Anwesen

Sie begrüßten sich mit großer Höflichkeit, tauschten Komplimente und erfrugen gegenseitig, wie sie die Nacht verbracht hatten.

„Noch ist nichts zu sehen“, sagte Aslan, „pflegen die Morgennebel lange zu dauern bei euch?“

Bernhard schüttelte den Kopf. „Mit Sonnenaufgang werden sie sich zerstreuen, Bruder Aslan“, sagte er, „und nicht lange wird es währen, dann können wir die Silberstadt erkennen und wie es um sie steht.“

Ganz grau war der Morgen, von matter Helligkeit durchdrungen, dass man von der Terrasse aus gerade die Weiden am Flussufer erkennen konnte, Zeichnungen von Tusche auf Reispapier waren sie, weiches, zerfließendes Schwarz auf ausgespannter Fläche, im hölzernen Rahmen des Morgens.

„Groß ist dein Anwesen, Bruder Bernhard“, sagte Aslan mit einer flüchtigen Kopfbewegung hinüber zu den Anbauten, auf der dem Fluss gegenüberliegenden Seite des Hauses.

Man sah von der Terrasse aus nur eine Hausecke, ein flacher Bau stand dort, einstöckig, doch im Gegensatz zu Bernhards Wohnhaus ziegelgemauert, ersichtlich das Werk Vautrins, sorgfältig instandgesetzt, verputzt, gedeckt.

Bernhard wiegte höflich den Kopf und antwortete mit Bescheidenheit: „Nach unseren Möglichkeiten … zwei Häuser habe ich vorgefunden, als ich hierher kam, schon lang ist das her. Eines erst war Werkstatt und Wohnung zugleich, dann konnt ich auch das andere erschließen, nun, du weißt, wie es so geht …“

Aslan nickte, sicher, das wusste er, es war überall die gleiche Geschichte, schön und traurig zugleich, von der Mühsal und dem Glück der Besiedlung, und der unüberwindlichen Weite von Vautrins Welt … „Und dann hast du dies Haus hier gebaut?“ fragte er.

„Ja“, antwortete Bernhard, „zusammen mit meinem Sohn, und einem von den Klienten, der jetzt nicht da ist, der, der heiraten will, weißt du … wir haben es genauso gebaut wie die Häuser, die wir vorfanden, zur Ehre Vautrins; und wenn sich unsere Familie noch vergrößert, so werden wir weiterbauen können, und dies wird ein neuer Ort. Ein guter Platz ist dies zum Wohnen, Bruder Aslan, am Fluss, und fruchtbar und ergiebig auch der Boden für den Garten, und nicht zu kalt lässt Vautrin es werden im Winter, und nicht zu warm im Sommer, in der Regel jedenfalls … ein wenig regenreich manchmal, nun ja …“

Innerlich lächelte Aslan amüsiert, wie sie an ihren kleinen Orten klebten, die Häusler … aber andererseits, so widersprach er sich gleich selber, wenn sie nicht siedelten an ihrem Fleck, wem sollte der Kaufmann dann seine Ware verkaufen? – also machte er ein ernstes Gesicht und fragte: „So besorgt ihr auch einen Garten, wie sich’s gehört … und habt Erträge die Fülle, so hoff ich?“

„Hm, doch doch“, antwortete Bernhard, „oft auch kaufen wir, was uns nötig, und halten das Eigene auf Vorrat …“

Das war natürlich klug … und Vieh hielten sie auch, die Uhrmacher, Milchkühe, Aslan hatte es gestern Abend noch gesehen, und die Hühner hörte man auch schon gackern, aber der Hahn hatte noch nicht gekräht.

„Ich gratuliere dir, Bruder Bernhard“, sagte Aslan. „Wohl bestellt hast du dein Haus, mehrst deinen Wohlstand wie deine Familie, nicht oft trifft man das, und es ist wahr, wenn ich das sage, denn weit bin ich herumgekommen in Vautrins Welt und habe gesehen der Dinge viele.“

Bernhard lächelte glücklich, auf eine naive und unschuldige Art geschmeichelt, es tat gut, solche Worte von einem zu hören, der es wissen musste …

„Gehen wir hinunter zum Fluss?“ fragte er. „Wenn sich der Nebel lichtet, haben wir einen guten Blick hinüber zur Silberstadt.“

„Ja“, nickte Aslan, „gehen wir, vielleicht bringt es uns einen Nutzen.“

Er vermied es, wie schon gestern Abend, noch weitere Worte des Ärgers oder der Verwunderung über die Nähe der Silberstadt zu äußern, darüber, dass sich Menschen dort niedergelassen hatten; schließlich war es Sache der Häusler, wo sie sich Wohnung suchten, und was hätte es für einen Zweck gehabt, mit ihnen zu rechten? Sie würden ha ihre Häuser nicht aufgeben, nur weil ihnen Aslan dazu riete, also hatte es auch keinen Sinn, Missfallen zu äußern, das kränkte nur und nützte niemandem.

Fernhin, gegen Osten, war ein schwacher rötlicher Schimmer zu erahnen im Nebel, oder war das Einbildung? Die Nacht war wolkenverhangen gewesen, zweifelhaft, ob die Sonne heute durchdringen würde, doch manchmal geschieht es ja, dass gegen Morgen ein Stück des Himmels sich öffnet, so weit, dass die Strahlen der aufgehenden Sonne als kurzer Gruß über die Erde fallen können, dann schließen sich die Wolken wieder, die weiche Decke.

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 23.02.2023, © Verlag Peter Flamm 2023)