Gefährliches Unternehmen

„Ah, da seid ihr“, sagte Eramir draußen zur Terrasse hinunter, man konnte zuerst nicht sehen, mit wem er sprach, die Fensterbrüstungen waren im Wege, aber natürlich waren es Bernhard und Aslan, und sie kamen die kleine Vordertreppe heraufgestiegen, Bernhard ließ Aslan den Vortritt, und Aslan wollte bequem heraufkommen, es gelang ihm aber nicht, er hatte schon draußen auf dem Landungssteg Schmerzen gehabt beim Gehen, jetzt konnte er es nicht mehr verbergen und hinkte erbärmlich.

„Mein Sohn …“ sagte Grand Mère, vielsagend bedenklich, und küsste ihn zum Empfang.

„Das sieht nicht gut aus …“ murmelte sie, und auch Inge blickte bedenklich, so gut es eben gehen mochte, stark eingeschränkt war ihre Mimik.

Endlich trat auch Magdalena unter die Tür, schlafwarm war sie, verknittert das Gesicht. „Hallo …“ sagte sie, sich reckend und streckend und den Rücken biegend. „Ihr seid alle schon wach …“

„Schon lang …“ antwortete Inge und lachte, „du hast so fest geschlafen und nichts gemerkt …“ Sie küsste ihre Mutter und führte sie zum Tisch, dass sie frühstücke und sich stärke, Magdalena ging es so wie den beiden Jungen, die Anstrengungen der letzten Tage hatten sie in einen traumlosen Schlaf gestürzt, aus dem zu erwachen ihr kaum gelingen wollte, immer wieder fielen ihr die Augen zu … und dann waren da die Nachwirkungen ihrer kaum überstandenen Krankheit.

Draußen schrillte und gellte immer noch der Hahn, die Häusler überhörten es, aber den Kaufleuten fiel es schwer auf die Nerven, und Elvira versprach beruhigend, dass er bald aufhören werde, „er muss sich nur Luft machen“, erklärte sie.

Schließlich kamen Roger und Oswald vom Stall zurück.

„Ein schönes Anwesen hast du“, sagte Roger zu Bernhard, „groß ist der Reichtum deiner Häuser und Ställe und Gärten, ich gratuliere dir …“

Und Bernhard wehrte bescheiden ab, doch zufrieden über das Lob, und Roger begrüßte alle, die er dieses Morgens noch nicht gesehen hatte, damit waren sie alle beieinander, und konnten das Frühstück beginnen, Eluard allerdings wollte nicht wach werden, bis Inge ihn auf den Schoß nahm und er ihre Wärme spürte; das munterte ihn ein bisschen auf, so dass er wenigstens die Augen öffnete und sich nacheinander kleingeschnittene Stücke Brot in den Mund schieben ließ; sogar das Kauen vergaß er nicht.

Inge … wie weich und gut sie heut war, selbst die kleine, nadelfeine Spitze, die sonst aus ihrer Stimme stach, war verschwunden …

Die kleine Hermine beschäftigte sich lachend, dass ihre weißen Zähne blitzten, mit Waldemar, gar zu gern hätte sie auch einen kleinen Jungen gehabt, einen, der ganz allein ihr gehörte, dass sie mit ihm spielen und ihn liebhaben könne …

Noch immer war ihre Periode nicht eingetreten, sie war schon mit dem Gedanken daran erwacht und vergaß es keine Sekunde; was sie auch tat und sagte und dachte, im Hintergrund ihres Bewusstseins war ein kleines helles Fleckchen, da sie sich mit dieser Tatsache beschäftigte.

Das war Hoffnung, Hoffnung …

„Also, wie sieht es aus?“ fragte Roger.

„Das Feuer scheint erloschen … soweit man es sehen kann von hier aus“, antwortete Bernhard und blickte mit flüchtiger Bitte Aslan an.

Aslan nickte und erklärte, Roger anblickend: „Bernhard bittet uns, ihm bei der Suche nach dem Sammler Henri zu helfen.“

Einen Augenblick herrschte Stille um den Tisch, die Kaufleute bedachten, was diese Worte bedeuteten, bedachten die Folgen.

„Ein gefährliches Unternehmen wäre das“, sagte Grand Mère.

Roger meinte: „Ich verstehe wohl richtig … wir sollen zur Silberstadt gehen, nicht wahr?“

Aslan nickte wieder und sagte, zu Bernhard gewendet: „Du begreifst gewiss, dass wir offen darüber reden müssen? Ein gefährliches Unternehmen ist es doch, einverstanden muss meine Familie damit sein.“

„Das versteht sich“, antwortete Bernhard mit einiger Spannung, „sprecht euch aus darüber …“

„Ich wusste gar nicht …“ sagte Eramir mit halbem Satz und sah seinen Vater an. „Hast du dich schon entschieden? Ich hatte auch den Gedanken, und doch … ist es nicht noch zu früh? Sollten wir nicht noch zuwarten?“

Bernhard schüttelte heftig den Kopf. „Bedenke doch, mein Sohn“, sagte er, „wir wissen nicht, was ihnen zugestoßen ist … wie, wenn sie nun verletzt sind und sich nicht zu helfen wissen? Jedes Zuwarten wäre da Sünde, du weißt, behände Hilfe ist doppelte Hilfe …“

„Es ist ihnen etwas zugestoßen“, warf Elvira ein, und die bestimmte Aussage wurde noch akzentuiert durch die funkelnden Splitter und Scherben ihrer Vokale. „Wenn nicht, wäre Henri mit frühestem Morgen im Boot zu uns gekommen, allein schon, um uns zu beruhigen, du kennst ihn …“

Aslan sah Bernhard an, dass sie die Wahrheit sagte; es musste eine enge Beziehung bestehen zwischen dem Uhrmacher und dem Sammler, enger, als die Häusler es ausgesprochen hatten; doch wollte Aslan nicht nachfragen, es war dies nicht seine Sache, wenn sie erzählen wollten, würden sie schon den Mund auftun.

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 05.03.2023, © Verlag Peter Flamm 2023)