Sprachlosigkeit

Trocken war der Weg, von weichem Wachstum umgeben, und gleichmäßig trotteten die Ochsen.

Noch immer zogen die Gespanne durch’s Flusstal, doch waren die Wasserläufe weit zurückgewichen, Weiden und Eschen und Erlen fanden sich kaum noch, Eichen Ulmen Linden warfen breitästige Schatten, und sacht stieg das Gelände an, so sacht, man merkte es kaum.

Kühl war es noch im Wald, unter den Baumschatten, und auch auf den Kutschsitzen, denn sie fuhren ja nach Westen, da kam die Sonne von hinten.

„Die Kleinen haben es jetzt gut“, meinte Inge, „denen scheint die Sonne herein, zur Plane …“

Das stimmte, Eluard saß hinten, mit schläfrigen Augen, und blinzelte auf den Sonnenweg, wie hell das war, und wie warm … Waldemar schlief, ganz fest, und die kleine schwarze Katze hatte sich dicht neben Eluard gedrängt, um ein sonniges Plätzchen zu erwischen, und da saß sie nun und putzte sich, mit der rosigen Zunge, geschwind und ohne sich ablenken zu lassen (wie gründlich sie das macht, dachte Eluard), nur ab und zu blickte sie kurz hoch und schaute hinaus auf den zurückweichenden Weg, vielleicht hatte sie dann ein raschelndes oder knisterndes Geräusch gehört unter dem Gerumpel der Räder; und wenn sie so aufblickte, sah Eluard, dass ihr die Pupille zu einem winzig schmalen Strich geworden war, und der Augenhintergrund fast farblos. Er streckte die Hand aus und versuchte sie zu streicheln, aber sie wich mit einer geschmeidigen Bewegung aus, dass er in’s Leere griff, und fuhr fort, sich zu lecken und zu putzen.

„Ein guter Tag ist das“, fing Inge wieder an. „Ob wir heute noch herauskommen aus dem Wald?“

„Ich weiß nicht“, antwortete Roger. „Wohl möglich … wir haben den Fluss gar nicht richtig zu sehen bekommen, nur an der einen Stelle, da, wo sie Überschwemmung war …“

Er fühlte sich unbehaglich neben seiner Frau, sie war so verändert, seit sie aus Dietrichs Haus – geflohen waren, ja, verändert, und er wusste nicht, was er damit anfangen sollte, sie drängte sich an ihn und kümmerte sich um ihn und sprach mit ihm …

Ein Gefühl stieg in ihm auf … was war das? Distanz? Ablehnung? Feindseligkeit? All die Jahre hatte er sie ertragen, ihre Reizbarkeit, ihr Widersprechen, ihre Bosheiten, und begütigend hatte er geantwortet, oder geschwiegen, den Kopf eingezogen, auf bessere Zeiten gewartet … und hatte sich ein Bild davon gemacht, kaum bewusst, wie die Frau aussehen sollte, die ihm gefiele.

Da war Magdalena.

Ja, Magdalena. Hatte er gehofft, dass Inge sich ändern werde, mit der Zeit, und werden wie ihre Mutter, still und gut, vielleicht, wenn sie ein Kind bekäme? Aber Inge bekam ja keine Kinder, wer weiß, woran es lag …

Inge lehnte sich an ihn, den Kopf an seine Schulter, und schlang ihren Arm um den seinen. Er blickte vage lächelnd geradeaus, reagierte nicht, zog den Arm aber auch nicht fort.

Es ging gar nichts vor in ihm, seine Gedanken, die flinken, silbern schwänzelnden Gedankenfische waren geflohen, sein Kopf leer.

Manchmal geschieht es, dass einer erträgt und erträgt, jahrelang, und schweigt und gut ist und bittet.

Und dann, wenn die Bosheit aufhört, ist plötzlich da eine seltsame Leere, die nicht mehr zu antworten weiß.

Aber am Grund dieser Leere regt sich ein anderes, das wird aufgerührt von jeder Bitte um einen Blick, um ein freundliches Wort: Zorn, Verletztheit; all die Kränkungen, die abgeprallt zu sein schienen wirkungslos, über die Jahre, hatten sich in Wahrheit gesammelt, vereinigt, warteten still auf ihre Stunde.

Dann geschieht es, dass dem Einlenken Feinseligkeit antwortet, ein nicht-mehr-Wollen; dass die Feindseligkeit gerade durch das Einlenken geweckt wird; dass am Grunde der Jahre das Zu Spät geschlafen hat.

All die Jahre hab ich gewartet, und jetzt auf einmal kommst du an, und ich soll tanzen?

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 07.11.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)