Davon konnte die Pferdeschnauzige noch nichts ahnen. Sie schwelgte in ihrer Einfühlung in die Fwau.
Imaginäres Wesen von unauslotbarer Größe und Weihe.
Man könnte sich nun einbilden, sie hätte eine undeutliche und verschwommene Vorstellung von IHR gehabt. Eine sozusagen heidnische Vorstellung von IHR. Hatte sich von IHR ein Götzenbild gezimmert, auf geradem Weg damit die Begründetheit IHRES Gebotes bestätigend: Macht euch kein Bild von MIR.
Aber nein, sie dachte nicht an SIE. Absurder Gedanke. Die Vorstellung, die sie hatte, wenn sie von Fwau schwadronierte: das war sie selber.
Sie sah sich selber an allen Horizonten, sie sah sich selber als Anker und Mitte des Kosmos. Je weniger sie war und galt, desto mehr schwoll sie in der Vorstellung von ihrer verkannten Größe.
Größenwahn. Es war der Größenwahn des Scheißvolks, realisiert als private Gestörtheit.
Die Fette mit dem Hackebeil, von der ich ausführlich gehandelt habe, die war unangenehm aufgefallen dadurch, dass sie die Stiefeldenke zur Unzeit zu ihrem privaten Projekt gemacht hatte.
Die Pferdeschnauzige fiel unangenehm dadurch auf, und litt wohl wirklich darunter, dass sie zur Unzeit die Taschendenke zu ihrem privaten Projekt machte.
Die Fette mit dem Hackebeil war zu spät gekommen, die Pferdeschnauzige kam zu früh.
Was in dem einen Zeitalter als gestört gilt, wird zwanzig Jahre später zur kollektiven Norm. Was in dem einen Zeitalter kollektive Norm war, gilt nur zwanzig Jahre später als gestört.
Wenn aber das Gestörte zur kollektiven Norm geworden ist, ist es dann weniger gestört? Das Menschtier sollte sich hier Fragen stellen, vor allem zwei. Nämlich erstens, ist die individuelle Gestörtheit nur deshalb gestört, weil sie die Zeit ihrer kollektiven Geltung verfehlt? Und zweitens, ist die Gestörtheit weniger gestört, oder gar nicht mehr gestört, sobald sie zur kollektiven Norm geworden ist? In seiner Verranntheit stellt sich das Menschtier diese Fragen nicht, denn die Antwort liegt ja auf der flachen Hand. Die gestörte Idiotie ist gestörte Idiotie nicht nur in ihrer individuellen Realisierung, sondern selbstverständlich auch in ihrer kollektiven. Gestört ist gestört, und die Verblödung wird nicht dadurch zur Klugheit, dass die Idioten sich gegenseitig bekräftigend auf die Schulter schlagen. Es ist nur so, dass den Idioten die unzeitige Person als gestört gilt, während ihnen die gemeinsame und gemeinsam exekutierte Gestörtheit als endlich erreichte Richtigkeit gilt.
So hangelt sich das Menschtier durch seine Geschichte, von Idiotie zu Idiotie, von Verbrechen zu Verbrechen, und nickt und stimmt zu und weiß: Endlich. Endlich die Wahrheit. Da sind übrigens vereinzelt Gestörte unter uns, die denken was ganz Falsches. Aber sowas von Hahaha! Wir anderen, wir Gemeinsamen, wir sind richtig. Das sieht man ja schon daran, dass wir gemeinsam sind. Wir sind uns einig! Wir irren uns nicht.
(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 08.03.2023, © Verlag Peter Flamm 2023)