Makadamisierung

Unmittelbar vor der Epoche des Unnachahmlichen war auf dem Kontinent des Jungen der Straßenbau gewaltig in Schwung gekommen, man hatte Straßen gebraucht! Straßen! für militärische Zwecke nicht zuletzt, denn wie ich schon angedeutet habe, im Gefolge der Großen Revolution waren kontinentweite Kriege vom Zaun gebrochen worden, Kriege mit Heeren, deren Größe alles übertraf, was bisher bekannt gewesen war, das ist die neue Zeit, feierten die Aufgeweckten, das ist das Hocherweck, das Volk erhebt sich, früher haben die Fürsten gekämpft, mit bezahlten Heeren, jetzt kämpfen die Völker!

Unbezahlt, versteht sich. Für das Hochgeleucht, versteht sich. Für die gute Sache, versteht sich.

Für die Bewegungen dieser gewaltigen neuen Heere wurden Straßen gebraucht, feste Straßen mit stabilem Untergrund, über die nicht nur die trampelnden Tritte der Soldaten marschieren können sollten, die ja eigentlich lieber und bequemer über Gesichter trampelten, sondern auch schwere und schwerste Geschütze, Fourage, Ochsenkarren. Und schnell musste es gehen, die Straßen mussten geprügelt werden können quer über Land auf Zuruf, je nach Bedarf. Morgen wollen wir marschieren! Für die Freiheit! Wir erwarten die Straße gebahnt! Ein Offizier von der Insel des Unnachahmlichen erfand die nötige Technik, flache Trasse wurde gegraben, Schotter aufgelegt, durch Trampeln und Berollen mit Walzen verdichtet, dieser Lage wurde feineres Granulat aufgebracht, ebenfalls niedergetrampelt, und den Schluss machte eine Kieslage, die sich mit der Zeit von selbst festtrat, ihr könnt euch die Sache vorstellen, stets sickerten die feineren Teile von oben hinunter in die Zwischenräume des gröberen Untergrunds, so feste Verbackenheiten schaffend, stabile Härte.

Für die neuen Gedankenbahnen im Zuge des hocherweckten Niederkämpfens feindlicher Gebiete wurden vergleichbare Aufmarschstraßen verlangt, und kein Schotter erwies sich als so feste und haltbare Grundlage für alle Bodenbeläge wie das grundierende Gegrins. Man entdeckte, dass der Boden sein mochte wie er wollte, feste Erde oder Gestein, Sumpf gar oder Friedhof, Ackerland oder sandiger Schwemmgrund, ganz egal: das Gegrins schuf immer festen Tritt. Über kein Gelände, Gesichter einmal abgesehen, trampelten die Stiefel des Hocherwecks mit solcher Zielgewissheit wie über den vorbereiteten Straßenzug aus Gegrins. Berge und Ebenen, Hügelketten und fruchtbare Niederungen, ganz egal, das Grinsen bereitete den Boden, über das Grinsen marschierte der Hocherweckte, das Grinsen brachte voran das Hochgeleucht, über Böden aus Gegrins schritt das Hocherweck von Sieg zu Sieg. Mützen und Stiefel trampelten ihren Siegen genauso entgegen über eine stabile Grundierung aus Gegrins wie nachher die Taschen.

Jede Bastion des Gegners erwies sich als niederwerfbar, wenn nur ein Aufmarschglacis aus Gegrins geschaffen war.

Der Junge sah die Aufmarschstraßen, er wusste mit dem Frühesten, dass er sich verbergen müsse. Das Gegrins war ja überall, es grundierte nicht nur die Heeresstraßen des Hocherleuchts, es schwebte frei in allen Lüften, die Teigfassaden hatten sich längst verabschiedet, da hing das Gegrins noch immer in den Ästen der verstorbenen Bäume. Der Junge begriff, dies ist eine Welt, in der die Leichen das Sagen haben. Die grinsenden Leichen. Er hatte Angst. Er wurde niemals schlau, aber eine gewisse Klugheit mahnte ihn, er begriff erst später, wessen Stimme ihm da flüsternd zuredete, wessen weiße Stimme. IHRE Stimme.

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 30.11.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)