Kurz die Schatten unter den Weidensträuchern, um die Gebüschinseln in der Grasebene; unbewegt, gebirgehoch getürmt die Segel, lagen die weißen Wolkenschiffe vor Anker, dort oben im Luftmeer, umflossen von Mittag.
Grand Mère ächzte und wischte sich Stirn und Hals.
Ein leichter Wellenschlag waberte über die Ebene, hielt die Bilder der Bäume in diskreter Bewegung; und das flutende Gras erglänzte, atemlos.
„Vautrin meint es gut“, sagte Grand Mère, „welch eine Hitze!“
„Kein Schade nach dem Regen“, meinte Magdalena, „gute Tage sind das für die Reife …“
Sie schwiegen wieder, waren einsilbig geworden, der gleißende Sonnenschein trug kein Verlangen nach Worten.
Aslan grübelte vor sich hin, den Kopf geneigt vor der Sonne, in den Händen locker die Zügel.
Warum war die Stadt unbewohnt gewesen? Er verstand es nicht. Sie lag am Fluss, eine Verkehrsstraße führte hindurch, fruchtbar und gut war die Umgebung, es wäre ein Leichtes gewesen, Felder und Gärten zu bebauen, nicht einmal Wald roden hätte man erst müssen, die Grasebene bot sich von selbst an, Vieh, Getreide … und dann der Reichtum der Häuser! Zwei oder drei Sammler hätten davon leben können, im Überfluss, mit ihren Familien, sie hätten sogar zwischen den Häusern ihre Gärten anlegen können und niemals die Stadt verlassen müssen … und wenn sie Ware fortbringen oder empfangen wollten, nun, die Straße war da, der Fluss schien schiffbar … und doch hatte Schweigen über der Stadt gelegen, vollkommenes Schweigen. Rätselhaft.
Denn sie schien keine von den lebensfeindlichen Städten gewesen zu sein; abgesehen davon, dass Aslan dann schon von ihr gehört hätte – es gibt solche Städte, unter ihrem Anhauch verdorrt das Leben, wer weiß, wie und warum, gemieden werden sie von allen, und schnell verbreitet sich Kunde und Warnung vor ihnen – abgesehen also davon, hatten ja Tiere in Fülle die Stadt bewohnt, die Kaufleute hatten sie mit eigenen Augen gesehen, die Vögel ohne Zahl, die Rehe und Ziegen; selbst die seltsamen zweihöckrigen Ungeheuer, denen sie am Fluss begegnet waren, scheuten die Nähe der Stadt nicht, obwohl die Tiere mit zunehmender Größe empfindlicher wurden gegen schädigende Einflüsse … und überhaupt, nie würde der Westweg hindurchführen, wenn die Stadt das Leben gefährdete …
Und doch … kein Mensch war zu sehen gewesen.
Rätselhaft.
Ein leises Flimmern hob sich am Horizont, jenseits des Flusses. Silbernes Glitzern.
Aslan strengte die Augen an.
Magdalena, die bemerkte, dass er spähte, schaute auch, die Augen mit der Hand beschattend. „Da ist etwas“, sagte sie nach einer Weile.
„Was?“ fragte Grand Mère, aus einem Halbtraum hochgerissen.
„Ich weiß nicht.“
Da war ein Funkeln, ein weit hingestrecktes Spiegeln und Glänzen, helle Reflexe. Wie hoher Wellenschlag in der Sonne, oder ein Wald aus silbernen Bäumen.
Die Sonne schien den Kaufleuten in’s Gesicht, sonst hätten sie erkannt, was es war-
„Seltsam“, sagte Magdalena, etwas ängstlich. „Es kann nicht gefährlich sein, sonst würde doch der Weg nicht daran vorbeiführen … oder?“
Eine Ahnung stieg in Aslan auf.
„Es liegt auf der anderen Seite des Flusses“, sagte Grand Mère beruhigend, aber sie spähte auch, sie machte einen langen Hals, in der Hoffnung, besser sehen zu können.
Ein Wald … oder eine Stadt aus Silber, dachte Aslan. Ich glaube, ich weiß, was das ist.
Sie hielten an, beratschlagten, dann fuhren sie weiter, mit verkniffenen Lippen.
(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 31.12.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)