Vorbei.
Jetzt flankierten stattliche Häuser den Weg, Fronten aus rötlichem oder grauem Sandstein, vielfach verziert mit Erkern und Nischen, mit hervorkragenden Gesimsen und halbeingelassenen Säulen und Pfeilern. Hoch waren sie, fünfstöckig zumeist, und von wechselnder Breite; ab und zu wurde ihre Folge unterbrochen von einem schmalen Sträßchen, das vom Uferweg stadteinwärts zweigte.
Efeu bekletterte reichlich die Fassaden, unter wenn, wie an den Seitenstraßen, die Südseite der Sonne offen lag, auch wilder Wein. Die Fensterscheiben waren fast alle zerborsten, die Rahmen ausgefault und herabgefallen; den Fuß der Häuser begleiteten, wie überall, niedrige Schuttwälle, Trümmerblumen wuchsen dort, da waren die Ziegel gestürzt von den Dächern, Fenstersplitter, Putz- und Mauerwerk hatten sich aus den Fassaden gelöst, unter dem Biss des Frostes und den Auswaschungen des Regens, und alles hatte sich gesammelt unten an den Häuserwänden, lag und wurde gemehrt, langsam, im Lauf der Jahreszeiten.
Manchmal finden Wind und Regen und die fliegenden Pflanzensamen günstige Bedingungen vor, da ist eine Stelle, eine einzige in den harten Häuserfronten schwach und ungeschützt, ein kleiner Mauerriss vielleicht oder ein Pilzbefall, und der Regen sickert ein, Wachstum verbreitert die Spalte, der Wind trägt die ausbröselnde Materie davon, und dann geschieht es nicht selten, dass sich der Spalt durchfrisst nach innen; und Brocken poltern auf die Straße, faustgroß erst, dann dick wie ein Kinderkopf; und bald ist ein Loch in die Fassade gerissen, das weitet sich rasch, und man kann hineinblicken von unten in das Gehäuse, in die Wohnung, mit den verrottenden Resten des Mobiliars, den Türdurchgängen (oft sind dich Türen am haltbarsten!), den dicken Pilzkolonien in den Zimmerwinkeln.
Ist dies geschehen, so ist das Haus verloren; Wind und Wetter finden Eingang, beißen am Stein, Schutt regnet herab in immer größeren Mengen, und bald sinkt die Fassade dahin, offen legend die Gehäuse, und die Böden, des Haltes beraubt, senken sich zur Straße hin, seltsam durchhängend, wie nasse, zum Trocknen aufgespannte Decken, bald brechen sie durch, krachend und staubend, legen sich nieder als ungeformter Schuttberg über das fester gebaute Kellergewölbe, und dann stehen nur noch von dem großen Haus die drei übriggebliebenen Außenmauern, die mögen sich halten eine lange Zeit.
Viele dieser Ruinen fanden die Kaufleute im Vorbeifahren; aber ebenso oft und öfter waren die Gehäuse geschlossen, überwuchert auch von doch schützendem Efeu, denn fest und solide hatte hier Vautrin die Häuser gebaut am Uferweg, nur die kleinen Schuttwälle an der Straßenkante zeugten von sachtem Verfall.
„Still ist es hier“, sagte Inge klagend. „Niemand wohnt hier, und ist doch eine so große Stadt!“
Oft konnte man durch sich öffnende Seitenstraßen hineinschauen in das Häusermeer, reich unter groß waren die Häuser, von unerschöpflicher Vielgestalt, weithin folgte der Blick den Straßenzügen, langgestreckt, und überall wucherte Gebüsch und Gesträuch, seltener hatten Bäume Wurzel gefasst, auf Straßenkreuzungen zumal, wo reichlicher Platz vorhanden war, oft waren das dann schnellwüchsige Essigbäume mit gefiederten grünen Wedeln, die brachen hervor aus den Straßenbelägen wie Pilze, an unerwarteten Stellen.
Weit entfernt vom Flussufer, nach Südwesten zu, sah man eine Gruppe blitzender Türme das Dächermeer überragen, von rechteckigem und rundem Grundriss, und himmelhoch, fünfzehn und zwanzig Stockwerke, Aslan hatte schon welche gesehen, die waren noch höher, in den großen Städten trifft man sie häufig an, sie sind gebaut wie für die Ewigkeit, aus Glas und Beton, kaum bieten sie Anhalt für Pflanzensamen; nur an geschützten Stellen, wo sich Flugerde sammeln kann, sind sie bewachsen, Flechten und Moose allerdings zeigen sich auch hier, langsam ist ihr Wachstum, doch zäh und stetig, sie bohren ihre winzigen Würzelchen in feinste Unebenheiten und Vertiefungen, in kaum wahrnehmbare Rauheiten der Oberfläche, zersetzen den harten Stein. Im Inneren der Türme gedeiht der schwarze Staub der Schimmelpilze, denn Wasser kondensiert an den Wänden, sickert herab, von Stockwerk zu Stockwerk.
Zum Schluss ist kein Zweifel, wer gewinnen wird, auf lange Sicht.
(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 23.12.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)