Er wusste: Dass ich immer den gewundenen Pfaden gefolgt bin, den Pfaden ins Unvorhersehbare hinein, das war weder meine Schuld, noch mein Verdienst. Ich bin einfach so, die Schlauen waren immer um mich herum, und immer schüttelten sie die Köpfe über mich und zischelten und pfiffen und zogen das Maul breit.
Grinsten. Das haben sie besonders gern gemacht.
Über das Grinsen des Menschtiers könnten ganze Bibliotheken geschrieben werden. Müssten, sollten. Die Selbstbemacher schrieben über alles, nur nicht über das Grinsen, so wie sie über alles schrieben, nur nicht über das Hochstapeln. Die Historiker hielten es genauso, schrieben über alles, forschten gewissenhaft, nur nicht über das Hochstapeln, nur nicht über das Grinsen. Das Grinsen war zentrales Datum im öffentlichen Leben des Menschtiers, zur Zeit des Jungen, schon in den Jahrzehnten vorher. Irgendwann im Jahrhundert des Unnachahmlichen hatte es sich entwickelt, das Grinsen. Es war ein Merkmal der Hocherweckten, aber wohl nicht von Anfang an. Die erste Machtgeneration der Wecker, die mit dem Fallbeil, die hatte lieber gebrüllt. Gewaltig. In gewaltigem Ernst. In lodernder Ergriffenheit. Durchdrungen, ja das waren sie. Durchdrungen, durchwusst. Erst später, da ihre Macht sich konsolidiert hatte, entdeckten sie das Grinsen.
Waren wir denn blöd? fragten sie sich. Wozu argumentieren, wozu disputieren? Grinsen genügt. Mit dem Grinsen im Gesicht schaffen wir der Welt das Licht. Wozu noch reden über GOtt? Grinsen genügt. Wozu noch reden über Wahrheit Einsicht Hoffnung Redlichkeit? Grinsen genügt. Wer grinst, hat alles, was er braucht. Wer grinst, kann alles, was er braucht. Wer zu grinsen gelernt hat, muss sonst gar nichts mehr lernen. Grinsen genügt.
Die Welt teilte sich wie von selbst. In die, die taten und machten, und die, so dabeistanden und zusahen und kommentierten. Und grinsten.
Wer grinst, muss nichts mehr können. Er begrinst die Romane, die andere schreiben. Begrinst die Musik anderer, die Bilder anderer. Und der Grinser ist immer größer als der arme Depp, der macht. Dass der Macher ein Depp ist, zeigt sich schon daran, dass er macht. Nur die Deppen machen. Die Schlauen die Vifen, in einem Wort, die Aufgeweckten: die lassen gemütlich die Arme hängen und schauen zu und grinsen.
Grinsen, und wissen sich mächtig in ihrem Grinsen und wissen sich groß. Wissen sich groß auch so, wie die Pferdeschnauzige.
Die dort, so wissen sie, sind groß erst dadurch, dass sie machen. Wie die sich krummlegen für ihr bisschen Größe, die armen Deppen! Wir aber sind groß, indem wir zuschauend grinsen, und sind also groß im Handumdrehn. Das ist unsere Schläue. Wir sind immer groß und auf jeden Fall immer größer als die armen Deppen, die Macher, denn wer den Macher begrinst, ist selbstverständlich größer als der. Das rechnet sich doch an den Fingern einer Hand. Nur die Deppen rechnen sich das nicht aus.
Ein Zeitgenosse des Unnachahmlichen hatte eine Märchenfigur erfunden, die war wie viele Märchenfiguren wirklicher als alle Figuren aus Fleisch und Blut, eine Figur, die grinste. Eine Katze. Hing gerne auf Bäumen herum und grinste. Sie hatte die Fähigkeit zu verschwinden, jawohl, sie löste sich in Luft auf. Und wenn sie das tat, wenn sie verschwand, blieb das Grinsen zurück. Stand frei in der Luft, und löste sich auf nur widerwillig, blieb lange sichtbar, verwitterte zögernd. So mancher Leser hielt das für einen Spaß, aber was dieser Zeitgenosse des Unnachahmlichen tatsächlich geschaffen hatte, das war das zentrale Sinnbild der Epoche: das Grinsen, losgelöst von Fleisch und Blut, das Grinsen, übrigbleibend noch, wenn Fleisch und Blut längst sich verabschiedet haben.
Das Grinsen der Vifen und Gewieften, das Grinsen der Bescheidwisser, das Grinsen der Aufgeweckten.
Das Grinsen eilte von Sieg zu Sieg, der Sieg ist unser, wussten die Aufgeweckten, und Siegen ist ja so leicht! Musst nichts tun als Grinsen.
Wenn das Grinsen traf auf Fleisch und Blut, wurde das Fleisch wund, und das Blut floss in die Gosse. Das Grinsen aber siegte, und hielt den Sieg für den Ausweis seiner Größe. Siegen ist groß! wussten die Grinser. Wir sind die Sieger, dass sieht man doch schon daran, dass wir siegen! Siegen ist gut, und wir siegen, weil wir die Guten sind. Es kann gar nicht anders sein. Die Geschichte selbst will das so. Die Guten siegen. Wir sind die Guten. Wir sind die Sieger. Unser ist das Gegrins.
Wenn der Junge etwas wusste, wenn der Junge ein zentrales Datum seiner Zivilisation kannte bis zum Erbrechen, dann war es dieses Grinsen.
Er hatte es wohl zuerst bei dem Ganzstiefelvieh gesehen, aber sicher war er sich da nicht. Das Grinsen reichte zurück in die Zeit seiner ersten Bewusstwerdung, wie so vieles, wie auch der Hass, dessen Inbrunst er ausgesetzt gewesen war schon vor seiner Geburt. Das Grinsen war immer schon da gewesen, und als sein Gehirn sich so weit entwickelt hatte, dass er allgemach beginnen konnte, über das Um und Auf seiner Verhältnisse sich Rechenschaft abzulegen, da war das Grinsen längst schon da, da war das Grinsen Teil der Fundamente.
In der Tat, so mancher Backstein fundierte die Tritte des Geanders, kaum eine Pflasterung aber war so allgegenwärtig wie das Grinsen. Man braucht doch festen Grund unter den Füßen, versicherte sich gewaltig das Geander, und nirgendwo fühlt man sich auf so festem und sicherem Grund wie auf dem Boden des Gegrins.
(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 28.11.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)