Ängstlich

Ängstlich spähten die Kaufleute hinüber auf die andere Seite des Flusses, ihr Weg führte sie immer am Ufer entlang, und drüben lag die Silberstadt, lag ausgestreckt am Strom, begleitete sie.

Die Silberhaut der riesigen Kugeln glitzerte in der Sonne, unter dem hochgewölbten Himmel.

Nicht einmal Weidengebüsch, nicht einmal Schilfdickicht bot ein wenig Schutz und Deckung; der Fluss hatte zu beiden Ufern weite Kieselflächen angeschwemmt, darauf wuchs nichts, kaum, dass gelegentlich ein einzelner Grashalm hervorsah zwischen den Steinen.

Da war der Fluss, das graue Band, und zu seiner Linken der Weg, darauf fuhren die Kaufleute, und zu seiner Rechten die Silberstadt.

War nichts als das leise flutende Wasser zwischen den Gespannen und dem schlafenden Tier.

Aslan hatte die Ochsen angetrieben, mit schnellem Schritt zogen sie die knarrenden Wagen, doch war langgestreckt die Silberstadt, begleitete das Flussufer, und kein Baum verbarg sie, kein Hügel.

[…]

„Wie schön sie ist“, flüsterte Inge, sah scheu hinüber, ein Ende der Wagenplane halb vor das Gesicht gezogen.

Gleißte die Silberstadt in Figuren- und Fialenwerk, vielfach zinnengekröntes Getürm, nadelfeine Silhouette, die zärtlichen Spiele des Lichtes, der Reflexe, wie auf bewegter Wasserhaut …

Feingliedrig die Türme und Bauten, graziles Fassadenwerk aus Silber, wolkenumsponnene Nutzlosigkeit.

[…]

Auch Pracht.

Verzehrende Pracht der Grausamkeit.

[…]

Der Schlaf der Tiere ist so ungewiss.

Aber tausend unsichtbare Fäden spinnen sich zwischen den Gestaltungen des Lebens … du, sieh mir in’s Auge! Was siehst du?

Nichts, gläserne Kugel.

Und doch. Da geht einer vor dir, sieh ihn scharf an, er weiß nicht, dass jemand hinter ihm ist, und auf einmal dreht er sich um, schaut forschend, denn er hat dich gespürt.

Und dort drüben. Siehst du? Da geht dein Feind. Schau nicht hinüber, wenn du ihn ansiehst, wirst du seinen Blick fangen, wie mit feingewobenem Netz. Dort schwänzeln die fremden Gedankenfische, dein Blick, dein Denken ist wie ein kleiner Wurm, der sich windet.

Leichte Wellen im Wasser, zitternde Störung der Strömung.

Die Fische werden aufmerksam, kreiseln im Wasser. Einzelne wenden sich, fließend dreht sich der Tanz – – –

und der ganze Schwarm stürzt zu auf den Wurm, angezogen wie Eisenspäne von einem Magneten, wie strudelndes Wasser vom leeren Mittelpunkt des Trichters.

Dein Feind wendet den Kopf und sieht dich an.

Also sei vorsichtig.

Dreh dich nicht um.

Es sind die Gedanken, die die Dinge anziehen.

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 08.01.2023, © Verlag Peter Flamm 2023)