Die Grillen zirpten in der Nacht, unter dem wolkenlosen Himmel. Ein winziges Segment war schon vom Mond abgeschnitten, kaum wahrnehmbar: doch er nahm ab.
Weiß lag das Licht über den Bäumen und Sträuchern, über den Schläfern, Grand Mère schnarchte, das dunkle Geräusch mischte sich den hellen Sägelauten der Grillen, von fern tönte das klagende Miauen eines Käuzchens, und auf der Wiese piepsten die Mäuse.
Gegen Morgen schlich die kleine schwarze Katze herbei, sie fand, dass Aslan und Magdalena auf der Wiese lagen, unter einer dicken Decke, sie strömten einen warmen Geruch aus, und die kleine schwarze Katze drängte sich zu ihnen, pfotenleicht, Aslan erwachte davon, schlug aber nur kurz die Augen auf, und die kleine schwarze Katze kroch unter die Decke, drückte sich behaglich gegen Magdalenas Brüste, die waren weich und voll von Leben.
Als der Mond untergegangen war, dunkelte die Wiese in seidener Schwärze; dann stieg weißlicher Dunst empor, hüllte die Blätter ein, die Gräser, schritt auf tastenden Füßen um die Ochsen herum, dass sie nur noch schattenhafte Berge waren, mit dampfendem Atemstrahl; und die Schläfer zogen enger die Decken über ihre Schultern.
Und fern erklangen die erzenen Gesänge des Morgens.
[…]
„Hab ich gut geschlafen …“ gähnte Inge, und sie reckte sich.
„Ja“, stimmte Roger zu, „das hat gut getan, nach dem langen Tag gestern, und der schlaflosen Nacht.“
Grand Mère war bereits klappernd mit dem Frühstück befasst, sie wartete darauf, dass jemand käme und Wasser hole.
Hinten rappelte sich Waldemar hoch, er stieß Eluard an, dass der erwache, bleitief war sein Schlaf.
Aslan hockte nackt in der Wiese und wusch sich mit dem Tau, den er mit den Händen von den Gräsern strich, kühl war das, kühl und gut …
„Brrr“, machte Magdalena, „ich mag nicht, es ist zu kalt.“
Aslan lachte. „Vielleicht erreichen wir ja wieder den Fluss“, sagte er, „dann kannst du baden, wenn die Sonne scheint.“
„Ja“, sagte Magdalena und rieb sich die Augen.
Inge kam herbei und sagte den beiden zu. „Wart ihr heut Nacht beieinander?“ fragte sie.
„Ja“, antwortete Magdalena, „aber nur einmal … dann sind wir eingeschlafen.“
„Hm“, machte Inge und drehte den großen Zeh in den Boden. „War es schön, ja?“ Sie schien kein Glück gehabt zu haben bei Roger, zur Nacht … aber der würde schon weich werden, sie kannte das, lange hielt er es nicht aus ohne das, was Vautrin Männern und Frauen zu tun geboten hatte mit Fleiß …
Magdalena lächelte und blinzelte hinein in die Sonne, dann schaute sie Aslan weiter zu beim Waschen, aus ihren träumerischen grauen Augen, ein schöner Mann war er, mit breiten Schultern und stämmigen Beinen, aber doch schmal die Hüften, schwarz waren seine Haare und dicht, immer noch, würden es wohl auch noch lange bleiben, so wie bei Grand Mère, zwar war die weiß geworden mittlerweile, aber sie hatte kein einziges Haar verloren, trotz ihres Alters, das trifft man nicht oft.
„Schaust du mir zu?“ fragte Aslan und lächelte flüchtig.
„Ja“, sagte Magdalena.
„Aber jetzt zieh ich mich an“, meinte er und schlüpfte in die Hosen.
„Hm …“ machte Magdalena, „schade …“
Inge lachte, und dann machte sie sich auf den Weg, für Grand Mère Wasser zu holen, da war ein kleiner Bach in der Nähe, wie sie gestern Abend gefunden hatten, ein Rinnsal eigentlich nur, doch genügte es zum Wasserschöpfen.
Still und dunkel war es unter den Bäumen, aber die aufgehende Sonne funkelte und glänzte zwischen den Ästen und Blättern hervor, dass es blendete, schön war das.
Die Quelle bildete einen flachen Teich, eigentlich eher ein Stück nasser Wiese, fußhoch mit kristallklarem Wasser bedeckt und dicht mit schimmernd grünen Pflanzen bewachsen.
Inge zog den Rock hoch und raffte ihn um die Hüften, dass er nicht nass werde, dann trat sie hinein in den Quellteich. Kalt war das Wasser! Kalt und klar. Sie stellte den Holzeimer hinein, neben das dunkle Loch in der Erde, unter der Wasserfläche, wo es lautlos sprudelnd emporquoll, und begann mit der tiefen gestielten Kelle zu schöpfen, mit Maß und Ruhe, um den Grund nicht aufzuwirbeln … empfindlich ist Vautrins Schöpfung, empfindlich und der Ehrfurcht bedürftig.
Sie seufzte. Einen langen Weg hatte sie vor sich … doch sie würde es bewältigen, Schritt für Schritt, heute Nacht würde es ihr gelingen, Roger zu sich zu ziehen, und wenn nicht, dann morgen, es kam doch auf einen Tag mehr oder weniger nicht an … mit einer impulsiven Bewegung presste sie die Hand auf den Bauch. Roger oder ich, Roger oder ich, es muss ja nicht immer an der Frau liegen …
Bitte, dachte sie verzweifelt, bitte.
Ein schwarzer Wasserkäfer geriet in die Kelle, mit rudernden Beinchen schwamm er verwirrt in dem engen Gefängnis umher. Inge sah ihm eine Weile zu, dann goss sie die Kelle aus, zwischen die Wasserpflanzen, und schöpfte erneut.
Der Käfer entfloh eilig.
Wenn es an Roger liegt, dachte Inge, ist alles gut, niemand wird es je erfahren, ich werde es nie jemandem sagen, ich schwöre es, bitte, bitte …
Am Lagerplatz blickte Grand Mère zum Himmel hoch und sagte: „Ein warmer Tag wird das wieder … und einen schönen Herbst wird uns Vautrin bescheren, lang und sonnig, dass die Beeren reifen können …“
Aslan nickte ernst. „Das Jahr zur Reife“, sagte er. „So soll es sein.“
(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 27.11.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)