Glühender schien die Sonne, in der Kraft des Mittags …
Eluard hockte seitlich gegen des Schlussbrett gelehnt, die Knie angezogen, die umfasste er mit den Armen, und so schaute er hinaus auf den fortfließenden Weg.
Waldemar lag auf der Decke, auf dem Bauch, den Kopf auf die untergeschlagenen Arme gelegt, doch schlief er nicht, starrte mit blicklosen Augen vor sich hin.
Neben ihm lag ausgestreckt die kleine schwarze Katze, sie schlief immer noch.
Eluard hob das Gesicht der Sonne entgegen, mit geschlossenen Lidern. Da war eine wilde Flut von Licht, rot und gewaltig, er fühlte es, die Sonne war ein zürnender Gott, der schwang seine Kriegsgeißel.
Vorsichtig, ganz vorsichtig öffnete Eluard die Augen, einen winzigen Spalt weit, und schaute.
Eine lange Zeit saß er so, reglos, das Gesicht der Sonne entgegengewendet.
Dann senkte er den Kopf wieder, schloss die Augen, und es sah aus, als ob er schliefe, endlich aber regte er sich und fragte: „Weißt du, dass der Himmel schwarz ist?“
„Was?“ fragte Waldemar und fuhr hoch. „Schwarz?“
„Ja“, antwortete Eluard.
„Ich sah nichts“, meinte Waldemar und blinzelte geblendet hinaus, indem er sich aufrichtete. Gleißend goldener Sonnenschein über dem Weg, und blauer Himmel, in unergründlicher Tiefe.
„Du musst die Augen zu machen“, erklärte Eluard, „und zum Himmel hochschauen, aber immer mit geschlossenen Augen, und dann musst du sie aufmachen, aber nur einen Spalt weit, ein ganz klein bisschen … machs mal …“
Waldemar sah ihn verwundert an, aber er war neugierig, und so setzte er sich auf, hielt sich mit beiden Händen am Schlussbrett fest und hob das Gesicht der Sonne entgegen, mit fest zugekniffenen Lidern.
„So?“ fragte er.
„Ja …“ antwortete Eluard. „Aber nicht so zukneifen. Ganz normal, so, als ob du schliefest …“
Waldemar mühte sich, die Muskeln um Stirn und Augen zu entspannen, es wurde ihm schwindelig dabei, er spürte die schaukelnde Bewegung des Wagens.
Dann schoss ein glutroter Strom von Licht durch die geschlossenen Lider, in seinen Kopf hinein, füllte jeden Winkel seines Bewusstseins.
Rot, leuchtendes Blut und Feuer.
Stürzende Flut in unerträglicher Fülle. Da war im Kopf nichts als eine gewaltige Leere, und immer mehr der Flut stürzte hinein, immer mehr des Stroms, und war die Leere doch gewaltig genug, die strudelnden Massen aufzufangen, aufzunehmen, das Ungefüge, die Uferlosigkeit.
Vorsichtig öffnete Waldemar die Augen, einen winzigen Spalt weit.
Das Rot wandelte sich in Gold, ein schmerzend feiner Gongschlag, wie abgezirkelt, kurz und genau, aus Messing, und dann sah Waldemar den Gong, eine kleine Scheibe, gemeißelt aus Schmelze, und vor die schob sich in unruhigem Flackern ein bläulich-rußiger Schatten, tanzend.
Und umgeben war die Scheibe von einem Gewölbe aus lauterstem Schwarz.
Widerhall aus steinerner Tiefe.
Riesenhoch, abgrundlos.
Und es glänzte das Schwarz und bedachte seine Endlosigkeit, und ortlos stand in seiner Mitte die Scheibe aus Messing, mit dem tanzenden Schatten.
Und dann hörte Waldemar das Murmeln der Millionen Gewölbe, aus unbelauerter Tiefe stieg es empor, ein gläsernes Dröhnen, Metall und Granit, summende Mühle des Steinschlags, schwarz und groß, und die Messingscheibe erzitterte, wurde getragen vom Grund des Donners.
Waldemar schlug die Hände vor das Gesicht.
„Au“, sagte er, „das tut weh …“
„Hast du’s gesehen?“ fragte Eluard gespannt.
„Ja“, meinte Waldemar, mit zusammengekniffenen Augen, aus denen die Tränen rannen, „ich hab’s gesehen … schwarz, ganz schwarz …“
(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 13.11.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)