Unbewohnt

Grau erstand die Stadt, flussabwärts.

Die Gespanne fuhren entlang einer befestigten Uferstraße, zur Rechten der Fluss, zur Linken die schweigenden Fassaden der Häuser.

Dahinter das Gewinkel der Straßen, der Wäldchen und Plätze, der Häuser und großen Bauwerke.

Unbewohnt.

Die Kaufleute lauschten bedrückt, ob sich nicht etwas rege, aber sie vernahmen nichts, nur das Gezwitscher der Vögel, auch hatten sie vor den ersten Häusern keine Meldeglocke gefunden.

Wohlbefestigt war das Ufer, mit schweren Steinquadern, die trotzten der langsamen Auswaschung des Wassers und würden noch halten für eine lange Zeit, wenn sich auch an einzelnen Stellen Unterhöhlungen zeigten.

Die Räder holperten schwer auf der Straßendecke, die ähnelte den Fahrschneisen auf einer der Großen Straßen, zerbrochen und zerschottert, bewachsen von allerlei tiefwurzelnden Trümmerblumen, Schafgarbe, Wolfsmilch und Kamille, Beifuß und dichte Polster von Brennnesseln, wenig Sinn hatte es, sich hier an’s Ausrupfen zu machen, zu groß war die Wuchskraft und Zähigkeit der Schuttgewächse.

Da und dort ragten zur Rechten, an der Uferkante, Reste eines Geländers, sperrig-rostiges Gestrebe, weiß von Vogelkot, und drüben, auf der anderen Flussseite, setzte sich die Stadt fort, vier- und fünfstöckig die Häuser an der Wasserkante, doch standen die Erdgeschosse unter Wasser. Der Strom hatte sich ein neues Bett gegraben, und nun konnte man drüben mit dem Kahn durch die stillen Straßen fahren, schläfrig widerspiegelten sich die Häuserfronten in der grauen Flut, belebt nur vom sausenden Flügelschwung der Vögel.

Oft sieht es so aus in Städten am Fluss.

Als die Kaufleute hineinfuhren in die Stadt, begleiteten eine Zeit lang niedrige Bauwerke die Straße, langgestreckt und fensterreich, mit flachen Dächern und Höfen dazwischen. Sie erinnerten Aslan an die Halle, in der er seine Kindheit verbracht hatte, mit dem Röhrenstapel und der Rolltür.

Die Dächer waren größtenteils eingestürzt, auch viele der Mauern hinweggesunken, Sträucher wucherten kunterbunt, viel Weißdorn und Schlehen zumal, aber auch Haselsträucher und Birken, an anderen Stellen waren Flächen rauer Wiesen freigeblieben, auf den ehemaligen Höfen, da standen borstige Gräser und immer wieder ausgedehnte Polster von Brennnesseln, die nickten im Wind.

Unter dem harten Grün blitzte es an manchen Stellen vage hervor, rötlich, das waren die Eisenbänder, die man oft findet, endlos ziehen sie sich hin, von Stadt zu Stadt, über die Länder, immer zu zweit, in genauem Abstand parallel nebeneinander her laufend; meist sind sie zerfallen, so sehr, dass sie morsch bröseln, wenn man sie anfasst, rot und ockergelb, und verbunden und getragen sind sie in engen Abständen durch hölzerne Balken, längst verfault fast immer, nur an seltenen geschützten Stellen, in den dunklen, langhallenden Tunnels zumal, wo Menschen sich ungern aufhalten und das Wetter nicht hinkommt, haben sie sich bewahrt …

Zwischen den niedrigen, langgestreckten Schuppen und den Brennnesselhöfen erhoben sich immer wieder seltsame metallene Konstruktionen, Eisengerippe, geformt wie große Häuser, mit Dächern, die waren in Zickzacklinie zusammengezogen, und in den Winkeln der Eisenstreben, saßen oft glitzernde Scherben, Glasreste, die zeigten an, dass die rostenden Skelette wirklich einmal Häuser gewesen waren, aus Stahl und Glas, wunderliche Behältnisse, und die Menschen wissen nicht, zu welchem Zweck sie Vautrin vorgesehen hat, sie wissen nur, die Menschen, dass sie schwach sind und zu gering an Zahl, und dass es ihnen nicht gelingen will, die Städte und Länder zu bevölkern, wie Vautrin es befohlen hat.

Das ist ein großes Unglück, verschwendet all diese Wunder …

Die Schuppen und Glashäuser wurden abgelöst durch eine Zone freier Flächen, auf denen stand nur gelegentlich ein Hausrest, buschumweht, vielfach von Gräben waren sie durchzogen, und dem Horizont zu, ein gutes Stück entfernt von der Straße, zeigten sich eigenartige flache Hügel, regelmäßig geformt, mit steilen Böschungen, auf denen wuchs allerhand Strauchwerk. An manchen Stellen hatte die Erosion tiefe Rinnen herausgewaschen, ja, das waren Wunden in den Flanken der Berge, bei Regen würden da Bäche hinunterstürzen, immer erneut von der Masse der Hügel etwas hinwegnehmend, in die Ebene hinunterschwemmend, und einmal würde der Tag kommen, da wären die Hügel zusammengesunken, eine flache Geröllhalde nur würde noch künden, dass hier eine Erhebung war, aber bald würden auch darüber die Bäume und Sträucher hinwegwachsen, der Wald würde sich die kahlen Wiesen erobern, irgendwann.

In den Hügeln und den Wiesen kletterten und stelzten die Ziegen umher, es gab sie reichlich hier, auch eine Herde geduckter kleiner Rehe sahen die Kaufleute einmal, die Tiere waren nicht scheu, wandten nur kurz die Köpfe, als das Wagengerumpel nahte, dann ästen sie weiter. Zahlreiche Hühnervögel pickten und gluckten in den Gebüschen, sie ähnelten den Hühnern, wie sie die Menschen halten bei den Häusern, um Eier zu haben, doch waren sie kleiner, gedrungener, die Hähnchen sehr farbenprächtig und streitlustig, mit messerscharfen Sporen an den Klauen.

Gelegentlich flatterten die Felsentauben hoch, aufgeschreckt von irgendeinem Geräusch oder einer Bewegung, in riesigen Schwärmen, Hunderte von Tieren mussten es sein, und das Rauschen ihrer Flügelschläge erfüllte die Luft.

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 17.12.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)