Vorstellung

Flach duckte sich das Haus in die Dunkelheit, einstöckiger Holzbau.

Vorgelagert eine überdachte Veranda, säulengestützt das Dach; eine kurze Treppe mit gedrechseltem Seitengeländer stieg sittsam zu Grund.

Drüben rauschte der Fluss, nur der Fahrweg trennte Wohnung und Ufer, das Murmeln und Strömen umwob das Haus mit weichen Kissen, bettete es sicher, bettete es gut …

Schatten zur Linken, Schuppen vielleicht, Stallungen, Remisen.

Die Gestalten auf der Veranda winkten und riefen, als sie der Wagen ansichtig wurden, sie hatten schon länger draußen gestanden, spähend gelehnt gegen das Holzgeländer, mit gespannten Hälsen, hatten Ausschau gehalten nach der Silberstadt, beargwöhnt die ferne Glutsäule, die sich im Osten über die Ufergebüsche reckte, und da sie so standen und sich quälten, hatten sie es rumpeln gehört und näherdröhnen, zu ihrem Erstaunen, das waren die Wagen gewesen, unvermutet kamen sie den Weg heruntergehumpelt.

Roger führte die Wagen in einer engen Linkskurve auf den Vorhof des Hauses, vor die Veranda, und die Leute liefen herbei, einer hatte schon unten gestanden, ein junger Mann, doch halt, so jung auch wieder nicht, im Alter wohl irgendwo zwischen Roger und Aslan, glattrasiert, mit ernsten Gesichtszügen –

„Wo kommt ihr her?“ rief er und beeilte sich, Roger mit den Ochsen zu helfen.

„Vom Fluss – wir sind Kaufleute – “ antwortete Roger in Hast und blinzelnd, denn er musste gegen das Licht blicken, er hob die spärlich glosende Fackel höher, damit er sein Gegenüber erkennen konnte.

„Seid uns willkommen“, sagte der Mann mit Ernst, doch kaum verhohlener Unruhe. „Ich bin Eramir, der Uhrmacher …“

„Der Hausherr?“

„Nein, Hausherr ist mein Vater, auch er Uhrmacher, dort oben steht er, auf der Veranda …“ Er hob die Stimme und rief hinüber: „Vater, komm doch herunter, die Gäste zu begrüßen!“

Der Mann, der oben beim Seitenpfosten neben der Treppe wartete, ohne sich übrigens anzulehnen, mit etwas hängenden Schultern und gespreizten Beinen, beeilte sich, der Aufforderung zu gehorsamen, er hielt sich dabei am Geländer fest und richtete den Blick auf den Boden, Roger bemerkte es wohl.

Inzwischen war Aslan vom Wagen herabgeklettert, er hatte große Mühe, sein Bein war unter dem Sitzen steif geworden. Er humpelte um die Ochsen herum und kam gerade zurecht, den Hausherrn zu treffen.

„Das ist Aslan, der Herr dieser Wagen“, sagte Roger vorstellend und zog seinen Schwiegervater am Arm herbei, halb ihn dabei stützend, dass er nicht falle.

„Und dieser hier ist Bernhard, der Herr unserer Häuser, mein Vater“, gab Eramir zurück, mit einer gewissen zeremoniellen Grazie.

Bernhard war ein alter, kleiner Mann … so alt wie Grand Mère? Oh ja, sicher, doch war er weniger rüstig als sie. Aslan drückte ihm die Hand, wie es sich gehörte, in der Eile betrachtete er ihn nur flüchtig, das Licht war auch zu schlecht, und dann …

Er drehte sich um und sah zurück, und dort stand immer noch die Glutsäule auf der anderen Seite des Flusses, nach zwei Wegstunden erschien sie nun doch kleiner, aber furchteinflößend war, dass man sie überhaupt noch sehen konnte.

„Wir waren dort …“ sagte Roger mit Hast, und die Leute verstanden, was er meinte, nämlich: als es passierte.

Eine Frau trat herzu, Eramir stellte sie als sein Weib vor, Elvira, welch hübscher Klang, dachte Magdalena oben auf dem Wagen, Eramir und Elvira, Eramir und Elvira, sie war in seinem Alter, beide Mitte Dreißig, nicht weit entfernt von Magdalena also, braune, dünne Locken trug sie und war etwas knochig, doch nicht ohne Reiz.

Schließlich gab es noch zwei Klienten, ein Ehepaar, Oswald und Hermine, er schien sie Minchen zu rufen, und sie blieben stets eng beieinander, sie hatten große Angst vor dem Feuer über der Silberstadt, sie waren noch ganz jung, jünger als Inge.

Die Kaufleute stiegen herab von den Wagen, die gegenseitige Vorstellung wurde schnell abgemacht, die Hausbewohner befanden sich in heftiger Aufregung, redeten sprunghaft, stellten Fragen und warteten dann die Antwort nicht ab, und immer wieder blickten sie hinüber zur Silberstadt, zu der drohenden Rauchsäule.

„Kommt doch in’s Haus, seid unsere Gäste“, sagte Bernhard, der alte Mann, der Hausherr: als Aslan ihm die Hand gedrückt hatte zur Begrüßung, hatte er gespürt, dass jener eine schlanke, kühle Altmännerhand besaß, zart und weich, mit schwachem Druck, fast wie die einer Frau … mit feiner Arbeit musste dieser beschäftigt gewesen sein, sein Leben lang.

„Gern nehmen wir deine Einladung an“, antwortete Aslan, „doch bedürfen wir reichlich des Platzes, sieben Personen sind wir, wie du siehst …“

Sie standen immer noch auf dem Vorhof, der war schwach erhellt von den erleuchteten Fenstern, dass leise Lichter spielten in den Ochsenfellen und auf den Planen, und die Menschen als Schatten erschienen, wenn man gegen das Haus blickte.

„An Platz mangelt es uns nicht“, erwiderte Bernhard freundlich, „Vautrin hat uns gesegnet damit … Kommt herein, seid unsere Gäste, und bleibt über Nacht, denn weiterfahren werdet ihr doch nicht wollen in dieser Dunkelheit …“

Aslan zögerte, gerade das war es ja, was er vorgehabt hatte, weiterfahren, soviel Raum wie möglich zwischen sich und die Silberstadt zu bringen, zur Not erneut eine Nacht dahingeben, um der Sicherheit der Menschen und der Wagen willen.

„Dann habt ihr gewiss auch eine Stallung für die Ochsen“, fragte Roger, der verhüten wollte, dass der peinliche Eindruck von Aslans Zögern um sich greife.

„Gewiss“, antwortete Eramir, „Raum genug, und auch für eure Wagen findet sich eine umfriedete Stelle …“

„Ja, bleibt bei uns“, fiel Elvira ein, und die Kaufleute horchten auf, eine seltsame Stimme hatte die Frau, in mittlerer Altlage, doch nicht weich, sondern klar und spröde wie Glas, dabei mit einer Neigung, die Vokale singend auszuformen, dass man lauschte, irritiert und betört zugleich, nur auf den Klang, nicht auf die Worte, und zu ergründen suchte, ob das nun schön sei oder hässlich, und keine Antwort fand, sich nur eingestehen musste, dass eine Faszination übrigblieb, der Wunsch, dass sie weiterreden möge, eine Verzauberung mit dem unwiderstehlichen Reiz der Krankheit.

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 09.02.2023, © Verlag Peter Flamm 2023)