Gemächlich

Gemächlich trotteten die Gespanne vor sich hin, es war hier nicht so heiß wie vorhin auf der Wiese, seidenweich floss die Kühlung daher der Flussluft.

„Groß ist die Stadt …“ sagte Magdalena träumerisch und blickte hinüber auf die andere Uferseite, wo die hohen Häuser sich spiegelten in der grauen Flut, in den weiten Flachwasserteichen, die ihre Mauern umspülten …

Die vereinzelten weißen Wolken am Himmel hatte kaum ihre Lage verändert, fast windstill war es.

Sommerwolken. „Klack-klack“, machten die Ochsenhufe, und es klang wider aus den Gebüschen und Wäldchen, sonst war kein Geräusch zu hören, nur die Vögel zwitscherten, und die Tauben gurrten, sie tippelten eifrig am Rande der Uferbefestigung umher, der festen Steinkante, und vier Ellen tiefer floss das Wasser, das mochte bei Hochwasser schon einmal emporlecken.

Von Zeit waren steile Treppchen in den Randstein eingelassen, die führten hinunter zum Wasser, doch waren ihre Stufen von Gras und Kräutern überwuchert, dass es gefährlich gewesen wäre, darauf herumzuklettern.

Still war der Fluss, grau und ruhig, es zeigten sich keine Wasservögel, die lebten lieber in den weiten Schilfdickichten stromaufwärts, an denen die Kaufleute vorbeigekommen waren.

Eine Taube ließ sich flatternd auf der Wagenplane nieder, blieb eine Weile sitzen, ruckte unruhig mir dem Kopf und spähte, dann flog sie wieder davon.

Leicht nach Südwesten gekrümmt war der Fluss, in gleichmäßigem, steten Bogen, so dass die Kaufleute im Schatten fuhren, wenn die Bäume dichter und höher an’s Ufer traten.

„Ein Wald …“ sagte Grand Mère. „Schau, da sind wieder Kastanien, wie vor Dietrichs Haus.“

Kastanien und Ahorn, in dichten Beständen, und dunkel, schwarzschattig war es zwischen den Stämmen, dass kein Bewuchs aufkam, kaum ein paar spärliche Grashalme. Das war eines von den Wäldchen, wie sie in Vautrins Städten häufig zu sehen sind, ein Hain zwischen den Häusern, Platanen und Weiden und Pappeln findet man oft, und unter den Gebüschen die leuchtenden Blattfälle des Goldregens.

Kühl und still wehte es daher aus dem Hain, er trat bis dicht heran an den Weg, und die Kaufleute schauten schweigend in das Dunkel zwischen den Stämmen, das Rumpeln der Wagenräder klang kaum wider, die dichten Kronen verschluckten jeden Laut.

Steinerne Brunnen habe ich oft gefunden, darin, dachte Roger, es war nur so ein Satz, wie ihm öfter einfielen, er wusste nicht, was er bedeutete.

Die Häusler benutzten die Haine gern als Totenstadt, der Bodengrund lädt dazu ein, er ist frei von Unterholz … Sammler, die tiefer eingedrungen sind, erzählen von seltsamen Bäumen mit rötlich fasernder Rinde und zierlichem Wuchs, und von vielfachen Verästelungen bizarrer kleiner Laubbäume … oft ist die Grundfläche der Haine nicht größer als die einer Großen Halle, aber manchmal erstrecken sie sich auch straßenzügeweit, und dann gibt es welche, die sind wie wirkliche Wälder, nur zu umgehen, nicht aber zu durchmessen in ihrer unergründlichen Dichte, schwarz und traumverloren.

Wasserläufe, Teiche gibt es fast immer im Inneren, die sind das dunkle Herz der Haine, still und verborgen; wenn man den Weg zu ihnen gefunden hat, kann man sich niedersetzen an ihren Ufern und die Zeit verträumen, lange Tage und Tage, und den Geschöpfen der Tiefe zusehen, wie sie unter der Oberfläche spielen, mit schleiernden Bewegungen, den wehenden Wasserhaaren, Flossenarmen …

Die Grenze des Wäldchens wurde gebildet von einer Straße, die führte linker Hand vom Uferweg hinein in die Stadt, in leichter Krümmung.

An der linken Straßenseite standen schweigend die hohen Bäume des Haines, Ahorn hier vor allem, mit dichten Kronen, und an der rechten Seite erhoben sich die grauen Fassaden großer Häuser, vierstöckig, mit leeren Fensterhöhlen. Die Straße selbst war von undurchdringlichem Gestrüpp bewachsen, doch niedrig, wohl kaum mannshoch; zerbrochen der Belag und aufgeschottert. Oh, seit langem war hier niemand gewesen, hatte sich niemand seinen Weg hindurchgesucht, nicht einmal ein Sammler, unberührt schlief das Strauchwerk, kleinblättriges Astgewirr.

Die Kaufleute schauten hinein in die Straße, im Vorbeifahren, so still war sie, die Bäume des Haines und die hohen Hausfassaden standen einander gegenüber, schweigend, die Zeit floss, die Jahre, die Jahrhunderte, sie warteten darauf, dass sie sich vereinigen könnten, und es würde geschehen, nach und nach und so langsam, dass kein Beobachter es würde feststellen können, erst hinterher könnte man sagen, siehe, hier war ein Wald, und, siehe, hier war eine Straße mit Häusern, nun haben sie sich vereinigt, Schutt und rauschendes Laub …

Weit konnte man in die Straße hineinsehen, das Gestrüpp auf ihrem Grund kümmerte, Vautrin hatte den Belag gut befestigt, nur mühsam wurzelten die Pflanzen … die graue Häuserfront begleitete die Straße bis zu ihrem Ende, wo sie, tief im Innern der Stadt, in einen kreisrunden Platz oder Straßenknoten mündete, der bildete den Eckpunkt des Haines, auch die Fassaden brachen ab, sie mochten zur anderen Seite des Platzes wiederauferstehen, man konnte es nicht erkennen, der Blick sank hinein in verwischtes Grün, ertrank.

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 21.12.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)