Inzwischen hatte Grand Mère einen Teil ihres Werkes vollendet, hatte Waldemars Vernesselungen gekühlt und gereinigt, und Inges Nase ebenso, und Aslans Wunde ausgewaschen und mit einem ersten Verband versehen.
So kamen sie angelaufen: Grand Mère vorneweg, den Kräuterkorb um den Arm gehängt, Aslan hinterher, stark humpelnd, denn das Bein begann steif zu werden, neben ihm Waldemar, die Arme immer noch abspreizend vom Leib, doch ohne noch zu weinen, dann der tief beunruhigte Eluard, unermüdet die kleine schwarze Katze tragend, und den Abschluss machte, die Hand tröstend auf Eluards Schulter gelegt, Inge, deren Nase immer noch zu schwellen schien; und sie hatte ganz kleine, tränende Augen.
„Da kommen sie“, sagte Magdalena mit träumerischem Blick aus grauen Augen, und sie lief der Karawane ein paar Schritte entgegen, nahm Aslan bei der Hand.
Hoch oben in den Lüften, unspürbar am Boden, schien ein Windstrom sich entwickelt zu haben, denn der schmale Trichter der Trompete, der Blumenkopf an langem Stiel begann auszuschleiern, dass sich fahnenartig feine Blütenblätter zeigten; doch hielt sich die Säule insgesamt noch ebenso unbewegt wie vorher, beschrieb nur eine leichte Schwingung oder Kurvung mit der Taille, so dass sie nicht mehr ganz lotrecht über der Feuerstätte stand. Unvermindert erklang das Dröhnen und Glosen herüber über den Fluss, wie von einem mächtigen, gut eingefahrenen Kohleofen.
„Wir holen als erstes die Ochsen raus, möchte ich meinen“, sagte Roger, und Aslan nickte, auch Inge kam und sah sich die Lage an.
„Besser wird es sein, von hier hinten heranzugehen“, meinte sie.
„So haben wir es auch gedacht“, stimmte Roger zu. „Ich geh jetzt und hol die Werkzeuge …“
Ja, die waren ja auf seinem Wagen, und er drang ein in das Gebüsch, und Inge lief ihm hinterher, ihm zu helfen, und auch Eluard schloss sich an, er hatte die kleine schwarze Katze bei Aslans Wagen endlich niedergesetzt, und sie verschwand fast in dem hohen Gras, ein umherirrender schwarzer Schatten nur war zu erkennen.
Zwischen Aslans Wagen und der Gebüschinsel suchte sich Grand Mère ein geeignetes Fleckchen und legte ein Herdfeuer an; Magdalena half ihr dabei.
„Was willst du tun?“ fragte Aslan, der am Rand des Haines wartend stehengeblieben war.
„Wasser“, erklärte Grand Mère knapp. „Ich muss Verbände für dich auskochen, und dann werde ich eine Kräuterpackung bereiten, wohltätig wird sie dir sein, und auch für den Kleinen …“
Aslan nickte, der Schmerz begann zu stechen in seinem Bein, bei jedem Auftritt, und zog sich hinauf bis in’s Hüftgelenk, das machte das Gehen schwer; das Knie war fast schon steif.
Waldemar stand in der Nähe und weigerte sich immer noch, sich hinzusetzen, doch schien das allerschlimmste Brennen vorüber zu sein, wenn er auch kaum aus den Augen schauen konnte, so sehr waren sie zugequollen.
Rauschend drang Roger aus den Büschen hervor; er trug Äxte und Sägen, und Inge, die ihm auf den Fuß folgte, hielt eine Hacke in der Hand.
„Wir haben alles“, sagte Roger, „dann können wir uns jetzt an die Arbeit machen.“
Eine Bresche schlagen in das Gitterwerk der Haselnussstämmchen.
Sie erweiterten zunächst nur den schmalen Durchgang, durch den sie selbst zu den Wagen hatten vordringen können, denn als erstes wollten sie ja die Ochsen herausholen; und die ersten Stämme fielen, rauschend das Blattwerk, das würde nun bald verdorren. Eluard packte ungefragt mit an, sie wehrten ihm nicht, eigentlich sollte ein Kind so schwer nicht arbeiten müssen, doch war dies eine Stunde der Not, Feuer stand über der Silberstadt, und obwohl keiner es aussprach, lag eine furchtbare Spannung in ihnen, als ob sie sich gerade vor der Nase eines schlafenden Drachen in einer Falle verfangen hätten, und in behändester Eile, doch leise, leise ihrer Befreiung zuzuarbeiten gezwungen wären.
Eluard zog die niedergelegten Äste und Stämme hinaus in’s Gras und weiter beiseite, dass sie aus dem Wege waren. Den Bruchstellen entquoll ein fein-süßlicher Duft, bei genauerem Hinsehen erkannte man, dass aus den haardünnen Grenzlinien zwischen den Jahresringen winzige Safttröpfchen drangen.
„Wir haben es gleich“, sagte Inge fiebrig, „ja, nur noch ein bisschen, so …“ Sie redete und murmelte ununterbrochen, sie wollte unbedingt, dass Roger zu ihr spräche, aber er schaute nur abwesend, arbeitete geschwind und mit geübtem Schlag mit der Axt.
Du kannst mich doch nicht einfach übersehen, dachte Inge verzweifelt. Merkwürdig, wäre sie abweisend und boshaft gewesen wie sonst, so hätte er sich vielleicht um sie bemüht, so aber, da sie es wohl nötig hatte, um seine Freundlichkeit zu bitten, zog er sich zurück …
Schließlich sah er doch auf und blickte ihr gerade in’s Gesicht. Unter ihren Augen hatten sich schwere rötlich-blaue Schatten gebildet, und ihre Nase war unförmlich aufgeschwollen und rot und grün und blau gefärbt, sie sah entsetzlich aus.
„Bei Vautrin“, sagte Roger, ruhig den Kopf schüttelnd, „wie ist das passiert?“
„Als ich unter dir gelegen habe …“
Er lachte. „Hast du versucht, mit der Nase ein Loch in die Erde zu graben?“ Er schwieg einen Augenblick, ohne sich zu bewegen, dann fügte er hinzu: „Tut es sehr weh?“
„Oh, es geht“, erwiderte sie dankbar. „Nachher, wenn ich ruhig sitzen kann, wird es sicher besser …“
Er nickte und machte sich wieder an die Arbeit. Die Wahrheit war, dass sie das ganze Gesicht schmerzte, als hätte sie einen Schlag erhalten, seltsamerweise drang der Schmerz ein in die Zähne des Unterkiefers, dort pulsierte er und summte und bohrte. Doch war sie nicht wehleidig, sie arbeitete weiter, schwieg aber jetzt.
(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 26.01.2023, © Verlag Peter Flamm 2023)