„Die Hälfte haben wir geschafft, denke ich“, sagte Aslan. „Das dürfte hier der Stadtkern sein.“
Die Häuserfront wich zurück vom Uferweg, der dadurch verbreitert wurde; hohe, alte Linden beschatteten seinen Lauf, die wuchsen in regelmäßigen Abständen.
„Dort ist eine Brücke“, rief Grand Mère, „schaut nur!“
Ja, eine Brücke breit und stattlich, mit zwei steinernen Pfeilerpaaren, nahe dem jeweiligen Ufer, und genau in der Mitte war sie geborsten, tief hingen die Bruchteile in’s Wasser.
Noch waren die Seitengeländer erhalten, die Unterstrebungen, vielfach winkte Buschwerk hervor, und die Tauben flogen aus und ein im Gestänge, Grasbüschel und niedriges Gesträuch bewuchsen den Brückenbelag, die schräg zum Wasser fallende Fläche, wie auf den Straßen.
„Lange kann das noch nicht her sein, dass sie zerbrach,“, meinte Aslan, „der Fluss hätte sie sonst schon weggeschwemmt …“
„Ja“, stimmte Grand Mère zu, „vor kurzem erst muss es gewesen sein“, und Magdalena fröstelte.
Der Uferweg öffnete sich auf eine breite Querstraße, die verlängerte die Brücke hinein in die Stadt, so dass ein halbkreisförmiger Platz entstand, am Flussufer.
Aslan hielt die Ochsen an.
„Was ist los?“ rief Roger von hinten. „Warum halten wir?“
„Ich möchte mir die Brücke ansehen“, erklärte Aslan und stieg ab.
„Sei vorsichtig!“ rief ihm Magdalena hinterher.
Aslan ging ein Stück auf die Brücke hinaus, unmittelbar am Ufer war sie noch intakt, der aufgeschotterte und bröselige Belag knirschte unter den Füßen, dann allerdings senkte sie sich, das Geländer und die Verstrebungen waren vielfach zerrissen, roter Roststaub bedeckte den Stein darunter, unter schließlich fiel alles steil ab zum Wasser, und auf der gegenüberliegenden Uferseite zeigte sich dasselbe Bild.
Aslan bückte sich und untersuchte die Risse im Boden, dort, wo er begann sich zu neigen, und sie waren frisch, keine Flechten hatten sich angesetzt, kein Moos, sie waren noch nicht einmal verfärbt vom Wetter.
„Vielleicht ist es überhaupt erst ein paar Tage her“, murmelte der Kaufherr.
Eluard und Waldemar waren schnell herabgehüpft vom Wagen, als sie anhielten, sie waren dankbar für jede Gelegenheit, sich die Beine zu vertreten; nun liefen sie hinaus auf den Halbmondplatz, vor der Brücke.
Zwischen den Linden und den Haselsträuchern war genügend Raum, sich zu bewegen, nur vorsichtig sein musste man, dass man nicht stolperte, denn uneben war der Boden und vielfach unterhöhlt und unterminiert.
„Das ist eine große Stadt!“ sagte Waldemar staunend. „Schau nur, die Häuser!“
Sie gingen ein Stück auf die Brückenstraße zu, stadteinwärts, und sie sahen, dass die Eckhäuser, am äußersten Rand des Platzbogens, hoch waren und prächtig; und die vielgestaltigen Fassaden setzten sich fort die Straße hinunter, so weit man sehen konnte, beidseitig, vier bis fünf Stockwerke hoch.
Eine prächtige Straße war das, breit und schön; und in den Erdgeschossen der Häuser klafften riesige Fensteröffnungen, die gingen oft genug durch bis zum Boden, und große Bruchstücke von Glas klemmten noch darin, das blitzte und spiegelte.
Still war es in der Straße, nur Vögel zwitscherten in den Büschen, und als Waldemar und Eluard näher traten, entfernte sich ein Reh, ohne große Eile, es hatte an den Blättern gezupft.
(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 25.12.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)