Er hatte nicht polemisch werden wollen, der Brillante, er hatte sich so schön vorgenommen, ruhig zu bleiben und jeden Anwurf zu parieren in gewissenhafter Schlichtheit, er dachte hinterher, wie wenig kenne ich mich doch selbst. Es war ihm noch nie passiert, nicht öffentlich, nicht privat, dass ihm so der Faden gerissen war. Der Moderator versuchte ihn zu unterbrechen, die Hocherweckten versuchten, ihm ins Wort zu fallen, vergeblich, er donnerte sie alle nieder, mit Gewitterstimme, wie man es seinerzeit den Revolutionsbrüllern nachgesagt hatte, die Silben und Fügungen der melodischen Sprache, die doch gar nicht seine Muttersprache war, quollen ihm wie von selbst über die Lippen, er benutzte Worte, die er nie zuvor im Mund gehabt hatte, über deren Bedeutung er sich nicht einmal sicher war, seine Sätze fluteten herein in die Wirklichkeit ohne sein Zutun und nahmen ihren Platz ein unter den Elementen, hier sind wir, sagten die Sätze, hier sind wir in eurer Wirklichkeit, und nichts und niemand kann uns jemals wieder vertreiben.
Er konnte in den Tagen nach der Sendung nicht mehr auf die Straße gehen, fremde Menschen sprachen ihn an alle paar Schritt, viele weinten, und es geschah, dass eine alte Frau versuchte, ihm die Hand zu küssen.
Solcherart geschehen die Dinge, und das Menschtier, das sie wirkt, versteht hinterher nicht, wie ihm wird.
In unbegreiflicher Verblendung dachten die Wecker, in der Diskussion sich einigermaßen geschlagen zu haben. Den haben wir fein entlarvt, sagten sie. Das war ein kluger Schachzug, von dem seinem Stipendium zu reden. Und die Suada, die der dann losgelassen hat, damit hat der sich doch bloß lächerlich gemacht! Das war ja zu durchsichtig! Hat versucht, von der Sache mit seinem Stipendium abzulenken! Ist in Zorn geraten! Hat damit gezeigt, dass wir ihn kalt erwischt haben! Kalt erwischt haben wir den. Dem sind wir souverän in die Parade gefahren.
Sie schrieben solches in vollem Ernste in ihren Publikationen, in den Tageszeitungen der ihnen hörigen Pressbengels, sie schrieben das vor einer Öffentlichkeit, die die Diskussion doch gesehen hatte!
Die Diskussion aber, und zwar in extenso, war längst in die elektronischen Spielzeuge hinübergewandert. Der Ausbruch des Brillanten wurde bereits in den ersten Tagen millionenfach aufgesucht. Und die Wecker glaubten immer noch, wie sie das seit Jahrhunderten glaubten: Wirklichkeit ist, was wir für wirklich erklären. Wir erklären diese dämliche Diskussion jetzt einfach zu unserem Sieg, und wie wir mit unserem Sieg diesen Studenten diesen Döskopp entlarvt haben! Wirrkopf! Hat sich doch selbst entlarvt, mit seinem Gebrabbel! Haltloses Gerede eines Betrunkenen! Eines Selbstbesoffenen!
Das Echo aus der Öffentlichkeit war vernichtend.
Reduzierte sich auf wenige Sätze.
Sätze von peinlicher Klarheit.
Die haben versucht, alles kleinzureden. Die haben auch noch versucht, den zu diffamieren. Haben versucht anzudeuten, der sei bezahlt worden! Worüber reden wir überhaupt noch? Was soll das schon sein, Revolution? Fraglose Verbrechen stehen gegen fragliche Errungenschaften. Was die als ihre Errungenschaften ausloben, sind das überhaupt ihre? Sind das nicht vielmehr die Errungenschaften des Marktes? Haben die nicht vielmehr versucht, all das zu unterbinden, was wertvoll war? Freiheit der Rede, körperliche Unversehrtheit, unantastbare Würde der Person? Das haben die alles proklamiert, und gleichzeitig unterbunden! Was war mit den Menschen, die auf dem Schinderkarren zum Hackebeil gefahren wurden?
(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 12.11.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)