Diskussion

Der Brillante blieb höflich und zurückhaltend, aber er blieb auch, was er von Natur aus war: brillant.

Er ließ sich nicht auf Abschweifungen ein. Er fing vor allem nicht an, sich zu verteidigen.

Denn das war immer die erste Siegwaffe der Aufgeklärten: den in die Verteidigungsposition drängen! Wenn der anfängt, sich zu verteidigen, haben wir schon gewonnen.

Infolgedessen machten sie sich daran, mit beharrlicher Hurtigkeit, den jungen Mann anzuklagen.

Sie haben da eine Seitenerscheinung aufgebauscht. Wer sind Sie eigentlich? Wer hat Ihnen das bezahlt, diese Dissertation? Diese angebliche wissenschaftliche Arbeit? Stipendium, wie? Errungenschaft des Hocherwecks! Stipendien für die Unterbemittelten! Davon profitieren Sie jetzt! Aber lassen wir das erst mal, gehen wir ans Eigentliche! Es geht doch um das Eigentliche! Die Errungenschaften der Revolution! Die Befreiung!

Der Brillante sagte nichts, er sah die Gesprächspartner an, ohne besonderen Ausdruck.

Haben Sie die Frage verstanden? fragte der Moderator.

Nein, erwiderte der Brillante. Ich habe verstanden, dass diese Hocherweckten aus dem Stand beginnen, ad personam zu argumentieren. Das ist keine Überraschung. Die Wecker machen das immer so. Darauf werde ich selbstverständlich nicht eingehen. Ich bin eingeladen worden, über meine wissenschaftlichen Erkenntnisse Auskunft zu geben. Wollen wir jetzt darüber reden?

Natürlich! rief der Moderator. Aber das war ja das Argument! Wenn wir über das Hocherweck reden, sollten wir über das Eigentliche des Hocherwecks reden, über die Errungenschaften!

Der Brillante sagte, immer gleich freundlich: So wie Sie über mein Eigentliches reden, indem Sie erst mal meine Einkommensverhältnisse zum Thema machen, vor allem anderen?

Das habe ich ja nicht gesagt, wehrte sich der Moderator. Das ist von der anderen Seite gekommen, von —

Die Errungenschaften! riefen die Wecker wütend dazwischen. Sagen Sie doch was zu den Errungenschaften!

Sie haben ja schon ein Beispiel für die Errungenschaften genannt. Die Geldflüsse auf mein Konto, nickte der Brillante.

Jetzt lassen wir das doch mal, sagte der Moderator.

Warum? fragte der Brillante, in immer dem gleichen sanften Ton. Es ist ein interessantes Thema. Aber Sie haben natürlich recht, es gibt noch andere Errungenschaften, Errungenschaften der Revolution. Gucken wir uns doch einfach mal an, auf welche Errungenschaften die Revolutionäre selber aus waren.

Und dann referierte er, knapp und faktenstark, wie die zusammengekommen waren, an einem beliebigen revolutionären Abend, und die Sachbeschlüsse abgemacht hatten mit der nämlichen beharrlichen Hurtigkeit, die die Verteidiger jetzt an den Tag legten, um nachher zum Eigentlichen zu kommen: zur Beibringung des Frauenfleisches aus den Gefängnissen.

Die Fuhren waren gewöhnlich schon bestellt worden, bevor die Revolutionäre eintrafen beim Bankett, sagte der Brillante trocken und nannte Datum und Uhrzeit.

Er war wirklich brillant, er tat nicht nur so, er hatte die vielen tausend Seiten von Dokumenten im Kopf, und seine Analysen, und die Schlussfolgerungen.

Wir streiten das doch gar nicht ab, ereiferten sich die Hocherweckten. Sie haben uns noch immer nicht gesagt, wer Sie bezahlt hat!

Das ist gut, sagte der Brillante höflich. Wenn Sie nichts abstreiten, können wir ja nach Hause gehen.

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 08.11.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)