Die Abende des Jungen wären im Handumdrehen zur Hölle auf Erden geworden, wäre die Pferdeschnauzige denn nicht doch die meisten Abende aushäusig gewesen. Konzerte, Opernaufführungen, es gab gut zu tun, es gab immer was zu kritisieren. Die kleine Lokalzeitung kämpfte um jeden Abonnenten, so wurden Kulturereignisse in allen Städten rundum besprochen, und niemals schien ein Leser zu fragen: Was für einen Schwindel betreibt ihr da eigentlich? Wisst ihr überhaupt, wovon ihr redet?
Die Untertänigkeit des Menschtiers unter das gedruckte Wort, ich habe schon davon gehandelt.
Immerhin, den größeren Teil der Abende in der Woche machte die Pferdeschnauzige sich unsichtbar, und der Junge hatte die Wohnung für sich, hatte das Klavier für sich. Er konnte zur Nacht nicht mehr so gewaltig in die Tastatur sich legen wie in der alten Wohnung, denn rund umstellt waren die Zimmergehäuse von hellhörigen Wänden, an denen Nachbarn wohnten. In der alten Stadt, da waren unter der Wohnung Büroräume gewesen, verwaist vom späten Nachmittag an.
Tat seiner Spiellaune aber keinen Eintrag. Seit dem Eintritt der Sylphide in sein Leben war er verborgener und verborgener geworden, als müsse er sich nun doppelt und dreifach behüten. Vorher hatte er dramatische Akkorde mit Genuss in die Tasten gehauen, jetzt spielte er sie nur noch leise für sich, als sagten sie etwas über ihn aus, was es besser zu verschweigen gelte.
Auf keinen Fall darf irgendeiner wissen, dass mir das gefällt.
Er ging mit der Dunkelheit und der Abwesenheit der Pferdeschnauzigen oft aus dem Haus, trieb sich um in den Nachtstraßen, lernte dort erst recht, sich zu verbergen. Kam ein Auto gefahren, gar eine Polizeistreife, duckte er sich weg hinter Müllbehältern, parkenden Wagen, oder hinein in Hofeinfahrten. Duckte sich weg, bis die Gefahr vorüber war. Gefahr, gesehen zu werden. Das hatte er ja gelernt mit dem Frühesten: Blicke sind Gefahr, Blicke sind Bedrohung.
(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 25.01.2023, © Verlag Peter Flamm 2023)