Und der Tag vollendete seine Reise in den Abend, war ein weiter, geschwungener Bogen aus Sommerglut und Müdigkeit.
Spätnachmittag.
Dunkel und voll die Farben, bereit für die Schattenfülle der Nacht.
[…]
„Es sieht so aus“, sagte Grand Mère, „ als müssten wir noch eine Nacht in diesem Wald verbringen.“
Aslan nickte, sie hatte recht, ungewöhnlich ausgedehnt war die Flussniederung.
Er blickte flüchtig hoch zur Sonne, dann hinunter auf die langsamer und langsamer trottenden Ochsen und meinte: „Wir sollten uns einen Platz suchen für die Nacht und Schluss machen für heute, sie wollen nicht mehr.“
Grand Mère sagte: „Viel Arbeit haben sie gehabt seit gestern Morgen, so verdienen sie Ruhe.“
Der Weg folgte mittlerweile einer eher nordwestlichen Richtung, mochte dem Fluss entgegenführen; doch blieb das Gelände trocken und gut zu befahren.
„Hoffentlich geraten wir nicht wieder in die Altwässer“, sagte Grand Mère. „Es möchte nicht jede Überschwemmung so glimpflich abgehen wie die heute Nacht …“
Aslan zuckte die Achseln. „Ich habe keine Ahnung, wo wir sind“, bekannte er. „Der Fluss scheint sich nach Norden gewendet zu haben, aber vielleicht beschreibt er nur eine Schleife, und kommt wieder zurück; dann werden wir noch einmal auf ihn treffen. Wenn nicht, sollte der Wald bald ein Ende nehmen … das Gelände ist ja auch trocken, du siehst es …“
„Aber im Flusstal sind wir trotzdem noch“, entgegnete Grand Mère. „Man riecht es, die Luft ist ganz weich.“
„Wie auch immer“, schloss Aslan, „das ist ein befahrbarer Weg, er führt in bewohnte Gegenden.“
Grand Mère nickte und fügte hinzu: „Im schlimmsten Fall soll Roger auf einen Baum klettern und Ausblick halten.“
Roger konnte klettern wie ein Eichhörnchen; früher, in der ersten Zeit seiner Ehe, hatte er sich manchmal zum Spaß in den Baumwipfeln umhergeschwungen, auf die halsbrecherischste Weise, um Inge zu erschrecken; aber das war jetzt vorbei.
Nach einer Pause fragte Aslan: „Und Magdalena? Was denkst du von ihr?“
Magdalena ruhte wieder auf ihrem Lager, hinten im Wagen.
„Wenn sie heute Nacht gut schläft“, antwortete Grand Mère, „dann ist sie morgen wieder ganz beisammen … sie hat es gut überstanden, mit Vautrins Hilfe.“
Aslan nickte ernst. „Und dankbar bin ich dafür“, sagte er.
[…]
Waldwiese. Wilde Erdbeeren am Rain.
Waldemar und Eluard stiegen eilig ab, auch Eluard hatte darin nun Übung. Das tat gut, den weichen Waldboden unter den Füßen zu spüren!
Aslan und Roger schirrten die Tiere aus und ließen sie laufen, dann zogen und schoben sie die Wagen mit Hau-ruck zum Wiesenrain, Inge und Grand Mère halfen.
„Ein gutes Fleckchen“, meinte Grand Mère zufrieden, „hier können wir bleiben, und Vautrin wird uns beschützen. Wie sieht’s nun aus mit den Pilzen?“
„Durchaus“, sagte Roger. „Machen wir uns doch gleich daran, nutzen wir das Tageslicht, es ist ja noch früh, vier Stunden ist es gewiss noch hell.“
„Wir kommen mit!“ rief Waldemar.
Eluard sagte nichts, aber er schloss sich an. Er war den ganzen Nachmittag über recht still gewesen.
[…]
Rötlich schon färbte sich der Sonnenschein. Aber wie die Wärme gefangen war zwischen den Bäumen!
Es war ein guter Wald für Pilze, viel Feuchtigkeit und Moder am Grund, aus Laub und abgefallenen Ästen, doch wenig Unterholz.
„An’s Werk!“ sagte Aslan und schmatzte und schlürfte genießerisch. „Ein köstlich Gericht aus Knollenblätterpilzen, gewürzt mit sparsamen Gaben von Schwefelkopf und Gallenröhrling …“
„Oh, oh“, stöhnte Grand Mère, „jetzt geht das wieder los …“ Er konnte diese Witzeleien nicht lassen, seit ihnen einmal nach einem reichlichen Pilzgericht schlecht geworden war, ja, sie hatten sich übergeben müssen und gewürgt und gekotzt und Rotz und Wasser geheult, dass sie nicht anders gemeint hatten, es wäre nun aus mit ihnen, Grand Mère wusste bis heute nicht, was da passiert war, sie hatte jeden einzelnen Pilz vor dem Kochen in der Hand gehabt … konnte sie sich denn so irren?
„Furchtbar war das“, sagte Inge, „ich hab gedacht, ich müsste sterben, hinten und vorne und oben und unten kams mir gleichzeitig raus …“
„Haha“, lachten Waldemar und Eluard, die Geschichte hatte sich vor Waldemars Zeit abgespielt, aber er hörte sie immer wieder gern.
„Und Roger hing in einem Busch“, erzählte Aslan, „und rief immer wieder: ‚Oh, bei Vautrin, mit mir ist’s aus, mit mir ist’s aus‘, und dabei klang seine Stimme ganz hohl, wie aus einem Keller herauf …“
„Hahaha!“
„Ja“, gab Roger feixend zurück, „und du hieltest einen Baum umarmt, und riefst dazu: ‚Ich sterbe aufrecht, ich sterbe aufrecht‘, und wir habens dir geglaubt.
„Hahaha!“
„Furchtbar war das!“
„Also, jetzt ist aber genug“, protestierte Grand Mère, die einen roten Kopf bekommen hatte. „Machen wir uns lieber an’s Sammeln, wir …“
„Ach ja, dich dürfen wir natürlich nicht vergessen“, lachte Aslan, „du saßest gegen einen Baum gelehnt … den Topf mit dem Rest von dem Pilzgericht auf dem Schoß, richtig umarmt hast du den Topf, und jedes Mal, wenn’s dich überkam, hast du dich vornübergebeugt und hineingekotzt, zu dem Übrigen …“
„ … und dabei hat die ganze Nacht einer von den Ochsen vor ihr gestanden und ihr zugeschaut … hat einfach dagestanden und ihr zugeguckt …“
„Hahaha!“
„Das war vielleicht was …“ keuchte Inge erschöpft.
„Seid ihr jetzt fertig?“ fauchte Grand Mère.
„Aber ja“, erwiderte Roger begütigend, „wir meinen‘s ja nicht so.“
„Jaja“, sagte Grand Mère wütend, „dann fangen wir jetzt an zu suchen.“
Und sie wandte sich ab, indes sich die anderen prustend ansahen, Hand vorm Mund.
(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 17.11.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)