Eigensinn

Trocken die Wiese, der letzte Tautropfe hinweggetrunken. Nur ganz unten, bei den Würzelchen, da war noch Feuchtigkeit, die sickerten allgemach in die Erde, wo sie aufgesogen wurde.

Warme, funkelnde Sonne auf der Wiese. Leuchtend das Grün der Stängel und Rispen und Blätter, Blumenglocken, die dunklen Blattrosetten des Wegerichs, in dichten Kolonien, das zarthelle Gestängel des Leinkrauts, und Bärenklau, borstig-holzig, hochaufgerichtet.

Zögernd zog Wärme ein in die Baumschatten, schwarz um die braunrindigen Stämme, nahm Kühle hinweg und Feuchtigkeit, und das Laub begann zu rauschen, in den leisen, streichenden Windzügen.

Fern das ratternde Hacken eines Spechts, mit leisem Nachhall.

Sonne, gute warme Sonne.

Und Schlaf.

[…]

Schlaf.

[…]

Aslan ächzte, reckte sich, ohne die Augen zu öffnen, und gähnte dann, lang und ausgiebig.

„Aaaah“, machte er, die Hände über den Kopf geschlagen, „das hat gut getan …“

Er fühlte sich mild und angenehm schlaff, er würde noch einen Augenblick warten, bis er abstieg und das Tagewerk einleitete, ja, noch einen Augenblick …

Unten schrak Inge hoch, von seiner Bewegung, sie schaute einen Augenblick stumm, aus glasigen Augen, dann begann auch sie sich zu recken und zu strecken.

„… ganz fest geschlafen hab ich …“ sagte sie.

„Hrrrmpf?“ fragte Grand Mère und setzte sich schnaubend auf, mit ihrem „wo bin ich?“-Blick, den sie immer beim Erwachen hatte.

„Au!“ sagte Roger, dem die Knochen wehtaten, er hatte so ungeschickt gegen das Rad gelehnt gelegen, er rappelte sich hoch, unter allerhand Verrenkungen, rieb sich das Kreuz und die Seite, und ächzte.

„Eieiei-eiei“, sagte er.

Aslan öffnete die Augen, strahlend blau war der Himmel und wolkenlos, ein warmer Tag würde das werden, heiß vielleicht sogar, gegen Mittag … wie schön Vautrin das Jahr noch werden ließ, dem Herbst zu!

Einen flüchtigen Augenblick lang sah er hinauf in das schmelzende Blau, mit blinzelnden Augen, noch rot und empfindlich vom Schlaf, dann schwang er seine Beine herab von der Bank … bei Vautrin, was war er steif … da musste das Blut erst wieder in Bewegung gebracht werden … und das Kreuz! er stemmte die Hände gegen den Rücken und drückte das Kreuz durch, dass es im ganzen Körper krachte, und dann packte es ihn, führ ihm hinauf in Hals und Kehle, dass er den Mund aufriss und, gen Himmel gewandt, gähnte, bis er meinte, es müsse ihm den Kiefer ausrenken … und jetzt aufstehen … er schwang die Arme und drehte die Schultern, ja, jetzt begann er wach zu werden, er fühlte es.

„Wir sollten wohl langsam daran denken, weiterzukommen“, meinte Inge.

„Jaja, huh“, antwortete Grand Mère und gähnte, „welch ein Tag … schau nur, die Sonne …“

„Wie schön es ist“, sagte Magdalena und schlug die Augen auf. „Ich will neben Aslan sitzen …“

„Was?“ fragte Grand Mère. „Das geht nicht, mein Kind, du bist noch zu schwach dazu.“

„Ich will aber!“ rief Magdalena eigensinnig.

Inge lachte. „Hör sie dir an“, sagte sie. „Es entgeht dir doch nichts … warum willst du nicht lieber drinnen liegen und schlafen? Das würde dir gut tun …“

„Nein, ich will draußen sitzen“, antwortete Magdalena mit unerwarteter Festigkeit. „Aslan weiß doch bald gar nicht mehr, dass er eine Frau hat.“

„Das ist wahr“, sagte Grand Mère zwinkernd. „Dann setz dich halt raus, und wenn du müde wirst, legst du dich wieder hin, ich bleib bei euch auf dem Wagen.“

„Ja, bleib bei Mama“, stimmte Inge zu. Man hätte meinen können, sie lege keinen Wert auf Grand Mères Gesellschaft, bei ihr und Roger: so schnell sagte sie es.

(Peter von Mundenheim, unveröffentlichtes Manuskript, dieser Ausschnitt veröffentlicht auf dieser Seite 05.11.2022, © Verlag Peter Flamm 2022)