Erwachsen

Waldemar schlief ein, sah Eluard mit Besorgnis.

Sie saßen auf der Treppe vor der Veranda, blickten blinzelnd in den trüben Morgen. Da war die Abreise der Männer gewesen, des Morgens, und das hatte ein wenig Aufregung gebracht, weggewischt die Schläfrigkeit, nun aber war das vorbei, und Waldemar hatte einen schweren Kopf, der schwankte hin und her unter fiel vornüber und wollte die Augen nicht offen halten.

„Wollten wir nicht zum Fluss gehen?“ fragte Eluard. „Wir könnten spielen …“

Waldemar sah ihn an mit glasigen Augen, bis ihm die Bedeutung der Worte aufdämmerte, die da eben zu ihm gesprochen worden waren.

„Ja …“ sagte er gedehnt und zögernd. „Aber vielleicht ist es Magdalena nicht recht …“ Magdalena oder einer anderen der Frauen, was machte das schon für einen Unterschied.

„Ich geh und frag“, sagte Eluard und sprang schnell auf. „Bleib nur hier sitzen und wart, bis ich zurückkomm.“

„Ja“, antwortete Waldemar und starrte wieder trübsinnig auf den kleinen Vorhof, dann packte es ihn, er streckte sich und riss den Mund auf und gähnte, bis es weh tat. Danach hatte er Tränen in den Augen und glaubte für einen Moment, dass er jetzt wacher sei, aber das war eine Täuschung, gleich überschlich ihn wieder die Schläfrigkeit, dass er mürrisch wurde und verstockt, am liebsten hätte er sich in’s Bett gelegt und geschlafen, geschlafen, und irgendjemanden musste es doch geben, der daran Schuld war, dass er keinen Spaß hatte an dem fremden Haus, den Tieren, dem nahen Fluss, jawohl, irgendjemanden …

Eluard wusste nicht, wo die Frauen waren, er hatte sie zuletzt hinten auf denn Hof gehört, in der Nähe der Stallungen, und er spähte vorsichtig um die Hausecke herum.

Aber sich spreizend schritt dort der Hahn Robert und begluckte seinen Harem. Nein, dort war kein Durchkommen. Blitzschnell würde der Kamm schwellen, wenn Eluard sich sehen ließe, der bunte Kopf mit dem messerscharfen Schnabel würde sich vorstrecken an langem Hals wie ein Pfeil, und mit eilenden Klauen und flatternden Flügeln würde das Tier über den Hof geschossen kommen, voll von
Angriff und blindem Behauptungswillen, auf jede fremde Bewegung reagierten die leeren Hühneraugen …

Eluard zog sich zurück, so lautlos wie möglich, und trat mit dem ernsten Bedeuten, auf ihn zu warten, an dem wütenden Waldemar vorbei die Treppen hoch und in’s Haus hinein.

Ein Stück den Korridor hinunter, dunkel, in wohligem Holzgeruch …

Er hatte Glück, die Frauen waren zurückgekommen, da gab es noch einen Eingang von hinten her, man trat unter einem niedrigen und engen Holzbogen hinein in den Innenhof, und konnte von dort durch mehrere Türen in’s Haus gelangen, in die Küche zumal, doch gab es auch einige Räume, Gästezimmer wohl, die waren überhaupt nur auf diese Weise zu erreichen, besaßen also keine Zugänge in’s Haus hinein …

Eluard folgte dem Klang der Stimmen, der Korridor führte ihn geradewegs auf den Innenhof, grasbewachsen, sogar zwei hübsche bunte Blumenrabatten gab es, nicht sonderlich gepflegt, nun ja … Bäume hatten die Häusler hier nicht angepflanzt, sicher des Lichtes wegen, das ungehindert in die anliegenden Räume fallen sollte.

Sauber viereckig war der Innenhof, auf allen Seiten gab es Türen und Fenster … Eluard, der eine solche Bauweise noch nie gesehen hatte, blieb stehen und schaute sich ein wenig um, sonderlich gefiel ihm das nicht, die Anlage erschien ihm abgesperrt, kahl gar …

Er hüpfte quer über den Hof, immer ein Bein abwechselnd im Sprung, wie es auch Waldemar gelegentlich tat.

„Da bist du“, sagte Inge und zog ihn durch die offene Tür in die Küche, die Frauen waren alle darin, standen um den gemauerten Herd, Grand Mère saß breit und widerständig auf der langen Holzbank, die die gegenüberliegende Wandseite einnahm, unter einem dreistöckig überhängenden Regal, eingeschraubt in die Holzwand.

„Wir wollen zum Fluss gehen, spielen …“ erklärte Eluard und sah sich um, nun, sie hatten wichtige Gesprächsgesichter, die Frauen, er kannte das, das war langweilig, und stets wurde einem bedeutet, man störe, wenn man sich einmischen wollte oder auch nur dazwischen stand.

„Ja …“ machte Inge und streichelte flüchtig über seinen Kopf, „ist es gefährlich da draußen?“ Sie richtete die Frage an Elvira, und Eluard lauschte verträumt und ein bisschen verliebt, wie die gläsernen Splitter sich zu Vokalen und Konsonanten ordneten: „Nein, das Wasser ist flach … nur auf den Landungssteg sollen sie nicht gehen, er ist hoch und führt weit hinaus.“

„Hast du gehört?“ sagte Inge und sah Eluard an. „Und bleibt in der Nähe, dass ihr es hört, wenn ihr gerufen werdet.“

„Ja“, antwortete Eluard höflich, „das machen wir …“ Die kleine Hermine schaute ihn glücklich lächelnd an, sie wäre gern mit hinaus gegangen an’s Flussufer, hätte gern gespielt mit den Jungen, aber sie war ja nun schon eine Frau, verheiratet, sie konnte doch nicht mehr so kindlich sein, am Wasser spielen zu wollen … auch waren da die anderen Frauen, wichtige Gespräche gab es zu führen, erwachsene Dinge zu bereden, ja …

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 19.03.2023, © Verlag Peter Flamm 2023)