Über die Motive der Pferdeschnauzigen, vor ihrem Jungen zu höhnen und zu dröhnen und zu spielen und darzustellen, muss demnach kein Wort mehr verloren werden. Sie war angefüllt mit Müll bis zum Kragen, und die stinke Majestät in ihr, ihr Regierer, flüsterte ihr unaufhörlich zu: Da der Bengel, in den schütte rein was geht, der verdient es nicht besser. Der ist ein Mannschwein! den mach fertig.
Und über allem und vor allem war da auch noch IHRE Stimme in der Pferdeschnauzigen, IHRE weiße Stimme, die Pferdeschnauzige hörte die Stimme längst nicht mehr.
Sie pumpte vor dem Jungen, sie höhnte und dröhnte, sie spielte. Sie redete von Frauglanz und Manndreck, sie redete von Kultiviertheit und Reife und Koben, sie prahlte und schwoll. Nichts und aber nichts war ihre eigene Erfindung, sie griff sich zusammen, was sie unter den Äußerungen des Geanders fand an Versatzstücken, an passenden. Wo fand sie die nur? In ihren Frauenzeitschriften, hauptsächlich, sie las ja sonst nichts anderes.
Manches war ihr auch aus ihrer Jugendzeit überkommen.
Ihre Jugendzeit, das war Stiefelzeit gewesen.
Wenn sie überhaupt etwas mit Händen und Füßen abgestritten hätte, dann, von Stiefeldenke affiziert zu sein. Stiefel waren schmutzig. Das waren doch alles Männer gewesen? Schmutzige Männer!
Aber dass sie abstritt, das bedeutete noch nichts. Abstreiten, das taten schließlich alle Stiefel.
Wir sind keine Stiefel! Wir doch nicht! Wer sagt denn sowas!
Ich habe schon geschildert, wie allgemein das Abstreiten war im Scheißvolk. Sie waren nie etwas, und sie waren nie etwas gewesen. Vor allem waren sie keine Stiefel. Nie Stiefel gewesen. Die Stiefel sind über uns gekommen, die haben uns einkassiert, mit Gewalt haben die uns übermannt, übermächtigt haben uns die! und dann haben sie in unserem Namen gehandelt, da konnten wir machen was wir wollten, einfach in unserem guten Namen gehandelt haben die, ob wir das wollten oder nicht, und jetzt werden wir dafür verantwortlich gemacht! Die Ungerechtigkeit! Wo die doch jetzt längst weg sind, die Stiefel, ja, das wissen wir auch nicht, wo die hingekommen sind, was aus denen geworden ist, vermutlich sind sie hin wo sie hergekommen waren, das wissen wir doch nicht, wo die hergekommen sind, und wir wissen auch nicht, wo die hin sind, jedenfalls sind die alle weg, nur wir sind noch da, und jetzt werden wir für all das Schlimme verantwortlich gemacht, das die in unserem Namen verübt haben, und wir können doch gar nichts dafür!
Und Mützendenke, um das gleich hier beizufügen, hatte nicht das Geringste zu tun mit Stiefeldenke, und vollends Taschendenke war wieder etwas ganz anderes.
In einem Wort, kein Angehöriger des Scheißvolks war je ein Stiefel gewesen, und Mützen konnten sie sein besten Gewissens, denn Mützendenke hatte ja nichts und aber nichts zu tun mit Stiefeldenke, und Taschendenke, na, das kam ja geradezu von einem anderen Planeten, einem Planeten, auf dem Reinheit und Unschuld ingeburtlich zu Hause waren.
(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 31.01.2023, © Verlag Peter Flamm 2023)