So saß diese Menschenmutter ihrem Kind gegenüber, und das Kind, der Junge, er verstand es sein Leben lang nicht und kam sein Leben lang nicht darüber hinweg.
Bis er eines Morgens, alter Mann schon, erwachte und entdeckte: Es ist mir egal geworden.
Magie? Er wusste es nicht. Er hatte tief geschlafen und geträumt, selig geträumt. Wusste beim Erwachen nicht mehr, was. Er schlug die Augen auf und wusste: Ich hab vergessen, dass du existierst. Hab gedacht, das müsse mich umbringen, aber so ist es nicht. Es ist so schön, so friedlich und still, ich hab vergessen, dass du existierst. Es ist nicht Liebe, es ist nicht Hass, es ist Gleichgültigkeit. Ich hab vergessen, dass du existierst.
Als er alt geworden war, schrien die Taschen die Lehre von der Unreife und der Unkultiviertheit und der Fühllosigkeit der Männer von allen Dächern, und der Junge hörte gar nicht mehr hin. Ihr seid Stiefel, dachte er, es gibt nichts weiter dazu zu sagen, ich bin damit schon durch, ihr seid ganz einfach Stiefel, und als Stiefel seid ihr der Abgrund, das Loch in der Welt.
Er hätte es persönlich nehmen müssen, es war persönlich gemeint, im Alter berührte es ihn nicht mehr. Er wusste nun, die Krawallschnallen die Hassnattern, sie sind überall. Als ich ein Kind war, hatte ich die Grimmvettel die Pferdeschnauzige über mir, als Richter und Scharfrichter, und ich dachte, so ist die Welt nicht, ich gehe weg von denen, und dann sind die nicht mehr. Heute weiß ich, die sind überall, heute beherrscht das Taschengezücht die Welt. Sahen mich an und sehen mich an, waren sich einig und sind sich einig, einig in der Gewissheit: Der ist ein Stück Dreck, der ist es nicht wert zu leben, der hat hier auf der Erde nichts zu suchen, der ist ein Belästiger, der ist ein Mann, der ist lebensunwertes Leben, hau ab, du störst.
Die Pferdeschnauzige schwoll derweil ihr ganzes Leben lang in der Gewissheit, sie sei etwas so Hohes und Großes, das ließe sich gar nicht ausdrücken. Sie sei ganz Fwau, aber indem sie ganz Fwau sei, sei sie auch noch mehr. Eine erhaben Leidende, die kraft ihrer Tiefe wisse wie niemand sonst, was das sei, Fwau.
Sie war nicht einfach bloß eine Frau wie alle anderen. Aber das dachten die Taschen nachher auch nicht von sich selber. Wiewohl doch die Frauen alleweil die Hälfte des Menschgewimmels auf Erden bilden, versicherten sie sich, wir sind was ganz Besonderes. Einmalig! Sowas Erhabenes wie uns gibt es doch gar nicht! Wir sind nicht einfach bloß Frauen! Wir sind Frauen, die die leidenschaftliche Erhabenheit von Frauen verstehen! Dies Verstehen erst macht uns groß!
So wurde, was zur Jugendzeit des Jungen bei der Pferdeschnauzigen nur als private Gestörtheit sich offenbarte, in seinem Alter zur kulturellen Norm. Die Taschen kamen ziemlich weit mit ihrem Vorhaben, diese Norm durchzusetzen, und dass sie nachher hinten runterfielen, lag nicht an etwa mangelndem Eifer ihres Bemühens, es lag an dem unerwarteten Aufbruch der religiösen Wende, und an dem Zusammenbruch des Erleuchts.
(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 06.03.2023, © Verlag Peter Flamm 2023)