Doppelreich

Es war das nämliche mythische Doppelreich, das schon die Stiefel errichtet hatten, und die Mützen ganz genauso. Hier, bei uns Richtigen, das Reich der Durchlichtetheit, das Reich des Wahren, das Reich der Zukunft, und hinter uns die heranbrandende Flut der Finsternis, der Dunkelwesen, der Untermenschen, die uns alle zurückziehen wollen in ihre Abgründe. Ob die Untermenschen nun die Rassenfeinde waren oder die Klassenfeinde oder die Männer, was für einen Unterschied sollte das schon machen? In jedem Fall waren die Reiche der Untermenschen die Reiche der Vergangenheit. Die Untermenschen langten mit schmutzig greifenden Krakenarmen, mit schleimgeifernden Tentakeln hoch aus ihrer Vergangenheit und wollten die alten Zustände wiederherstellen. Denn in der Vergangenheit hatten sie die Richtigen unterjocht, da sie heimtückisch durch Machination sich zur Herrschaft aufgeschwungen hatten über die Frauen die Richtigrassigen die Richtigklassigen. Illegitim! Hatten das im Damals irgendwie geschafft, und deshalb hatte alles Damals als Reich der Finsternis klassifiziert zu werden, alle Zukunft als Reich des Lichts. Die Herrschaft der krakenarmigen Falschen war Unterjochung gewesen, von keinem Recht von keinem guten Grund gedeckt, das große das glänzende das von selbst sich rechtfertigende Ziel war demnach die Befreiung der Richtigen aus der Knechtung durch die Falschen, die richtigen Glanzmenschen hatten erlöst zu werden aus der Unterjochung durch die falschen Untermenschen, in solcher Zielung und Abzweckung bewährte sich der natürliche Verlauf aller Geschichte, Sturmlauf aus der Tiefe finsterer Vergangenheit hinauf zu den Höhen lichtdurchwogter Zukunft, und wer in solchem Sturmlauf mitfegte, der befand sich automatisch auf der Siegerstraße, der befand sich automatisch im Richtigen, der befand sich automatisch auf der richtigen Seite der Geschichte, und in Verfolg solcher Richtigkeit, in Verfolg solchen Edelziels war jedes Mittel recht.

Übrigens gab es zu allem Damals auch noch ein Davor, einen Ort mythischen Ursprungs, einen Ort ursprünglicher Richtigkeit. Die Mützen zum Beispiel wussten: Im Anfang, da waren alle gleich gewesen. Da war alles richtig gewesen. Allen hatte alles gemeinsam gehört, und so hatten alle zueinander gleich gestanden, alle auf Augenhöhe. Kein Menschwesen war Herr gewesen, keines Knecht. Dann aber der Sündenfall! In unbegreiflicher Verderbnis hatten einige Menschwesen begonnen, sich Werte anzueignen, Land oder Beute, und die Aneignung hatte ihnen Macht geschaffen, und die neue Macht hatte sie vermocht, andere Menschwesen zu unterjochen, und so ging das weiter. Im Anfang war alles noch richtig gewesen, im Anfang der Geschichte, oder besser: im Davor aller Geschichte hatte lauter Glanz geherrscht und Licht, dann war die Verderbnis gekommen, in immer schnellerem Abstieg. Und jetzt: unsere Zeiten! Da ist die Tiefe erreicht, da ist die Talsohle erreicht, da ist der Boden des Abgrunds erreicht. Nun kann nur noch der Untergang folgen, oder die Wende. Die totale, umstürzende Wende, die Revolution. Revolution, gewirkt durch die Richtigen die Erleuchteten die Wissenden! Jawohl, die Wissenden! Die Wissenden, die um die alleinige Wahrheit Wissenden, die bemützten Wissenden also müssen die Macht ergreifen, und die Knechtsgerüste der Herrschenden und Besitzenden zerbrechen, die Zwangsgehäuse, die gesellschaftlichen Gefängniskorridore, und dann kommt ein neuer Morgen, der Morgen des Anfangs der Morgen des Ursprungs wiederauferstanden, dann kommt das Heil zurück, alle Menschheitsgeschichte offenbart sich als das, was sie war, als Fehler und Irrtum, voraus aber liegt das Heil, die neue Gleichheit, gewirkt von den Mützen, und der Planet rollt in neuem Licht, in neuer Schönheit!

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 30.12.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)