Hoffnung

Und die Stiefel die Mützen die Taschen, sie grölten vor Behagen und nannten sich die Hocherweckten die Modernen die Richtigen und freuten sich ihrer Weltherrschaft.

Wir sind das Morgen wir sind aller Tage Anfang, wussten die Stiefel die Taschen die Mützen. An uns kommt jetzt keiner mehr vorbei.

Wir beherrschen alle Rede alles Denken. Diese Welt ist unsere. Wir sind die Moderne. Wir ordnen die Welt in die Richtigen, und in solche, über die die Richtigen bloß lachen können.

Wir sind vieles wir sind alles, aber wir sind vor allem die, die lachen.

Wir sind die Richtigen, und als Richtige erkennen wir uns, indem wir über die Falschen lachen.

So ordneten die Taschen die Dinge, so die Mützen, so die Stiefel.

So ordnete die Pferdeschnauzige die Dinge, so richtete sie ein die Welt, als sie den neuen Abendbrottisch etablierte, in der neuen Stadt, in der neuen Wohnung. Hier, in ihrem Reich des Lichts, spielend sie, die Grandiose die Erhabene das Glanzwesen, bespielend ihre erleuchtete Bühne, drüben, in der Finsternis seines Zuschauerraumes, der Bengel das Mannschwein das Finsterwesen, Zuschauer. Er hatte nichts zu sein als Zuschauer, der Junge, aus seiner Finsternis heraus, es wurde nicht von ihm erwartet, dass er sich durch Äußerungen auffällig mache, nur glotzen sollte er, in fassungsloser Bewunderung des Glanzes, der ihm da unverdienterweise wurde, von der Bühne herab.

So saß der Junge, auf seiner Seite des Tisches, und glotzte in der Tat, glotzte ratlos heraus aus seiner manndurchseuchten Finsternis, und sie spielte drüben auf ihrer Seite des Tisches, im Licht ihrer frauen Grandiosität, der kosmosmittigen.

Er wusste, wusste aus langer Erfahrung, und oft genug war es ihm ins Gesicht gesagt worden, dass er ein Stück Dreck sei, dass in ihm keinerlei Gefühle seien, dass er ein stumpfer Klotz sei, und dass man ihm mit dem Nagelstiefel ins Gesicht nicht nur treten dürfe, sondern geradezu müsse, denn der spürt ja sonst nichts!

Er wusste das, er hatte oft genug das beifällige Grunzen der Grimmvettel gehört, wenn solches geäußert wurde.

Als Erwachsener dachte er nicht einmal mehr, wie konnten die.

Betrachtet man die Sache von außen, scheint sie sich der Erklärung zu entziehen. SIE hat dem Menschwesen wie allen IHREN Geschöpfen Liebe und Mitgefühl auf den Weg empfohlen, und wenn die wilden Hunde im Wald über einen kranken Menschen kommen, lecken sie ihm das Gesicht. Für die Pferdeschnauzige war das Gesicht ihres Sohnes der Ort, dahin die Tritte zu richten waren, und der Junge saß auf seiner Seite des Tisches und dachte an die Sylphide und verbiss sich die Tränen.

Wenn er an die Sylphide dachte, war ihm wie Hoffnung. Die Sylphide war ihm mehr Versprechen als Wirklichkeit. Doch, dachte er, die Welt kann sich noch ins Richtige wenden. Irgendwann wird eine Gestalt über meinen Weg kommen, in der gleichen Richtung eilend wie ich, und sie wird spüren, dass ich hinter ihr herkomme, und sie wird sich umwenden und es wird Erkennen aufleuchten in ihren Augen, und sie wird die Arme weit öffnen und sagen: Da bist du ja endlich.

Er sah die Gestalt in der Gestalt eines Mädchens. Noch als Mann sah er sie in der Gestalt eines Mädchens, nicht einmal als alter Sack wollte er die Hoffnung ganz aufgeben.

Es würde die Hoffnung noch in ihm sein, da würde er sie vor sich selber längst aufgegeben haben. Er würde das wissen.

Hoffnung.

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 07.01.2023, © Verlag Peter Flamm 2023)