Der Weg führte stetig am Fluss entlang, nach Westen, Stromrichtung. Flach waren die Ufer, öfter kiesig, dann wieder gebüschbestanden, am Laubwerk waren dann und wann die Spuren von Hochwässern zu erkennen, deren Auftreten hatte auch den Weg in Mitleidenschaft gezogen, er war nicht mehr so gut wie noch im Wald, stärker überwachsen und von Unterspülungen angenagt, doch immer noch leidlich zu befahren.
Ab und zu sprang einer der Kaufleute ab – Magdalena wurde noch geschont, trotz ihres Widerspruchs – und raufte die Kräuter und Sprossen des Weges, wie es die Sitte ist und Brauch guter Menschen.
Um das jenseitige Ufer schien es schlechter bestellt: weithin erstreckten sich sumpfige Flachwässer, Schilfweiden, Felder aus Röhricht, dunkel rauschend im flachen Gelände, manchmal aufblitzend unter dem Sonnenschein. Schwärme von Vögeln wohnten dort, Reiher und gesprenkelte Brachvögel mit langen, gebogenen Schnäbeln, Kiebitze mit Krönchen auf dem aufmerksam spähenden Kopf, Rohrdommeln, die sich hochrecken können, so dass sie ganz lang und dünn werden, um dann in dieser Stellung zu verharren, um Feinde zu täuschen, und Bekassinen mit langem, stöberndem Schnabel – alle waren sie hochbeinig, stelzend, eilig.
Aslan blickte hinüber, er versuchte zu erkennen, ob es da drüben vielleicht doch einen Weg gebe, aber er sah bald ein, dass es sich wirklich um Sumpfgelände handle, unübersehbar weit, Röhricht, Schilfdickichte, Nasswiesen. Mit einem Kahn würde man vielleicht durchkommen … aber warum auch, es lebten ja keine Menschen dort.
Kleine Inseln festen Landes waren eingestreut zwischen die Rohrwälder, dort wuchsen Weiden und Erlen, mächtige, alte Bäume manchmal, sie fanden wohl gute Bedingungen; die Schwäne mochten hier brüten im Frühjahr.
Waldemar grämte sich, er hätte gern Flusskiesel gesammelt, es war ihm aber zu spät eingefallen, als sie schon losfahren wollten, und dann war keine Zeit mehr gewesen.
„Da gibt es manchmal wirklich schöne!“ sagte er zu Eluard.
„Ich weiß“, antwortete der, „ich war doch mal bei Leuten, die haben am Fluss gewohnt, und mit den Kindern dort hab ich auch Steine gesammelt …“
Sie schwiegen beide und dachten an das bunte, rundgeschliffene Geglitzer, Sandstein zumal, von allen nur denkbaren Farben, und solche Kraft bewährte das fließende Wasser, dass es die Brocken durch bloßes Gegeneinanderdrücken schliff und feilte, bis sie rund geworden waren und glatt, von verschiedener Gestalt und Größe, groß wie ein Sandkorn oder wie die Faust eines erwachsenen Mannes, und geformt wie eine Kugel, oder wie ein Ei, oder wie ein Oval, immer aber glatt und schmiegsam, dass man sie gerne in die Hand nahm und ihre Kühle spürte auf der Haut.
Das waren die Geschenke Vautrins … wie man sich freute, wenn man einen Kiesel von besonderer Zeichnung oder Färbung oder Gestalt fand, vielleicht einen mit Einschlüssen, die auf die Oberfläche feine Zickzacklinien zauberten, oder einen der seltenen blauen, die unscheinbar grau aussahen im Sonnenlicht und ihre Himmelsfärbung erst in der Abenddämmerung zeigten! Waldemar hatte, der Wunder höchstes, einmal einen gesehen, der besaß die Gestalt einer Sanduhr – wirklich zwei langgezogene Kugeln mit schmaler Taille dazwischen … Aslan hatte gemeint, es habe vielleicht Jahrhunderte gedauert, bis diese Form entstanden sei, eine lange, lange Zeit müsse der Stein am Grund des Flusses gelegen haben, und ihn herum andere, härtere Steine, die seien durch den langsamen, so langsamen Strom des Flusses in drehende Bewegung versetzt worden, drehende Bewegung und sachter Druck, und dieser Druck hätte zu mahlen begonnen und zu schleifen, bis die Form entstanden sei … aber wieviel Zeit dann noch einmal entschwunden sein musste, bis das Wasser sein Zauberwerk an’s Ufer getragen hatte … und welcher Zufall, wenn man es fand, unter der unübersehbaren Fülle des Kiesufers!
Das waren die Geschenke Vautrins.
„Wir bleiben sicher in der Nähe des Flusses“, meinte Eluard tröstend, „da werden wir noch öfter Gelegenheit haben, sammeln zu gehen.“
„Ja, dann müssen wir aber auch daran denken“, sagte Waldemar ernsthaft. „Wenn ich es vergesse, musst du mich daran erinnern!“
Eluard versicherte ihm, dass er das tun werde.
(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 13.12.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)