Bitte

„Bruder Aslan“, fing Bernhard an, in bittendem Ton.

„Ja?“ fragte Aslan.

„Der Sammler Henri …“

„Ja?“

„Der Sammler Henri steht meinem Herzen nahe, mir und meiner Familie … ich möchte nach ihm sehen, auch ist dies ja meine Pflicht als Nachbar … und da wollte ich fragen, ob … nun, ob du uns helfen willst … ein guter Mensch bist du doch …“ Er zögerte und verhaspelte sich, und sah Aslan ängstlich forschend in’s Gesicht, er wusste nicht, ob es recht war, eine solche Bitte auszusprechen.

„Wie denkst du dir das?“ fragte Aslan.

„Nun … große Gespanne habt ihr …“

„Kommt nicht in Frage“, sagte Aslan unverblümt und streckte abwehrend die Hände aus. „Bruder Bernhard, bereit bin ich, mit dir zu gehen und die Silberstadt aufzusuchen – mit gehöriger Vorsicht, versteht sich –, wenn es gilt, sich um den Sammler zu bekümmern. Doch kannst du nicht verlangen, dass ich meine Tiere dieser Gefahr aussetze, wir sind Kaufleute, und an den Tieren hängt unser ganzes Gedeihen.“

„Das begreif ich wohl“, sagte Bernhard, der mit dieser Auskunft ganz zufrieden schien. „Wir könnten uns auch ohne deine Tiere behelfen … einen Wagen haben wir, für die Heumahd, und ein altes Pferd, das kann die Strecke wohl ziehen, zwei bequeme Wegstunden …“

„Also …“ sagte Aslan.

„Bleib mit deiner Familie bei uns für einen Tag und sei unser Gast“, sagte der Uhrmacher bittend und fasste Aslan bei der Hand. „Du verstehst, keine Not herrschte, wenn die beiden Klienten da wären, doch sind sie ja zur Stadt gefahren … und geh mit uns, oder dein Sohn Roger, nach dem Sammler Henri zu sehen, und nach seiner Frau und seinem Kind und dem Mädchen, das bei ihnen lebt.“

„Bereit bin ich wohl dazu, wie ich sagte“, nickte Aslan, „doch wirst du einsehen, dass ich zuvor meine Familie befragen muss.“

„Denk auch daran“, sagte Bernhard, „dass deinen Kindern und deinen Frauen ein Tag der Ruhe gut tun wird, und fette Weide steht bereit für deine Ochsen …“

Daran war etwas Wahres, Aslan hatte sich das auch schon überlegt, sie konnten nicht fortgesetzt den Tieren Tagesmärsche zumuten bis in die Nacht hinein oder womöglich die ganze Nacht hindurch … die letzten drei Tage waren hart gewesen, und willig mitgemacht hatten die Ochsen nur, weil sie zuvor eine ganze Woche in Dietrichs Haus ruhig im Stall gestanden hatten; doch konnte das ja nicht ewig vorhalten.

Wenn man Ochsen nicht ausgiebig Zeit lässt wiederzukäuen, braucht man sie erst gar nicht auf die Weide zu schicken.

„Ich werde meine Familie befragen“, sagte Aslan erneut und in Gedanken.

„Das ist gut“, erwiderte der Uhrmacher. „Nun komm zurück in’s Haus, sicher ist das Frühstück fertig.“

Er nahm Aslan wieder bei der Hand und führte ihn über den Steg zurück an’s Ufer, und die ganze Zeit schrillte der Hahn seine Kraht über das Wasser, gellend, hysterisch.

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 01.03.2023, © Verlag Peter Flamm 2023)