Gewundene Wege

Die Pferdeschnauzige tobte durch alle Gelände des Jungen, und hielt sich für die Höhe der Welt.

Der Junge, die Wohnung verlassen mit der Balkonbrüstung, über die rechtzeitig zu flanken er verabsäumt hatte, stellte sich tapfer der neuen kleinen Stadt, die er heimelig und wohnlich fand. Neue Wohnung. Neue Straßen. Vielleicht neues Leben!

Hoffnung!

Er allein in einer neuen Wohnung mit der Pferdeschnauzigen. Nun ja, da war noch die knochige Katze. Da war das Klavier. Da war der Unnachahmliche. Da war, versteht sich, eine öffentliche Bibliothek. Da war das Spindelmännchen, das hatte er nicht voraussehen können. Da war noch mancherlei. Da war, was er am wenigsten hatte voraussehen können und was vorauszusehen doch das Allereinfachste gewesen wäre: die Wiederkehr des Immergleichen.

Da er ein Menschtier war wie alle anderen – nein, nicht ganz wie alle anderen, aber eben doch ein Menschtier – stolperte er zuerst über seine eigene Irritation seine eigene Angst. Überall sah er Gestaltungen, die versicherten: wir sind jetzt was ganz Anderes, wir sind was ganz Besonderes. Und er dachte: Weshalb fühle ich dennoch allen gegenüber die gleiche Angst?

Ihr wisst die Antwort schon, aber der Junge wusste sie nicht, er schlich die gewundenen Wege, die das Menschtier immer schleichen muss, um im Hafen der Offensichtlichkeit vor Lände zu gehen.

Er fühlte immer die gleiche Angst, allem Begegnenden gegenüber, er fühlte die Angst, die war das Erste und Nächste, und er sah, all dies Begegnende, es ist von so verschiedener Natur, warum ist meine Angst immer gleich?

Und da er ein Menschtier war, schloss er scharf: Es ist wohl die Angst, die unrecht haben muss.

So wand er sich durchs Leben, nur um zum Schluss wieder bei der Angst anzukommen, und zu entdecken, dass ihr immergleiches Bedeuten wohl einen Grund gehabt haben musste.

Der Reihe nach.

Er liebte die Verschiedenheit des Begegnenden.

Er liebte die gewundenen Wege.

In fast allen seiner Leben dachte er irgendwann, als erwachsener Kerl: Warum bin ich nicht einfach geradeaus gegangen, wie alle anderen? Warum bin ich nicht einfach gefolgt den gebahnten Pfaden?

Und in allen seiner Leben, wirklich in allen, kam er zu dem Schluss: Die gewundenen Wege, das waren eben meine.

Er sah die Vorteile der gebahnten Pfade. Sah überall die Kinder, die genau das lernten, was ihnen abverlangt wurde, die immer ihre Hausaufgaben machten, die in den Klassenarbeiten die richtigen Antworten hinschrieben. Die gute Noten nach Hause brachten. Den richtigen Beruf ergriffen, Schritt um Schritt sich voranarbeiteten. Ein gutes Leben hatten und, wenn es darauf ankam, immer hinterm Visier der Zeigefinger standen, und nie vor der Mündung. Oder Zuschauer waren, und sagten, auf Befragen: Damit haben wir nichts zu tun. Um sich bei alledem nie eine Sekunde des Schauspiels entgehen zu lassen, niemals. Aber wir haben nichts damit zu tun, wir sind hier nur zufällig vorbeigekommen, das betrifft uns alles nicht.

Nicht mein Leben, dachte der Junge.

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 26.11.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)