Der Brillante bekam seinen Lehrstuhl, in der Hauptstadt unter dem hohen Himmel, der das letzte gewesen war, was der König gesehen hatte, bevor das Hackebeil über ihn kam, der Brillante hatte ihn gerächt, in gewisser Weise, die Geschichte des Menschtiers hat einen langen Atem.
Ihr versteht die Pointe bei alledem. Der Lehrstuhl, den der Brillante erhielt, war einer der vielen neugegründeten Lehrstühle für Frauenforschung, und man hätte das für einen endlichen Sieg der Taschen halten können, es war aber das Gegenteil. Denn wiewohl der Brillante tatsächlich einen schändlichen einen unverzeihlichen historischen Augenblick der Unterdrückung und Misshandlung von Frauen ans Licht und zur Sprache gebracht hatte, war die neue Frauenforschung, als deren herausragender Vertreter er nun galt, alles andere als Taschenforschung. Er hatte das Thema der zerbrochenen Puppe entdeckt, aber nun wurde allenthalben weitergeforscht, und was zutage gefördert wurde, war das Erwartbare: bei den Massenvergewaltigungen hatte es sich nicht um eine Machination der Männer gegen die Frauen gehandelt. An der Machination waren Frauen zu gleichen Teilen beteiligt gewesen.
Die Forschung zeigte, was man seit jeher gewusst und worüber man seit jeher nicht geredet hatte. Die Forschung zeigte Frauen als Gefängniswärterinnen über gefangene Frauen. Zeigte Frauen als Denunziantinnen. Zeigte demonstrierende Frauen, die die Inhaftierung von Frauen forderten. Verhöhnende Frauen, die misshandelte Aristokratinnen durch die Straßen trieben. Feiernde Frauen, die das Hackebeil umringten. Meuten betrunkener Frauen, mit einem Flaschenhals vergewaltigend ein Dienstmädchen, das seiner aristokratischen Herrin treu geblieben war. Frauen, die in den Booten beim Ertränken von Frauen nicht nur dabei waren, sondern mit Rudern die Köpfe der Strampelnden unter Wasser drückten. Frauen, die fliehende Aristokratinnen ausspähten und verrieten. Frauen, die verwaiste Kinder der Aristokraten mit Schlägen „erzogen“, dir werden wir den Aristokraten schon noch austreiben. Frauen, die johlend der Pike folgten, auf die gespießt der abgetrennte Kopf eines königlichen Leibwächters durch die Straßen prozessiert wurde. Frauen, die unter der baumelnden Leiche eines Gehängten sich zuprosteten, Flasche in der Hand. Frauen, die für ihre revolutionären Männer die Jungfrauen aus den Gefängnissen herauspickten, handverlesen, persönlich mit tastenden Fingern prüfend, ob die Jungfrau wirklich Jungfrau war. Prügelnde Frauen, folternde Frauen.
Nichts, auf das die Taschen hätten stolz sein können. Nichts aber auch, was nicht jedes beliebige Menschtier, so sich seinen Verstand und seinen offenen Blick bewahrt hatte, nicht hätte von selber wissen und voraussagen können.
Die Frauen waren über Jahrhunderte hinweg in der Perspektive der Geschichtsforschung nicht vorhanden gewesen, oder jedenfalls nur am Rande. Das hatte ihnen die sehr unverdiente Wohltat gebracht, auch als Täterinnen nicht in den Blick gekommen zu sein. Untaten in der Geschichte des Menschtiers? Zur Zeit des Jungen noch dachte jeder Leser reflexartig an Männer als Täter. Das half für einige Jahrzehnte der Taschendoktrin, als welche sagte: Männer sind Täter, Frauen sind Opfer. Um die Zeit, da der Brillante seinen Coup landete, war es aus mit dem Unfug. Frauen wurden endlich gebührend als die handelnden Subjekte der menschlichen Geschichte entdeckt und erforscht, nicht mehr nur als willenlos leidende Objekte, aber das hieß eben auch: Frauen wurden nun erst richtig als Täterinnen wahrgenommen. Der Fokus der Geschichtsschreibung auf die Männer hatte den Frauen auch geholfen, insofern die Frauen von der Verantwortung freigestellt worden waren. Frauen sind was Wunderbares, hatte die Sprachregelung gelautet, und Männer sind Schweine. Es war die Sprachregelung der Taschen gewesen, aber sie hatten ihre Erfolge nur deshalb erringen können, weil die Männer in ihrer Mehrheit zugestimmt hatten. Männer liebten Männer im allgemeinen nicht, aus naheliegenden Gründen. Männer liebten Frauen, und Frauen zu bewundern, lag Männern nahe, vor allem solange die Frauen keine direkten Konkurrentinnen waren. Das kam allgemach ins Lot, und neue, realistischere Einstellungen wurden Allgemeingut. Frauen sind nicht wunderbar, sagten die neuen Einstellungen, und Männer sind keine Schweine. Frauen und Männer sind alle miteinander ganz einfach Menschen, und das heißt nicht viel, und doch einiges.
Einiges, nicht in jedem Fall Gutes.
(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 18.11.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)