Katzen

„Ooooh“, ächzte Waldemar, „was hab ich gut geschlafen …“

Er reckte und streckte sich, auf seiner Decke, auf der sonnebeschienenen Decke, und dabei stieß er die kleine schwarze Katze an, die ließ es sich gefallen, ohne sich zu regen, sie war wohl gar nicht aufgewacht von der Berührung, heiß war das weiche schwarze Fell.

„Aber was …“ fragte Waldemar bestürzt und sah sich um, eben hatte er doch noch auf einer Waldwiese gelegen …

Eluard lachte. „Wir sind weitergefahren“, sagte er erklärend, „du hast nichts gemerkt … Roger hat dich hier hochgehoben, und du hast die ganze Zeit geschlafen … die Katze auch, erst hat sie sich geputzt, das hättest du sehen müssen, und dann ist sie eingeschlafen, es ist ja so schöne Sonne draußen …“

Die letztere Bemerkung schien etwas zusammenhanglos, Waldemar schaute hinaus mit schläfrigen Augen, da sah er, Eluard hatte recht, dort draußen spielte der Sommer, wie schön das war, da glänzten und leuchteten die Blätter, und schnurgerade war der Weg.

„Und ich hab die ganze Zeit geschlafen?“ fragte er. „Es ist doch schon bald Mittag …“ Es war ihm gar nicht recht, so viel verschlafen zu haben … Roger hatte ihn auf den Wagen gehoben, und er hatte nichts davon bemerkt, soso … peinlich war ihm das, er stellte es sich vor, alle hatten ihn angeschaut, und er hatte dabei geschlafen, und dann hatten sie ihn hin und her bewegt wie eine Puppe, also so was …

„Hab ich den Mund offen gehabt?“ fragte er schnell.

„Was?“ fragte Eluard verblüfft zurück.

„Na, als sie mich auf den Wagen gehoben haben … hab ich da den Mund offen gehabt?“

„Aber nein!“ rief Eluard und fing an zu lachen. „Bestimmt nicht, du hast ganz normal ausgesehen, haha.“

„Na ja, ich hab ja nur gefragt“, meinte Waldemar verlegen, also wirklich, warum hatte er das bloß gesagt? Wie peinlich! Aber andererseits … der Gedanke, mit offenem Mund in der Gegend herumgetragen worden zu sein, vielleicht noch mit einem sachte rinnenden Speichelfädchen im Mundwinkel … also nein, das war unerträglich. Es war doch gut, dass er gefragt und sich über diesen Punkt beruhigt hatte.

Er schaute Eluard von der Seite an, aber der blickte hinaus auf den Weg und schien an anderes zu denken.

„Die Katze …“ sagte Waldemar. „Ist sie gleich mitgekommen … ganz von selber?“

Eluard nickte. „Sie ist gut im Jagen, weißt du … sie hat eine Menge Mäuse gefangen … ja, und dann ist sie gleich hier hoch gesprungen.“

Die kleine schwarze Katze lag ausgestreckt auf der sonnebeschienenen Decke, sie hatte sich lang gemacht, unglaublich lang, mit ausgestreckten Pfoten, um so viel Sonne wie möglich abzubekommen …

Waldemar streichelte sie, sie war schlaff und heiß, fast knochenlos, und er beugte sich über sie und schnupperte in ihrem Pelz. „Riech mal!“ sagte er zu Eluard.

Eluard steckte auch seine Nase in das warme Fell, die kleine schwarze Katze merkte überhaupt nichts, und es war da der Geruch nach trockener, heißer Wärme, gelbglühende Sonne über feinem Sand, der Geruch nach Raubtier in weiter, baumloser Ebene, schläfrig und gespannt zugleich, Jagd und Stille des Mittags.

Eluard sagte: „Das riecht wie … ja, ich weiß gar nicht … weißt du, mir hat mal jemand erzählt, Katzen, also Vautrin hätte sie in einem fernen Land geschaffen, wo es immer ganz warm ist, wo immer die Sonne scheint, und zu Mittag wird es so heiß, dass die Menschen im Schatten bleiben müssen und in den Häusern, weil man es im Freien gar nicht aushält … und viel Sand wäre dort, warmer Sand … sicher riecht es dort so, ja, so stelle ich mir das vor.“

„Ach“, sagte Waldemar beeindruckt. „Und wie kommen sie dann hierher, die Katzen, mein ich?“

„Also, das war so“, sagte Eluard wichtig. „Hier bei uns gab es nämlich ganz furchtbar viele Mäuse, weißt du … und dafür hatte Vautrin die Wiesel geschaffen, dass sie die Mäuse jagten. Aber die Menschen kamen mit ihnen nicht zurecht, denn die Wiesel waren ganz furchtbar bissig, na ja, das sind sie ja heute noch, das weißt du ja …“

„Jaja, gewiss“, sagte Waldemar.

„Also“, fuhr Eluard fort, „die Menschen konnten also gar nicht mit den Wieseln auskommen. Nun gab es aber doch so furchtbar viele Mäuse, und da wussten die Menschen gar nicht mehr, was sie machen sollten, und haben Vautrin um Rat gefragt. Und der hat sich das also angesehen, und dann hat er gesagt, also gut, wenn es so nicht geht, dann muss ich mir was anderes ausdenken. Und er hat die ganze Welt durchsucht, und dabei ist er auch in diese heißen Länder gekommen, und dort hat er die Katzen gefunden. ‚Richtig‘, hat da Vautrin zu sich gesagt, ‚die hab ich ja ganz vergessen‘, und dann hat er sich die angeguckt und gesehen, dass sie einen dicken Pelz haben und so und schon mal einen Winter vertragen könnten … und so hat er sie zu uns gebracht, damit die Mäuse nicht überhandnähmen, und ein paar hat er in die Wälder gesetzt, das waren die großen, dicken, gestreiften, und die kleineren, die waren auch friedlicher, die hat er den Menschen gegeben, für ihre Häuser. Na ja, und seitdem sind die Katzen bei uns. Aber sie erinnern sich noch gut an ihre Heimat, da wo es warm war, deswegen liegen sie gerne in der Sonne, und im Winter kommen sie in’s Haus und legen sich an den Ofen, weil sie eben die Wärme so gern haben.“

„So war das also“, sagte Eluard, der mit offenem Mund zugehört hatte, „also das hab ich noch nicht gewusst …“

„Ja“, sagte Eluard zufrieden, „so sind die Katzen zu uns gekommen …“

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 11.11.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)