Je dümmer die kleinen Menschlein waren, desto lieber hörten sie das. Der Junge erinnerte sich an das glotze Gaffen, an die offenen Mäuler, mit denen die Botschaft empfangen ward. Er erinnerte sich auch an sein eigenes Unbehagen, das ihm sagte: Du bist sowieso nicht mitgemeint, die Richtigen sind gemeint, und da gehörst du ja nicht dazu, hier feiern die Richtigen sich selber, haben sie irgendein Recht dazu?
Er bekam den Feierton den Waberton in der Schule serviert, und erkannte ihn wieder, wenn die Pferdeschnauzige das Hohelied von „der Frau“ anstimmte. In der Schule beteten sie an „unser Volk“, daheim betete an die Pferdeschnauzige „die Frau“. Die Weihebrunst war die gleiche. Wenn die Pferdeschnauzige in Fahrt kam, sprach sie das Wort „Frau“ aus wie „Fwau“.
Wulstiges Wort von wulstiger Lippe.
Selbstfeier loderte.
Kapiert überhaupt einer, was diese Fwau durchgemacht hat? schrie sie, wenn irgendeine Bühnenschreiin die Kulissen eingerissen hatte.
Nein, keiner kapierte das, nur sie, in ihrer Tiefe.
In ihrer Kultiviertheit.
Mit ihren Gefühlen.
Fwau war immer groß darin und dadurch und insofern, als sie Schreckliches durchgemacht hatte. Insofern, als ihr Schreckliches zugefügt worden war, von den Männern, versteht sich. Nachfühlen, was Fwau durchgemacht hatte, konnte wieder nur, wer Anteil hatte an der Tiefe von Fwau. Und wer konnte das schon. Ganz bestimmt kein Mann. Aber auch nicht die dummen Hühner, die rumliefen und den Männern zu gefallen suchten. Nein. Wirklich nachfühlen, was Fwau durchgemacht hatte und täglich durchmachen muss, kann nur, wer Anteil hat an der Tiefe von Fwau. Wer mitfühlt und mitleidet, in einem Wort, wer Fwau ist durch und durch.
Heilig! Hoch! Erhaben!
Fwau und Volk verschmolzen einander insoweit, als sie litten. Was unser Volk gelitten hat! Unser Volk ist wesentlich ein leidendes Volk. Ein still leidendes Volk, das ist unsere Art, wir rühmen uns nicht unseres Leidens, wir rühmen uns nicht unserer Tiefe, wir leiden still und tief, wir tragen die Not, wir wachsen an der Not, das sieht ja keiner das versteht keiner, aber das muss wohl so sein. Weil wir so tief sind, deshalb leiden wir so tief. Das ist eben unsere Fähigkeit zu leiden! Die erwächst aus unserer Tiefe! Wer tief ist, der leidet, das muss wohl so sein.
In einem Wort, Volk war für die Stiefel Fwau. Still, leidend, tief. Zu lodernder Ritterlichkeit riss es da hoch die mannenden Stiefel, beizustehen dem leidenden Volk, zu retten die bedrängte Schöne! In ihrer Hilflosigkeit! Wer wollte da abseits stehen, wenn es gilt, die verfolgte Unschuld zu schirmen? Wer da nicht aufgerufen sich fühlt, was für ein Mann ist das eigentlich? Was bist du eigentlich, ein Mann oder was? Und sowas will ein Mann sein!
Volk und Fwau verschmolzen einander insoweit, als sie litten. Was Fwau gelitten hat! Fwau ist wesentlich leidende Fwau. Still leidende Fwau, das ist die Art von Fwau, Fwau rühmt sich nicht ihres Leidens, Fwau rühmt sich nicht ihrer Tiefe, Fwau leidet still und tief, Fwau trägt die Not, Fwau wächst an der Not, das sieht keiner das versteht keiner, aber das muss wohl so sein. Weil Fwau so tief ist, deshalb leidet Fwau so tief. Das ist eben die Fähigkeit von Fwau, die naturgegebene die eingeborene Fähigkeit von Fwau, die Fähigkeit zu leiden! Die erwächst aus ihrer Tiefe! Aus der Tiefe von Fwau! Wer tief ist, der leidet, das muss wohl so sein.
Volk, das war tief. Fwau, das war eigentlich noch tiefer. Unser Volk verstehen konnte nur einer, der Anteil hatte an der Tiefe. Fwau verstehen konnte nur einer, eigentlich nur eine, die Anteil hatte an der Tiefe.
Im Verstehen von Volk im Verstehen von Fwau, im Bekenntnis zum Volk im Bekenntnis zu Fwau erwies sich, ob einer Anteil hatte an der Tiefe.
(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 10.02.2023, © Verlag Peter Flamm 2023)