Bei der Gebüschinsel entschied Grand Mère nach kurzer Untersuchung, dass eine Kräuterauflage gute Dienste leisten möchte.
„Waldemar“, sagte sie, „ich schmier dir was drauf, da hört es gleich auf zu brennen, aber wir müssen hinüber zu den Wagen … du kannst doch laufen?“
Waldemar nickte stumm, und die Tränen rannen ihm über das geschwollene Gesicht, er sah entsetzlich aus, gar nicht mehr zu erkennen. Kopf, Arme und Beine, alles hatte eine merkwürdig klumpige Form erhalten, klobig, Eluard hatte nicht gewusst, dass man von Pflanzenstichen derart zugerichtet werden könne.
Inge hätte Waldemar gerne getragen, aber er ließ sich nicht anfassen, da war nichts zu machen.
„Kannst du uns überhaupt noch sehen?“ fragte Grand Mère, und Waldemar nickte erneut, die Frage war berechtigt gewesen, er hatte winzige zugequollene Augen, als wäre er von Bremsen gestochen worden, von Wespen wohl gar.
„Dann geh ich voran“, sagte Grand Mère. „Halt dich dicht hinter mir, dann kann dir nichts geschehen.“
So setzte sich die kleine Gruppe in Bewegung, Eluard machte den Abschluss, hinter Inge, er trug die kleine schwarze Katze auf dem Arm. Als er sie vom Boden gehoben hatte, hatte er bemerkt, dass ihre Pfoten nass waren, zwischen den weichen Katzenzehen, er hatte zuerst gedacht, das käme vom Gras, aber die Wiese war ja trocken, da verstand er, dass es die Angst gewesen war, die kleine schwarze Katze hatte geschwitzt vor Angst.
Auf halbem Weg begegneten sie Roger und Aslan.
„Bei Vautrin!“ rief Aslan, „wie sieht der Junge aus …“
„Wo wollt ihr denn hin?“ erkundigte sich Roger.
„Zum Wagen“, erklärte Grand Mère, „um Waldemar zu behandeln, mit den Kräutern, wohltätig und hilfreich, wie sie Vautrin geschenkt … auch etwas Wasser vom Fluss wird guttun …“
„Aber, Grand Mère“, unterbrach sie Roger ungeduldig, „deine Kräuter sind auf meinem Wagen, und der ist dort, im Gebüsch …“
Grand Mère ächzte, die Lage war unüberschaubar, wahrhaftig, doch man musste sie meistern. Nach kurzer Überlegung sagte sie zu Inge: „Geh du mit dem Jungen zum Fluss und tauch ihn in’s Wasser, dass er sich abkühlt, ich hol derweil vom Wagen herunter, was mir nötig ist, und komme nach …“
„Ist gut“, sagte Inge, dann fragte sie Roger: „Was siehst du mich so an?“
„Deine Nase …“ antwortete Roger, die Hand zu einer weisenden Geste hebend.
Inge griff an ihre Nase, es stimmte ja, sie hatte schon die ganze Zeit so ein seltsam taubes Summen darin gespürt, und jetzt ertastete sie mit den Fingern eine gefühllose Schwellung, bei Vautrin …
„Grand Mère“, rief sie ängstlich, „was ist mit meiner Nase los?“
„Oh, oh“, erwiderte Grand Mère mit Bestürzung, „geschwollen, jetzt seh ich’s auch, und wie … darum muss ich mich nachher kümmern …“
„Aslan hat auch was abgekriegt“, sagte Roger, „am Bein …“
„Was?“ rief Grand Mère, „lass mich doch sehen, oh, das scheint ja …“
„Das genügt jetzt“, wehrte Aslan ab, etwas gereizt. „Wir kümmern uns erst um den Wagen, alles andere kommt später.“
Die beiden Männer wandten sich der Gebüschinsel zu, mit spähenden Blicken, gefolgt von Grand Mère, die bekümmert vor sich hin murmelte.
Inge schlug sich derweilen mit den Jungen zum Fluss, Eluard, immer noch die kleine schwarze Katze auf dem Arm, schaute sich häufig um, ob sich aus irgendwelchen Bewegungen oder Geräuschen ausmachen ließe, was die Männer über den Zustand des Wagens herausfanden, und dann drehte er den Kopf und betrachtete mit ängstlichem und zugleich fasziniertem Blick die schlanke, bewegungslose Rauchsäule, wie sie samtschwarz hinaufragte in den blauen Himmel, und die gefiederte Krone war eine Gefährtin den Wolken.
Und er stolperte weiter, Inge nach.
(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 20.01.2023, © Verlag Peter Flamm 2023)