Oben, am Uferabbruch, rauschte es in den Weiden, eine suchende Hand schob die Äste beiseite, die eiförmigen Blätter mit dem weißen Wollhaar, und Bernhard zwängte sich hervor aus dem Gebüsch, blinzelnd und gebückt, einen Arm schützend vor das Gesicht gehalten.
„Da seid ihr also“, murmelte er vor sich hin. „Dacht ich’s mir doch.“
Standen die Jungen mit Minchen unten im Wasser, flache Randzone, kniehoch die kühlen Wellen.
Das war eine kleine gerundete Bucht, vor der hatte sich ein Wasserstrudel gebildet, und das Wasser zog in lässigem Bogen, doch mit nicht unerheblicher Strömung hinein in die Bucht, durchmaß die Rundung und floss wieder hinaus in den Strom, so kräftig war der eilende Lauf, dass er die Ufererde sauber und senkrecht ausgeschliffen hatte, es war ein richtiges Becken entstanden, mit hohem, senkrechtem Rand, so dass die kurzen Beinchen der Jungen und auch noch die Minchens nur deshalb hinuntergelangen konnten, weil zur rechten Seite der Rundung das Wasser einige Wackersteine freigespült hatte, die lagen fest und gut übereinandergeschichtet und ließen sich besteigen wie eine Treppe, hinunter in die Bucht.
Übrigens sahen die Steine ein bisschen danach aus, als seien sie Vautrins Werk, als könne man noch mehr finden von ihrer Sorte, wenn man in die Erde hinein weitergrübe, als befände sich dort im Uferhang ein verschüttetes Bauwerk Vautrins, zum Teil vielleicht schon fortgespült vom Fluss, und dann überlagert von Schlamm; reich an Spuren ist die Welt …
Ein nicht ungefährlicher Ort war dies also, zur Vorsicht mahnend vermöge der Strömung, des gurgelnden Strudels draußen im freien Wasser … doch lohnte er den Aufenthalt.
Der Bodengrund nämlich unter dem rasch fließenden, silberweißen Wasser bestand nicht, wie an den anderen Uferabschnitten, aus dicken Knollen, sondern aus feinem, rundgemahlenem Kieselschutt, den hatte der Strom hier abgelagert, in einiger Mächtigkeit.
Schön war es, darauf zu gehen, es knirschte und kitzelte nur ein bisschen, drückte nicht, und die Jungen standen selig in der Bucht, auf dem Steinpolster, und spürten, wie die Strömung ihre Beine umrauschte, mit festem Zugriff, oh ja, mit festem Druck streichelten die Wasserhände …
Man konnte die Zehen hinunterbohren in den Grund, leicht ließen sich die Kiesel auseinanderdrängen, so klein waren sie und schwerelos durch den Wasserauftrieb, und dann fühlte man den sanften Druck auf der Haut, zart und rollend, wie die Berührung einer Katzenpfote, und man hob den Fuß wieder, bemüht, ihn waagerecht zu halten, und trug ein paar der Steinchen nach oben, auf den Zehen und auf dem Rist, und spürte mit geschlossenen Augen, wie die Strömung sie rullernd ergriff, dass sie über die Haut kugelten und hinabglitten zu Grund …
Es kitzelte, dass man lachen musste, und dann war da die Kühle, die schmeichelnde Kühle, dass die Füße ein bisschen erstarrten, nur wenig, nicht zur Unbeweglichkeit, und auch nicht so, dass es schmerzte, nein, nur so weit, dass das lebendige warme Gefühl Platz machte einer beglückenden Schwerfälligkeit, Müdigkeit, die noch der Freude Raum ließ bei der Erwartung, wie es sein würde, draußen, auf dem festen Land, wenn das Blut wieder zurückkehren und die Trockenheit Wärme mit sich bringen würde, Wärme und pulsierende Beweglichkeit …
Und dann konnte man sich bücken und die Steine aufheben vom Grund, sie herausführen aus der gläsernen Flut an’s Licht, wo sie glitzerten und tropften und ihre bunten Farben zeigten, Blau und Rot und auch Grün kamen vor und viel warmes Braun, auch Einschlüsse fand man, weiße Streifen, ummantelt von Grau, und alle Formen waren rundgeschliffen, oval und in Eiform, ganz selten fast kugelig.
Sie schöpften und schauten, zeigten sich ihre Funde gegenseitig, Perlen aus dem Überfluss, dem unausdenkbaren Reichtum, hineingeworfen in eine Flussecke, es war nicht einmal eine Handbewegung Vautrins, es hatte sich so ergeben, so ist seine Welt.
Sie waren so vertieft, die drei Kinder, dass sie Bernhards Ankunft nicht bemerkt hatten, über dem Gurgeln und Rauschen des Wassers war auch leicht zu überhören gewesen, wie er sich seinen Weg durch die Büsche erkämpft hatte.
„Hallo!“ rief Bernhard, und sie blickten endlich auf.
Er trat ganz hervor aus dem Gebüsch, an den Rand der Bucht, präsentierte mit lachendem Gesicht eine zeremonielle Verbeugung, dass ihm die weiße Haarsträhne übers Gesicht fiel; und indem er sie mit gespreizten Fingern wieder zurückstrich, sagte er, sich aufrichtend: „Darf ich die Herren zu einer Werkstattbesichtigung einladen?“
Sie lachten, die Herren, als sie sich so förmlich angeredet fanden, und freuten sich, das würde gutwerden, der Uhrmacher wollte ihnen seine Werke zeigen, die Ergebnisse seiner Überlegungen und seiner Kunstfertigkeit, natürlich, sie würden kommen, warte auf uns, wir kommen raus, wir sind gleich da …
Und Bernhard stand oben am Ufer und schaute vergnügt zu, wie sie dem Wasser entstrebten, sie mussten vorsichtig sein, denn wenn das Wasser kniehoch ist, tut man gut daran, beim Laufen die Beine zu heben wie ein Storch, es sei denn, man wolle ohnehin ein Vollbad nehmen …
Ah, er, Bernhard, er würde ihnen alles zeigen, den Jungen, klein waren sie noch und aufgeschlossen, Bernhard liebte Kinder für ihre naive Freude und Eindrucksfähigkeit, die keine Angst hatte, sich etwas zu vergeben, wenn sie Staunen zeigte oder Respekt vor fremder Leistung … es wäre doch gar nicht schlecht, wenn die Menschen immer so blieben, ein bisschen Kinder, dachte Bernhard.
Minchen war nicht ganz so erfreut wie die Jungen, sie kannte die Werkstätten ja schon, gut genug, und wäre lieber am Fluss geblieben, aber andererseits … sie würde einfach mit den beiden mitgehen, so tun, als sei auch ihr dies alles neu – – – ja, das war es, das würde sie tun, sie würde für sich spielen, sie sei auch zu Besuch hier, nur eben auf der Durchreise, und dieser fremde Mann da, der Uhrmacher, würde ihr nun sein Haus zeigen, das sie gar nicht kannte … sie wurde munterer und sprang den Jungen nach, auf runden Beinchen und mit blitzenden Augen.
„Ja, du kommst auch mit, Minchen“, sagte Bernhard und zwinkerte vergnügt, er war der einzige neben Oswald, der sie Minchen nannte, das war nett von ihm.
(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 25.03.2023, © Verlag Peter Flamm 2023)