Hernach war es an Bernhard zu erzählen, von sich und den Umständen seiner Familie.
Es kühlte ein wenig ab in dem holzumschlossenen Raum, angenehm, doch war in den Wänden noch die Sonnenhitze des Tages, der trockene Geruch warmen Holzes mischte sich der kühleren Nachtluft, die durch die offenen Fenster hereindrang, Motten und ein dicker Falter mit großen, bläulich schimmernden Augen flatterten umher in der finsteren Stube, angelockt vom Lichtschein, Elvira hatte um die Kerzenflamme einen Sturz aus durchsichtigem Papier gestellt, der war schön, wunderschön, ein Blütenzweig war darauf gemalt mit Wasserfarben, auf dem saß ein leuchtend bunter Vogel – „der kommt aus China“, sagte Aslan mit dem erkennenden Blick des Kaufherrn, und die Häusler nickten, und Waldemar nahm sich vor, bei Gelegenheit Grand Mère zu fragen oder Aslan, was das sei, China, Aslan hatte das Wort in einem Ton ausgesprochen, in dem Verzauberung lag, die Sehnsucht nach etwas Buntem und unendlich Fernem, goldene Tempel auf schroffen Bergeshöhen, und spiegelnde Teiche in den Tälern zwischen dunklen Nadelwäldern … der dicke Falter mit den schimmernden Augen taumelte brummend an dem aufgespannten Papier entlang, die Häusler ließen ihn gewähren, es hatte ja doch keinen Sinn, ihn einzufangen, er würde gleich wieder angeflogen kommen, so war das nun einmal mit diesen Tieren der Nacht, und eines Tages würde er finden, was er suchte: den Weg zur offenen Flamme, und er würde sie anfliegen, mit flatterndem Flügelschwung, und darin verbrennen, ein kurzes knisterndes Aufglühen würde es geben …
Bernhard erzählte mit kurzen und sachlichen Worten, doch nicht ohne Schwung, von dem Beruf des Uhrmachers, und wie der seinen Mann ernähre.
Die Kaufleute erfuhren mit Respekt, dass Bernhard ein weitgespanntes Gewerbe betreibe, weithin unterhalte er Handelsbeziehungen, der Fluss verband ihn mit einer großen Stadt, und von dort aus führten weg in alle Richtungen die Handelswege; selbst aus Paris kamen Aufträge, ja, von den Maîtres der Ehrwürdigen Sorbonne; der Maître Abelard selbst, der gestern vorbeigekommen war, hatte von ihm, Bernhard, gewusst, und sich nach dem Stand der Dinge erkundigt.
Bernhard fertigte alle Arten von Uhren, die großen mechanischen Uhren, wie sie gern an Türen angebracht werden, und Sonnenuhren, und Wasseruhren, und kunstvolle Konstruktionen eigener Erfindung, mit Gongschlägen und Pulverknall, nun, er versprach, des morgenden Tages den Kaufleuten einiges zu zeigen.
Nun verstand Aslan auch die Wohlhäbigkeit des Uhrmachers, er war einer von den Handwerkern, den seltenen, deren Ruf weit hinausgeht, durch ganz Europa, und dessen Arbeiten gesucht und gekannt werden allenthalben.
Bernhard besaß neben der Werkstätte sogar eine wohlausgerüstete Schmiede, mit mehreren, zu besonderen Zwecken tauglichen Öfen; so konnte eine Metallbehandlung vor Ort erledigt werden. Doch legte Bernhard bei den schwerern Arbeiten nicht mehr selbst Hand an, ja, Aslan zweifelte, ob er es überhaupt je getan hatte, seine Hände, seine ganze Gestalt sahen nicht danach aus, er war ein Feinwerker, einer, der sich mit kleinen und empfindlichen Dingen befasste, nicht aber den Schmiedehammer betätigte, höchstens vielleicht, wenn es eine sehr diffizile Arbeit zu bewältigen galt …
Eramir, natürlich, folgte seinem Vater nach, dass das Geschäft in gleichen Händen bleibe und Beständigkeit sich zugeselle dem Wandel, wie es Vautrin gewollt, und Oswald war der Lehrling, der hatte noch viel zu erfahren und war guten Willens.
Schließlich waren da noch die beiden Klienten, die erledigten alles, was anfiel, kümmerten sich um Haus und Garten und Vieh und fuhren zur Stadt, wenn es nötig war; und zusammen mit den beiden Frauen, Elvira mit der gläsernen Feenstimme und der kleinen süßen Hermine, waren sie sieben Personen in dem Haus des Uhrmachers Bernhard.
Da der behagliche Bericht seines Vaters andauerte, war Eramir aufgestanden und zum Fenster getreten; dort blieb er stehen und wartete höflich und schweigend, bis Bernhard geendet hatte.
„Stille ist über der Silberstadt“, sagte er dann leise.
Sie erhoben sich und traten zu den Fenstern, Elvira und Bernhard gingen hinaus auf die Terrasse.
„Wahrhaftig“, sagte Grand Mère.
Stille war über der Silberstadt, im Dunkeln konnte man eben noch die Weidengebüsche ausmachen am Fluss, und über ihnen stand dichte, wolkige Finsternis, sonst nichts.
Die Glutsäule war verschwunden.
Wohl musste der Rauch noch da sein, aber er war unsichtbar, das nährende Feuer war erloschen und beleuchtete ihn nicht mehr.
„Dass es so dunkel ist“, sagte Magdalena. „Wo der Mond nur steht?“
Der Mond musste längst aufgegangen sein, aber der Himmel hatte sich mit einer dichten Wolkendecke bezogen, kein Schimmer drang hindurch.
Die Familie des Uhrmachers, die Kaufleute spähten hinüber zur Silberstadt, lauschten. Kein Ton war zu hören.
Nein.
Auch von dem Sammler Henri und seiner Familie, auch von denen hörte man nichts.
(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 19.02.2023, © Verlag Peter Flamm 2023)