Stundeneimer

„Nun, schaut einmal hier“, sagte Bernhard und führte die Besucher zu einem Tisch, der war nahe vor das Regal an der Seitenwand geschoben.

Da stand ein hoher Topf, eine kräftige, doch rohe Arbeit aus Ton, so hoch etwa, wie eines Mannes Knie sich über den Boden hebt, und die Form verjüngte sich nach unten.

Das war nun kein ansehnliches Gebilde, und doch hatte es seine besondere Bewandtnis damit.

„Schaut nur genauer hin“, sagte Bernhard und rieb sich wieder vergnügt die Hände, „schaut genauer hin, und ihr werdet sehen …“

Unten durch die Topfwand, einen Fingerbreit über dem Boden, war ein Loch gestoßen und ein Röhrchen geführt worden, dünnes ausgehöhltes Schilf … und unter dem freien Ende des Rohres, das, da der Topf am Tischrand stand, ein wenig über die Tischplatte hinausragte, wartete ein weiteres Gefäß, von etwa gleicher Größe wie der Tontopf, das hatte man auf einen der dreibeinigen, lehnenlosen Holzhocker gehoben, wie es deren in der Werkstatt mehrere gab.

„Was meint ihr nun“, fragte Bernhard, „was passiert, wenn ich Wasser in den Topf fülle?“

Die Kinder und die Frauen standen dichtgedrängt und beschauten gespannt den Topf, als ob von ihm die Antwort zu erwarten wäre.

„Das Wasser wird rauslaufen … durch das Rohr“, sagte Waldemar.

„Genau“, antwortete Bernhard, „und wenn wir nun in den Topf hineinblicken, was sehen wir da?“

Wir sahen, dass in die Innenwand des Topfes eine senkrechte Skala eingeprägt war, aus Strichen und Zahlen …

„So ist das also …“ sagte Inge.

„Genau“, wiederholte Bernhard. „Das Loch und das Rohr sind so bemessen, dass in einer Stunde eine ganz bestimmte Menge Wasser hindurchfließt … nun, und das kann man an den Strichen in der Innenwand ablesen, ein großer Strich für jede volle Stunde, die kleinen Striche für die Viertelstunden …“

In Wahrheit geschah die Sache natürlich umgekehrt, der Topf wurde gefertigt und vorgebrannt mitsamt seinem Loch nach Augenmaß, dann ließ der Uhrmacher Wasser hindurchlaufen, und jedes Mal, wenn eine Stunde vergangen war, ritzte er an der Linie des gesunkenen Spiegels einen Strich in die Topfwand, und diese Striche tiefte er später und machte eine richtige Skala daraus, vor dem endgültigen Brand; aber alles musste er seinen Besuchern ja nicht verraten, und sie schienen doch viel mehr Freude zu haben, wenn seine Erklärungen ein bisschen geheimnisvoll klangen …

„Ja, aber“, fragte Waldemar, „warum ist er so schief, dein Topf?“ Er meinte die trichterförmige Verjüngung der Seitenwände.

„Ja, das ist ein Problem“ erklärte Bernhard, „denn siehst du, wenn der Topf voll ist, dann drückt das Gewicht des Wassers stark nach unten, und es fließt eine größere Menge durch das Rohr als später, wenn er halb leer ist. Und das gleichen wir dadurch aus“ – er geriet wieder in seinen dozierenden Tonfall – „dass wir den Topf nach unten verjüngen, so dass von Strich zu Strich die hindurchfließende Wassermenge eine immer geringere wird, und doch die Striche in immer gleichem Abstand zueinander stehen, so dass das Ablesen leicht und irrtumsfrei erfolgen kann .“ Er bedachte sich einen Augenblick, vom respektvollen Schweigen seiner Zuhörer begleitet, und fuhr fort: „Auch die Verdunstung kann natürlich Ungenauigkeiten mit sich bringen, je nachdem, wie warm es ist, im Sommer, oder des Winters am Ofen … doch da lässt sich leichter Abhilfe schaffen … wir decken den Topf einfach zu …“

Er nahm einen Tondeckel vom Tisch und setzte ihn dem Topf auf, dass es hohl klackerte.

„Ja, aber“, meinte Inge, „dann kann man aber doch gar nicht mehr hineinsehen?“

Das war nun nicht sehr gescheit gewesen von Inge, und der Uhrmacher schmunzelte und antwortete: „Dann heben wir eben einfach kurz den Deckel hoch, wenn wir wissen wollen, welche Zeit es ist …“

Er tat es demonstrierend, und die Frauen fingen an zu lachen, er hob den Deckel und beugte sich hineinspähend über den Topf, dass er gerade so aussah wie einer, der in der Küche prüft, was es zu Mittag zu essen gibt, oder ob die Bohnen schon gar sind …

„Nun ja“, meinte Bernhard fröhlich, „es gibt natürlich auch andere Methoden, die Zeit zu messen …“

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 31.03.2023, © Verlag Peter Flamm 2023)