Rassen

Zur Stiefelzeit, notabene, redeten sie ganz unverhüllt von begabten und unbegabten Rassen. Als der Junge noch ein Junge war, glitt die Rede über zum Reden von begabten und weniger begabten Völkern, aber es wusste ein jeder, was gemeint war.

Es gibt also, so ging die Rede um im Scheißvolk, von Natur aus begabte Völker und nicht so begabte. Unser Volk aber ist nicht einfach nur begabt, nein, wir sind das schlechthin begabte Volk, was will man machen, wir haben uns das nicht ausgesucht, und nun ist es einmal so, sollen wir das etwa abstreiten sollen wir das etwa verstecken? Nun aber die anderen! Statt den Sachverhalt demütig zu akzeptieren, wie er nun einmal ist, und uns als ihre natürlichen Führer anzuerkennen, gucken die scheel auf uns, von der Seite! Von der Seite her wagen die scheel auf uns zu gucken! So, durch die Nichtanerkennung ihrer Unbegabtheit, relativen Unbegabtheit, im Vergleich zu uns, wird ihre Unbegabtheit zum moralischen Problem! Indem sie nämlich ihre Unbegabtheit und unsere Hochbegabtheit einfach nicht zugeben einfach nicht eingestehen wollen, und zwar wider besseres Wissen, wird ihr Abstreiten schuldhaft. Sie wissen sehr wohl, dass wir ihnen überlegen sind, aber sie leugnen beharrlich, wie ein überführter Dieb, der doch das Diebsgut in den langen Fingern windet! Das ist Schuld! Die Schuld steht ihnen in die Stirn gemeißelt, die Schamröte stockt ihnen in den Wangen, aber sie leugnen beharrlich. Streiten ab, was doch als Wahrheit vor jedes unbefangenen Richters Augen steht, nämlich dass sie unbegabt sind, und wir tief. Sie wissen das, sie wissen wissen wissen das, und sie leugnen es. Schuldhaft! Uns aber wächst so ganz von selbst die Aufgabe zu, unserer Höherbegabung gegen alle Widerstände zum Sieg zu verhelfen! Und wir werden dieser Aufgabe gerecht! Dass wir in einer neidischen Welt durch Taten und Werke ohne Ende immer wieder unsere Tiefe bezeugen, das wandelt die Angeborenheit unserer Begabung in Verdienst. So dürfen wir stolz auf uns sein, auf uns und unsere Begabung und unsere Tiefe, wir können ja auch nichts dafür, oft genug ist uns unsere Größe eine Last, aber wir schultern die Last, wir tragen die Last, wir bringen sie durchs Ziel! Das ist unser Verdienst, und auf dies Verdienst dürfen wir stolz sein.

Bitte, das ganze Scheißvolk starrte glasigen Auges hinein in diese Wahnvorstellung. Das Attraktive an der Wahnvorstellung war, dass die Tiefe nicht ausgelotet werden musste. Musste nicht ad oculos demonstriert werden, die Tiefe. Musste nicht widerhallen, wenn einer in sie hinunterrief. Wer die Tiefe nicht sah, der wollte sie nicht sehen, oder der konnte sie nicht sehen. Wenn er sie nicht sehen wollte, war er böswillig, und wenn er sie nicht sehen konnte, dann war er eben selber nicht tief, fertig. Dann konnte er die Tiefe eben nicht fühlen, und wer die Tiefe nicht fühlen konnte, mit dem war nicht zu reden.

So konnte selbst die größtenteils mittelmäßige oder gar belanglose Schriftstellerei des Scheißvolkes gehoben werden in den Rang eines Weltereignisses.

Unsere Dichtung! Die Tiefe!

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 14.03.2023, © Verlag Peter Flamm 2023)