Kugel herunterhing, freischwebend über dem bronzenen Becken.
„Drittens …“
Er ging hinüber zum Ofen und entzündete einen Span, das Herdfeuer brannte immerfort, natürlich, niemand lässt je das Feuer ausgehen im Herd …
An dem brennenden Span steckte er den Docht an, der der Länge nach im Drachenbauch lag.
„Na?“ fragte Bernhard. „Seht ihr jetzt, wie es geht?“
Allen dämmerte es, natürlich, sagten die Frauen und griffen sich an die Köpfe, dass wir daran nicht gleich gedacht hatten, also sowas …
Der Docht brannte mit klarer Flamme vor sich hin, er würde herunterbrennen, immer weiter, so lange, bis die Flamme die Schnur erreichte, so in der Schwebe hielt die beiden Bronzekugeln über dem Bronzebecken …
„Also“, sagte Bernhard, „wenn ich jetzt schlafen gehe, und will, sagen wir, in sechs Stunden wieder aufstehen, dann nehme ich den Docht, brenne ihn an, und hänge die Schnur mit den beiden Kugeln in der Entfernung auf, von der ich weiß, dass der Docht sechs Stunden brauchen wird, um so weit herunterzubrennen, und dann …“
Er zog den Docht herunter, dass die Flamme herankam an die gespannte Schnur mit den beiden hängenden Kugeln, es dauerte einen Augenblick, alle schauten sie zu mit atemloser Spannung, dann fing die Schnur Feuer, es zischelte und sprühte, und …
Sie riss.
Die beiden vollgewichtigen Kugeln stürzten hinunter, in das auffangend gewölbte Bronzebecken, und ein satter Doppelschlag ertönte, gefolgt von einem nachrollenden Dröhnen, das wollte gar nicht wieder aufhören, rein und sauber gegossen musste sein die Bronze, dass sie so lange nachklang.
Man hätte Tote damit aufwecken können.
Die beiden Jungen hüpften und lachten, und die Frauen klatschten beifällig in die Hände, und der kleine Drache riss das Mäulchen auf, dass man hätte meinen können, er grinse …
Das war vielleicht eine Erfindung!
„Das kommt nicht von mir“, wehrte der Uhrmacher bescheiden ab, „ein Geschenk ist es, auf weitem Weg gekommen aus China …“
Eluard spitzte die Ohren, schon wieder war die Rede von China, wie gestern Abend auch, und wieder vermeinte man, alle Wunder zu erlauschen im Klang des fremden Wortes. Er musste danach fragen, unbedingt.
„Aber“, sagte Grand Mère, „wie ermisst man die richtige Länge des Dochtes?“
„Nun ja“, erwiderte der Uhrmacher, den Kopf wiegend, „sehr genau ist es leider nicht, es kommt eben darauf an, dass der Docht die richtige Dicke hat und gleichmäßig getränkt ist … die Abstände der Ösen, die zeigen dann jeweils eine Stunde an, ihr wisst, man kann das auch mit einer Kerze machen …“
(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 04.04.2023, © Verlag Peter Flamm 2023)