Da gab es die Sonnenuhren, sie standen auf dem Hof, große kugelige Gebilde, eine gar mannshoch … Eisenstreben, zum Ball geformt, auf steinernem Sockel …
Waldemar starrte sie an, dann sagte er klagend: „Ich verstehe das nicht …“
„Hm“, meinte Bernhard, „schwierig ist’s auch und gibt viel zu bedenken … du weißt den Lauf der Sonne?“
„Ja … natürlich“, antwortete Waldemar mit Überraschung.
Auch die Frauen schritten um die ineinandergeschobenen Metallringe herum, bemüht, der wunderlichen Form einen Sinn abzugewinnen, jede der Kugeln besaß eine Achse, von Pol zu Pol, senkrecht durchschneidend eine Äquatorialebene, von der jedoch nur der äußere, umgrenzende Ring gegeben war … und dieser Anlage, schon verwirrend genug, waren weitere umgrenzende Ringe beigefügt, alle zentriert um den gleichen Mittelpunkt, den auch die Polarachse durchschnitt, doch standen ihre Ebenen in ganz verschiedenen, unregelmäßigen Winkeln zur Äquatorialebene, eine seltsame, fast Unruhe erregende Schönheit war dem nicht abzusprechen, auch Kühle, die Helle und trockene Freudigkeit einer rechnenden Vernunft, die das ortlose Gold des Sonnenlichts einfing zu vorherbestimmtem Gebrauch …
Alle Ringe und die Polarachse waren bedeckt mit Zeichen, Strichen zumal, durch unterschiedliche Länge in Gruppen zusammengefügt, und Zahlen (die verstanden die Kaufmannsfrauen, wenn sie auch sonst nicht lesen konnten) und wunderlichen Symbolen.
„Nun“, meinte Bernhard, in leichthin dozierendem Ton, „so weißt du auch, dass kein Tag im Jahr den gleichen Lauf der Sonne zeigt … ?“
Das wusste Waldemar, natürlich, jedermann wusste das.
„Nun, der Schatten, den die Ringe auf diesen Stab werfen“ – er wies mit flüchtiger Bewegung auf die Mittelachse – „der zeigt die Zeit an, bis zu der Vautrin den Tag hat vorrücken lassen … doch da die Bahn, die die Sonne beschreibt am Himmel, sich wandelt von Tag zu Tag, kürzer wird und fernrückt, je weiter das Jahr hineingeht in den Winter, und sich wieder weitet zunehmend zu hohem Stand im Frühling und hinein in den Sommer – so muss auch der Schatten wandern, nicht wahr … und genau berechnet werden muss dies, das seht ihr ein, viele Linien müssen sich kreuzen und Winkel, damit gleichwohl stets der gleiche Schatten einen gleichbleibenden Weg abschreitet auf der Skala – auf den Strichen auf diesem Stab …“
Waldemar runzelte die Stirn, eine finstere senkrechte Falte erschien zwischen seinen Augenbrauen, nein, das verstand er nicht, kein Wort … er grübelte, starrte die fremdartigen Gebilde an, dann hellte sich sein Gesicht auf, und er platzte heraus: „Aber … aber an der Sonne sieht man doch sowieso, welche Zeit es ist …“
Der Uhrmacher lachte und streichelte ihm über den Kopf. „Jaja“, sagte er, „kommt nur herein in die Werkstatt, ich zeige euch etwas, was euch besser gefallen wird, denn“ – und hierbei legte er listig den Finger an die Nase – „einmal wird es ja auch Nacht, nicht wahr …“
„Nacht?“ fragte Waldemar, der nicht verstanden hatte.
„Ja, haha“, sagte Eluard, den Vautrin für solche Dinge besser ausgerüstet hatte, „oder es kommt Regen …“
Der Uhrmacher führte sie die Stufen hinauf unter das säulengetragene Dach, da war es luftig und doch umschlossen, die Rück- und Seitenwände hielten den Werkstattgeruch fest, allerlei ließ der erahnen, Kohlefeuer und gehämmertes Metall, doch auch Holz und Leim und Sägespäne (flüchtig erinnerte sich Eluard an den Tischler Bertram und das Zimmer im Turm), und Hanf, hier wurde wohl auch gelegentlich mit Seilen gearbeitet, und war da nicht irgendwo ein Rüchlein nach Steinstaub? Natürlich, sie mussten auch rohen Stein bearbeiten, die Uhrmacher, für die großen Werke, so einen Sockel benötigten …
Unglaublich, was hier alles herumstand, um die Werkbänke, die Tische, den Amboss und den Ofen, Regale lehnten sich gegen die Wände, überquellend, und nach links hin, in die Tiefe des Gebäudes, wurde es dunkel und sperrig-voll, fast wie in den Wagen der Kaufleute, denn dort war ja die Vorderwand wieder geschlossen, die wenigen Fenster schienen verstellt …
Wo ordentlich gearbeitet wird, da bleibt von der Fülle des Geleisteten immer auch etwas liegen.
(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 29.03.2023, © Verlag Peter Flamm 2023)