Trompetenblume

Eine große Milde war über Grand Mère gekommen, versöhnliche Ruhe.

Sie hatte alle versorgt, die Kranken und Blessierten, und Vautrin würde voranhelfen auf dem Weg der Besserung. Wer weiß also, wozu es gut war?

War’s ein Tag des Unglücks gewesen, ein Tag des Zorns, des lohenden Ausbruchs, so war’s eben doch auch ihr Tag gewesen, Grand Mères Tag, und ungescheut war sie dankbar dafür, oder besser, sie war einverstanden damit, sah ihren Zweck und Sinn erfüllt in einem Ereignis, wie es Vautrin nun einmal hervorzurufen beliebte, von Zeit zu Zeit, so hatte er die Welt geschaffen.

Und fühlte Grand Mère eine große innere Zustimmung wachsen in sich, sie wollte das Leben loben, denn seine Schmerzen waren die Bedingung der Erfüllungen.

Aslan hatte sein krankes Bein von sich gestreckt und hielt die Zügel nur pro forma, Roger schritt ja voran, hielt Moses Maimon am Halfter.

Armer Roger, ihm war sehr unbehaglich zumute, er hatte den ganzen Tag schuften müssen, und jetzt musste er den Weg klären in der Dunkelheit, die Fackel leuchtete kaum zwei Schritt weit, und jenseits ihres Lichtkreises lagerte brütende Finsternis, noch erfüllt von der Sonnenwärme des Tages.

Roger spürte im Nacken die glutende Säule, obwohl doch zwischen ihr und ihm schützend die Wagen rollten, er spürte sie, ihre böse Drohung, immer wieder steilten sich ihm die Nackenhärchen, und er schaute ängstlich voraus, ob sich auf dem Weg nicht etwas zeigen wolle, was ihm weiterhülfe, Trost böte.

Er fürchtete sich jetzt mehr, als er es den ganzen Nachmittag über getan hatte, da doch die Bedrohung viel größer gewesen war. Das machte vielleicht die Flucht, das Davonlaufen, die behände Tatlosigkeit.

Hinten, in Rogers Wagen, auf ihrem gewohnten Platz am Ausguck, saßen die beiden Jungen, die kleine schwarze Katze zwischen sich, die leckte umständlich ihr Fell.

„Tut es noch arg weh?“ fragte Eluard.

„Nein, gar nicht“, antwortete Waldemar mit Tapferkeit, das stimmte nur insoweit, als er Ruhe hatte, solange ihn nichts streifte oder berührte, Grand Mère hatte ihm eingeschärft, sich unter keinen Umständen zu kratzen, und daran hielt er sich.

Eluard schaute ihn an im Dunkeln, mehr als ein blasses Gesichtsoval konnte er n erkennen, und fragte sich, ob er wohl ebensoviel Selbstüberwindung aufzubringen in der Lage wäre – wenn er denn in die Lage käme; und er gestand sich ein, wohl nicht, er würde kratzen und reiben und schaben, unvernünftig, um der wohltat des Augenblickes willen fortgesetztes Leiden einhandelnd, und seine Achtung vor Waldemar stieg.

Er wandte sich und schaute hinaus, da hinten, unter dem samtschwarzen Himmel, stand die Glutsäule, die Trompetenblume aus Rauch und Feuer, und sprühte ihren zornerfüllten Kriegsgesang hinaus in die Nacht. Durchleuchtet war der steigende Qualm vom Feuergrund, bis in große Höhe, das war ein sattes, blutiges Rot, wie man es an durchgeglühten Steinkohlen sieht, und so hoch, so gewaltig schlank und hoch war die Säule, dass sie sich nicht entfernt zu haben schien, obwohl die Kaufleute nun seit über einer Stunde wieder unterwegs waren.

Neben dem Weg her murmelte ruhig der Fluss, man hörte und ahnte ihn mehr, als dass man ihn sehen konnte, gelegentlich drang ein kurzes und sanftes Aufleuchten durch die Weidendickichte und die Schilfwiesen, das war vielleicht ein Widerschein von Rogers Fackel in den Wellen, aber es konnte auch ein Blatt sein, das seine helle Unterseite dem Weg zugedreht hatte.

Manchmal schoben sich höhere Bäume zwischen die Wagen und die Feuersäule, dann geriet die Basis, der Glutherd, aus dem Blick; doch war das schlimmer als der unverkürztes Anblick, denn so schien die Säule zu schweben über den Baumwipfeln, als könne sie sich bewegen nach ihrem eigenen Belieben, wohl gar auch näherkommen, behaglich hindernislos wandeln durch die weiten Räume der Dunkelheit, gleichgültig hinweg über die Kaufleute, die Wagen, Tod bringend und Siechtum und Schmerzen.

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 01.02.2023, © Verlag Peter Flamm 2023)