Selbstermächtigung

Diese Laufsteg-Denke steht im Zentrum des Leuchtermodells. Die Teilung der Welt in Lichte und Finstere, das war genuine Leuchterdenke, das war das Grundmodell des Hochgeleuchts. Von vornherein war den Leuchtern eines gewiss: wir sind die Lichten. Und jeder, der uns nicht folgen mag, jeder, der uns im Weg ist, der ist ein Finsterer.

Ich habe schon ausgeführt, erinnere nur noch einmal daran, dass der Stempel „ein Finsterer“ in freier Willkür einem jedem aufgedrückt werden konnte. Für die Leuchter war ganz einfach jeder ein Finsterer, der bei ihnen nicht mitmachen wollte. Ein NichtWir also. Das Bäuerlein, das am Althergebrachten sich freute, der Priester überkommener Kulte, der Bibliothekar, der seine Schätze aus dem Alt in die Zukunft transportieren wollte, der Unternehmer, der das Geld verdiente, das der nächstbeste Leuchter gerne hätte, der Hausbesitzer, dem die schöne Wohnung nach Meinung des nächsten Leuchters nicht zustand, die anmutige Frau, die sich dem dritten Leuchter verweigert hatte –  ganz egal, man könnte so weitermachen bis ins Aschgraue, Finsterwesen werden konnte ein jedes Menschtier, es musste nicht mehr tun, als einem Leuchter unangenehm auffallen.

Selbst eine Frau, beispielsweise, konnte den Taschen zum Finsterwesen werden: wenn sie nämlich nicht in das Hohelied von der männlichen Niedrigkeit einstimmte. Von der männlichen Schuldförmigkeit. Sondern Zweifel bekundete. Ganz analog avancierten allem Anschein nach genuin und echtbürtig richtigrassige Personen zu Anderen, wenn sie nämlich Zweifel an der Rassentheorie äußerten. Womöglich gar den den Andersrassigen heimlich halfen, dem Zugriff der Richtigrassigen zu entkommen! Innerlich verfault, sowas. Die Mützen waren dicht drangeblieben am ursprünglichen Leuchtermodell, sie hatten nicht wirklich eine Definition dessen, was ein Finsterwesen sei, sie wollten gar keine Definition, und wer heute eine Definition entwickelte, dem konnte die morgen schon zum Verhängnis werden: so falsch denkt der! Beweis! Hat der selber geschrieben! Das Falsche! Für die Mütze war ein Finsterwesen jeder, den die Mütze zu einem solchen ernannte. Fertig. Gar nicht erst fragen! Nicht einmal fragend gucken! Am besten gar nicht gucken! Gar nicht erst ein Gesicht aufsetzen! Die Genickschussanlage wartet! Weil du ein Gesicht gemacht hast!

Ihr seht, die Leuchterdenke ist bei all dem das Grundmodell, und die Mützendenke die Taschendenke die Stiefeldenke, das sind spezielle Formulierungen dieses Grundmodells. Das Grundmodell spricht: die Welt ist schwarz und weiß, hell und dunkel, richtig und falsch. Und wer nicht mit uns richtig sein will, der wird schon sehen, was er davon hat.

Fundamentale Geschäftsgrundlage des Leuchtermodells, und entsprechend aller Reformulierungen, aller zeitgemäßen Neuinterpretationen des Modells, war die Ableugnung der wenigen menschlichen Radikale. War das Abstreiten jener Sätze, die dem Dümmsten gewiss sind, sie müssen nicht einmal ausgesprochen werden.

Die Sätze lauten, in beliebiger Reihenfolge:

SIE hat uns alle geschaffen. SIE wohnt in unseren Herzen. SIE hat uns die Freiheit geschenkt. IHRE Stimme erklingt in uns zu jedem Augenblick unseres Schlafens und Wachens. SIE ist bei uns. Wir sind IHRE Kinder. SIE schaut uns zu in nimmermüdem Interesse, was wir treiben. IHR Blick ruht allezeit auf uns.

Diese Sätze weiß jedes Menschwesen zuinnerst, diese Sätze sind einem jeden Menschwesen gewiss.

Die Leuchterdenke mit all ihren Neuinterpretationen und Reformulierungen bestritt diese Sätze. Wir sind allein im Universum, wusste die Leuchterdenke, wir sind ganz auf uns gestellt, endlich haben wir den alten Priestertrug durchschaut, den Aberglauben, den alten Fanatismus, endlich sind wir frei. Tragisch erhaben stehen wir im kalten Licht des Tages, ganz auf uns allein gestellt. Ganz uns selbst ermächtigend.

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 22.02.2023, © Verlag Peter Flamm 2023)